Ein Seminar an der Lüneburger Leuphana Universität beleuchtete
verschiedene Formen der Musikvermittlung
„Muss man Musik verstehen, um sie genießen zu können?“ oder
anders gefragt: „Schafft das Verständnis einen Zugang
zur Musik, der qualitativ hochwertiger ist, als es beim bloßen
Hören der Fall wäre?“
Fragen wie diese bildeten den Ausgangspunkt eines Seminars an
der Leuphana Universität Lüneburg, das im Sommersemester
2007 unter dem Titel „Musikvermittlung – Kinderkonzerte“ stattfand.
Lydia Wittmoser, Musikpädagogin und langjährige Dozentin
an der Leuphana Universität hat selbst bereits zahlreiche
Kinderkonzerte durchgeführt (siehe auch nebenstehendes Interview)
und weiß so um die damit verbundene Problematik, die genügend
Material für ein ganzes Seminar bot: Zum einen wächst
eine Generation heran, der die klassische Musik fremd bleiben wird,
wenn ihr nicht der entsprechende Zugang dazu ermöglicht wird.
Zum anderen müssen die Orchester um ihre Zukunft fürchten,
wenn schon jetzt das Durchschnittsalter der Besucher in aktuellen
Studien auf 55 Jahre ermittelt wird und die jüngere Generation
bei dem Wort „Sinfonie“ an ein Haarshampoo denkt.
„
Musikvermittlung“ oder „Konzertpädagogik“ sind
Begriffe, die in diesem Zusammenhang neue Aktualität erhalten. – Neue
Aktualität deshalb, da auch sie bereits ihre Geschichte haben:
Schon in den 70er-Jahren wurden im Rahmen der kultur- und bildungspolitischen
Reformen Kinderkonzerte veranstaltet, die mit der Erweiterung des
Publikums am Sockel des elitären Kunstbegriffes nagen sollten.
Mehr sachlich denn pädagogisch orientierte Einführungen
gaben den Kindern seinerzeit einen Einblick in das akustische Geschehen.
Doch angesichts der bereits erwähnten Reizüberflutung
und der stetig anwachsenden Anzahl von Medien muss diese Art der
Vermittlung heute als unzeitgemäß und hölzern empfunden
werden. Und so gibt es eine Vielzahl von Modellen oder einzelnen
Ideen, die erkennen lassen, dass sich bereits ein regelrechter
Markt für Kinder- oder Familienkonzerte etabliert hat, auf
dem um die Gunst der jungen Hörer – und ihrer Eltern – gebuhlt
wird.
Und wieder können zwei Interessen festgestellt werden: Zum
einen möchte man den folgenden Generationen – aus welcher
Motivation auch immer – den Zugang zur klassischen Musik
durch angemessene Vermittlung eröffnen. Zum anderen geht es
um einen Markt, der noch jung und ausbaufähig ist, aber – wie
jeder Markt – auch eine gewisse Verantwortung in sich birgt.
Diese beiden Interessen fügten sich nun in dem Seminar der
Leuphana Universität Lüneburg in der Weise zusammen,
dass daran sowohl Studenten des Studiengangs Lehramt für Grund-,
Haupt- und Realschulen als auch der Angewandten Kulturwissenschaften
teilnahmen. Da sich beide Studiengänge im Fach Musik treffen,
wurde damit eine optimale Grundlage geschaffen, um das Thema „Musikvermittlung“ unter
beiden Aspekten zu betrachten. Ziel war dabei nicht der Versuch,
einen Beitrag zur Ausbildung für das Berufsfeld der Musikvermittlung
zu leisten. Dies – so wurde den Teilnehmern schnell deutlich – bedürfe
eines umfangreicheren und aufwendigeren Programms. Vielmehr sollte
das Seminar einen möglichst breiten Einblick in das Angebot
der unterschiedlichen Modelle und Ideenansätze vermitteln,
die qualitativen Unterschiede herausarbeiten und den Blick für
verschiedene Methoden schärfen.
