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nmz-archiv
nmz 2007/12 | Seite 3
56. Jahrgang | Dez./Jan.
Magazin
Wünsche stehen für das Prinzip Hoffnung
Geschenktipps für Weihnachten – die Redaktion der nmz
empfiehlt Bücher und CDs
Wish You. Best Christmas Ever, hrsg. von Renate Heilmeier, Trikont,
US-0377, 15,00 j
Die etwas andere – und das ist wohltuend – Weihnachts-CD
des Münchner Kultlabels Trikont versammelt Kurioses aus den
USA zwischen Swing, Blues und Country. Weihnachtsmuffel kommen
hier auf ihre Kosten. Besonders köstlich: Nancy Whites „It‘s
So Chic To Be Pregnant At Christmas“. Ursula Gaisa
Terezin – Theresienstadt;
Anne Sofie von Otter, Bengt Forsberg, Christian Gerhaher, Daniel
Hope;
Deutsche Grammophon, 00289 477
6546
Terezin – Theresien-stadt galt als Vorzeige-KZ der Nazis:
Es konnten – so lange man sie leben ließ – Musiker
und Komponisten in begrenztem Rahmen arbeiten. Der Mezzo-Sopranistin
Anne Sofie von Otter ist zusammen mit Bariton Christian Gerhaher,
Bengt Forsberg (Klavier) und Daniel Hope (Violine) eine teils anrührende,
teils erschütternde Dokumentation gelungen, die manch beängstigendes
Fenster in unsere Spass-Gesellschaft öffnet. Kabarett, laute
und leise Klage – arrondiert von Erwin Schulhoffs Solo-Violinsonate – die
Deutsche Grammophon legt eine hochklassige, klug kompilierte Edition
vor für eine gute Stunde atemloses Zuhören – und
längeres Nachdenken auch Tage später. Theo Geißler
Misha Aster: Das Reichsorchester. Die Berliner Philharmoniker
und der Nationalsozialismus, Siedler, München 2007, 21,95
€, ISBN 978-3-88680-876-2
Die Geschichte der Berliner Philharmoniker in der Zeit des
Nationalsozialismus wird hier klar, unaufgeregt und dennoch
erschütternd, weniger
wertend als berichtend erzählt. Ein durch und durch demokratisches
Orchestergefüge verwandelte sich in den Erfüllungsgehilfen
der Herrschenden und nutzte dabei alle sich bietenden Möglichkeiten
zur Erhaltung und Aufwertung des musikalischen und gesellschaftlichen
Profils. Gut lesbar und höchst informativ. Barbara Haack
Alfred Hagemann & Elmar Hoff (Hg.): „Insel der Träume“ – Musik
in Gronau und Enschede 1895-2005, Klartext Verlag, Essen 2006,
25,00 €, ISBN 978-3-89861-620-1
So kann Sozial- und Kultur und Regionalgeschichte gemacht werden,
wie sie lebendiger, investigativer und erhellender nicht sein
kann, zumal in einer deutsch-niederländischen Doppelansicht
ohne Scheuklappen. Martin Hufner
So what?! Friedrich Gulda. DVD Deutsche Grammophon 00440 073 4376
„Im Grunde ist meine ganze Existenz, seit es sie gibt,
ein Skandal.“ Friedrich
Guldas bewegtes musikalisches Leben zwischen Konzertsaal und Jazzclub,
Beethoven-Exegese und Wiener Schmäh à la Golowin, strenger
Mozart-Interpretation und Paradise Island: All dies ist in Benedict
Mirows und Fridemann Leipolds Porträtfilm eingefangen. Gulda
kommt ausführlich zu Wort, persönlich, oder aus dem Off,
gelesen von Ulrich Mühe. Eine weitere knappe Stunde mit Konzertausschnitten
(darunter eine hinreißende Bearbeitung von Schuberts „Wanderer“)
und ein Interview mit Joachim Kaiser ergänzen die ebenso
gehaltvolle wie unterhaltsame Scheibe. Juan Martin Koch
Pannonica de Koenigswarter: Die
Jazzmusiker und ihre drei Wünsche.
Fotografiert und notiert von Baronesse Pannonica de Koenigswarter, übersetzt
von Michael Müller, Philipp Reclam jun., Stuttgart 2007, 320
Seiten, 200 Abb., 34,90 €, ISBN 978-3-15-010653-2
Jedes Kind kennt sie: Die drei Wünsche sind ein legendäres
Märchenmotiv bei den Gebrüdern Grimm, aber auch in der
romantischen Märchendichtung bei J.P. Hebbel. Mal ist es Gott,
mal ein kleines Männchen, mal eine Fee, die den Menschen drei
Wünsche spendiert. Im vorliegenden Buch ist es die Baronesse
Pannonica de Koenigswarter. Ihr Salon war in den fünfziger
und sechziger Jahren Zuflucht und Treffpunkt der New Yorker Jazzszene.