Aus diesem Grund gab es neben den theoretischen Beiträgen
die Verpflichtung für die Studenten, die verschiedensten Familien-
oder Kinderkonzerte zu besuchen und sie dem Seminar vorzustellen.
Auf diesem Wege wurde deutlich, welchen Anspruch die Initiatoren
an ihre Arbeit stellten: Während Katrin Maschmann im Lübecker
Theater mit einer pädagogisch anspruchsvollen Moderation unter
Einbeziehung der Kinder um Verständnis und intensives Hören
der „Wassermusik“ bemüht war, war Anne-Katrin
und Manuel Gera mit ihrem Konzert „Die Orgelpfeife Wanda“ in
der Hamburger Laeiszhalle überwiegend an der Unterhaltung
der Kinder gelegen.
Viele Varianten und Mischformen von Konzerten lagen innerhalb
der Bandbreite dieser Beispiele und so wurde der Blick, unter dem
die
Beurteilung einer Veranstaltung vorgenommen werden kann, für
die Studenten geschärft. Die qualitativen Unterschiede dieser
Konzertbeispiele beruhen nicht zuletzt auf der Kompetenz der Initiatoren,
deren Qualifizierung deswegen ein weiterer Punkt der Seminararbeit
war: Mit einem Besuch bei der von Markus Lüdke veranstalteten
Fortbildung für Orchestermusiker zur Musikvermittlung und
der Vorstellung des in Detmold angebotenen Aufbau-Studiengangs
Musikvermittlung-Konzertpädagogik wurde deutlich, dass viele
Berufsmusiker eine Menge zu lernen haben, um im Umgang mit Kindern
das Interesse für ihre Profession zu wecken.
Wie dieser Anspruch allerdings schon erfolgreich umgesetzt wird,
zeigte die Vorstellung einiger internationaler Konzepte, wie es
die Berliner Philharmoniker zum Vorbild haben. Das von Sir Simon
Rattle geleitete Education-Programm sieht einen intensiven Dialog
mit Schülern, Schulen und Lehrern vor, um gemeinsame Musik-Projekte
zu verwirklichen, was durch das Engagement von Musikern, Tänzern,
Pädagogen und einem Hauptstadt-adäquaten Budget getragen
wird.
Abgerundet wurde der Seminarplan durch Beiträge zu „Organisation
und Management von Kinderkonzerten“ und den Besuch Stefan
Meiers, Vorsitzender von „Musik 21“, der sich im Bereich
der Neuen Musik um die Kontaktaufnahme zur jüngeren Generation
bemüht. So wurde im Laufe des Semesters allen Teilnehmern
deutlich, warum das Crossover der Studiengänge in diesem Seminar
sinnvoll ist: Sie erkannten, dass die Vermittlung – und damit
auch die Zukunft – der Kunstmusik eine gemeinsame Aufgabe
darstellt, die weder allein an die Schulen abgegeben werden kann,
noch in einzelnen, versprengten, gut gemeinten Kinderkonzerten
gelöst wird. Und so war dieses Seminar an der Leuphana als
erster Schritt zu verstehen, um einem gemeinsamen Ziel näher
zu kommen: Die intensive Zusammenarbeit von Schule, Orchestern,
Lehrern, Musikern und Konzertpädagogen, um den kommenden Generationen
diese Musik zu erschließen und allen Schülern das Angebot
zu machen, sie als bereichernde Erfahrung zu erleben.