Von vielen ihrer Besucher schoss Pannonica Fotos, und eines Tages
begann sie, allen die Frage nach ihren drei Wünschen zu stellen.
Fotos und Wünsche sind in einem geschmackvoll aufgemachten
Bildband versammelt, mit einem Vorwort von ihrer Enkelin Nadine
de Koenigswarter. Weit über 200 Musiker gaben Antwort, darunter
Theolonius Monk, Charlie Parker, Charles Mingus, Miles Davis und
viele mehr. Fazit: Wünsche sind nicht dazu da, in Erfüllung
zu gehen. Aber sie stehen auf poetische, melancholische und manchmal
auch verzweifelte Weise fürs Prinzip Hoffnung. Andreas Kolb
Stefan Maelck: Pop essen Mauer auf, rowohlt, Berlin 2006,
gebunden 146 Seiten, 14,90 €, ISBN 978-3-87134-550-0, broschiert
160 Seiten,
7,90 €, ISBN 978-3-49924-644-9
Wussten Sie schon, wer Elvis Presley (alias Elvira Prassler)
in die Lage versetzte, die Nachkriegsgeneration der westlichen
Welt
mit seinem (ihrem) legendären Hüftschwung bis zur Raserei
zu bringen? Die Staatssicherheit der jungen DDR! Die baute ihm
nämlich die Hüfte Margot Honeckers ein, der Vorturnerin
des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden. Das findet
der investigative Musikjournalist Ludger Bauer beim Studieren der
verloren geglaubten Hartholz-Akte heraus und macht eine Entdeckung,
die die gesamte Pop-Geschichte auf den Kopf stellt. Popmusik ist
nämlich eine perfide Ausgeburt der DDR, die nur dem Zweck
dienen sollte, die Jugend der kapitalistischen Welt aufzuwiegeln
und somit das feindliche System von innen aufzuweichen. Barbara Lieberwirth
Max Rostal: Violin-Schlüssel-Erlebnisse. Erinnerungen. Mit
einem autobiografischen Text von Leo Rostal. Herausgegeben und
bearbeitet von Dietmar Schenk und Antje Kalcher. Ries & Erler,
Berlin 2007, 16,80 €, ISBN 978-3-87676-014-8
In dieser unvollendeten, weil nur die erste Halbzeit umfassenden
Doppelbiographie von Max Rostal und seinem vier Jahre älteren
Bruder, dem Cellisten Leo Rostal, rollt das unstete Leben und Wirken
eines der bedeutendsten Geigers unserer Jahre vom Wunderkind bis
zum Virtuosen und gefragten Pädagogen ab. Einer der Exkurse
führt in Fleschs Laboratorium, zugleich eine Hommage auf diesen
seinen Lehrer, andere durchstreifen die wechselreichen heiter-ernsten
Stationen des Entbehrens und des Erfolges von der tschechisch-ungarischen
Heimat über Wien, Berlin, Oslo bis zur Emigration nach London.
Rostals Erfahrungen und Erlebnisse mit einer Legion namhafter
Musiker des 20. Jahrhunderts sind ein spannendes Dokument bewegter
und
bewegender kulturpolitischer Zeitgeschichte. Eckart Rohlfs
Dominique Xardel: Idil Biret.
Eine türkische Pianistin auf
den Bühnen der Welt (mit CD), Staccato-Verlag, Düsseldorf
2007, 247 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-93297-631-5
Eine einzigartige Musikerin, recht unbekannt, weil sie sich nie
andienerte, kompetent, klug, scharfsichtig, kritisch. Xardel
stellt 1.000 Fragen, die Substanz kommt von Biret. Reinhard Schulz
Milan Turkovic: Was Musiker tagsüber tun. Wissenswertes und
Amüsantes aus der Welt der Musik, Kremayr & Scheriau,
Wien u.a. 2007, 189 Seiten, Abb., Notenbsp., 19,90 €, ISBN 978-3-218-00777-1
Star-Fagottist, Dirigent und Musikschriftsteller – Turkovic
berichtet mit leichter Feder und einem außergewöhnlich
reichen Erfahrungshintergrund aus der sonderbaren und zugleich
unvergleichlich faszinierenden Welt der Orchestermusiker. Eine
vergnügliche und sehr informative Lektüre für jeden
Konzertbesucher, in der das Themenspektrum von eher technischen
Bereichen wie dem Ablauf einer CD-Produktion bis zu so manchen
Einblicken in das Seelenleben der Künstler reicht. Michael Wackerbauer