Britta Voss/Julia Bähre von Oertzen
Für Qualität sensibilisieren
Lydia Wittmoser im Gespräch über die Intentionen ihres
Seminars
neue musikzeitung: Welche Erfahrungen bildeten
für Sie den Hintergrund, um das Seminar „Musikvermittlung – Kinderkonzerte“ anzubieten? Lydia Wittmoser: In den 1980er-Jahren hatte
ich das große Glück, Hermann Große-Jäger
und seine wertvolle, unermüdliche Pionierarbeit auf dem
Gebiet der deutschen Konzerte für Kinder zu erleben. Da
ich zu diesem Zeitpunkt bereits selber fest in der Lehrerfortbildung
für das Fach Musik verankert war, habe ich in Anlehnung
an dessen Konzept selber zunächst zehn Jahre lang in Lippstadt
und später in Lüneburg bis zu meiner Tätigkeit
an der hiesigen Universität Konzerte für Kinder konzipiert,
gestaltet und moderiert.
nmz: Welches Konzept haben Sie diesen Konzerten
zugrunde gelegt? Wittmoser: Wichtiger Bestandteil war für
mich der Weg über die Schule, um wirklich alle Kinder zu
erreichen. Es konnten sich die Institutionen Schule und Theater
einander nähern und gegenseitige Hemmschwellen abbauen.
Hierzu bildete eine jeweilige Lehrerfortbildungsveranstaltung,
die circa acht Wochen vor einem Konzert an interessierte Lehrer
auf das Konzert zugeschnittenen Unterrichtsanregungen praxisnah
herantrug, das Kernstück. Die Schüler kamen so bereits
vorbereitet in das jeweilige Konzert. Die unterstützenden
Maßnahmen – Kinderbeteiligung durch Bewegungsspiele,
Lieder, dargebotene Tänze/Szenen, Programmhefte und eingeblendete
Kinderzeichnungen – wurden von Schülern vorbereitet.
nmz: Das klingt nach einem aufwendigen Einsatz!
Fanden Sie entsprechende Unterstützung bei den Beteiligten? Wittmoser: Neben vielen positiven Erfahrungen
machte ich hier seinerzeit leider auch die Erfahrungen, von
denen aus der Vergangenheit immer wieder zu hören ist. Die Konzerte
für Kinder wurden in der Regel an den zweiten Dirigenten
des Hauses ‚delegiert‘, und diese Stelle wurde mehrfach
neu besetzt, so dass es an Kontinuität fehlte. Auch waren
nicht alle Musiker gerne bereit, für Kinder auch mal ein
paar Töne außerhalb der Pflicht zu spielen. Man kann
das nicht verallgemeinern, aber es fehlte vielfach an pädagogischem
Interesse. Die Funktion des „Motors“, die ich dort
freiwillig eingenommen habe, hatte keinen wirklichen Platz.
nmz: Welche Zielsetzungen haben Sie mit dem
Seminar verfolgt? Wittmoser: Durch die unterschiedlichsten Beweggründe
sind Konzerte für Kinder zur Zeit „en vogue“.
Dabei ist nicht alles, was angeboten wird, pädagogisch zu
befürworten. Insofern war es ein Ziel der Veranstaltung,
ansatzweise für Qualität zu sensibilisieren. Es war
mir sehr wichtig, möglichst viele Veranstaltungen im Großraum
Hamburg mit den Studierenden zu besuchen. Gemeinsam erarbeitete
Beobachtungsaufträge wurden ausgeführt, Videoaufzeichnungen
gemacht und im Plenum des Seminars diskutiert. Auf diese Weise
konnte eine beachtliche Vielfalt zusammengetragen und von zwei
Seiten – Pädagogik und Kulturwissenschaft – diskutiert
werden. Wichtig ist für mich, darauf hinzuweisen, dass an
der Leuphana Universität Lüneburg im Fach Musik keine
Ausbildung zum Musikvermittler angestrebt, sondern dass der vielschichtige
Bereich der Musikvermittlung, seine Entwicklung in Deutschland
und der aktuelle Stand akzentuiert und theoretisch beleuchtet
wird. Studierende des Faches Musik werden für das Thema
interessiert, sensibilisiert und können eigene Wege finden,
aktiv zu werden, Qualität sicherer zu beurteilen.