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nmz-archiv
nmz 2007/12 | Seite 44
56. Jahrgang | Dez./Jan.
Rezensionen
Kurz vorgestellt
CDs
Evgeny Mravinsky dirigiert Werke von Schostakowitsch (Sinfonien
5, 10, 12), Tschaikowsky, Mussorgsky, Mozart, Beethoven, Wagner
und anderen.
Leningrad Philharmonic Orchestra, Evgeny Mravinsky.
Erato 2564 69890-5 (12 CDs)
Allzu sehr tendieren unsere musikalischen Bewertungshierarchien
zu einfachen Polarisierungen. Als alles andere dominierende Antipoden,
was die Interpretation um die Mitte des 20. Jahrhunderts betrifft,
werden normalerweise Toscanini und Furtwängler genannt. Ohne
an ihrer Größe zu kratzen müssen aber Namen genannt
werden, die eigentlich das gleiche Gewicht haben. Zu ihnen gehört
an vorderster Stelle der russische Dirigent Evgeny Mravinsky. Das
dokumentiert nachdrücklich diese schöne Zusammenstellung
von Aufnahmen mit der Leningrader Philharmonie aus den Jahren 1964
bis 1984. Mravinsky starb 1988 und war bis dahin unglaubliche 50
Jahre lang Chefdirigent dieses Orchesters. Sein Einsatz für
Schostakowitsch ist Legende, niemand hat bis heute die Intensität
und die Tiefe dieser Musik so nachdrücklich ausgearbeitet.
Es entstanden Klangbilder, die fragen, ob etwa die Fünfte
Apotheose oder doppelbödige Kritik oder ob die Zehnte eine
Anti-Stalin-Sinfonie sei, als marginal in Bereiche des Vormusikalischen
verweisen. Hart im Klang, klar in der Struktur, feurig beseelt
in der Emotionalität steht die Musik vor uns, weit über
den vorgeschobenen Spiegelgefechten. Und diese Besessenheit im
Dienste der Musik, die keine lässige Haltung und keine Unentschiedenheit
gegenüber den Kompositionen zuließ, klingt uns ebenso
in den anderen Werken entgegen. Hier hat einer in Bereiche gelotet,
von denen man oft nur träumen kann.
Helmut Lachenmann: Streichquartette (Grido, Reigen seliger Geister,
Gran Torso).
Arditti String Quartet.
Kairos 0012662KAI
Die drei Quartette (1971/72, 1988/89 und 2001/02)
von Helmut Lachenmann markieren, so die allgemeine Meinung, drei
völlig unterschiedliche
Positionen des Komponisten und spiegeln seinen stets genau reflektierten
schöpferischen Gang wider. Hier stehen sie in zeitlich umgekehrter
Folge und – o Wunder! – sie schlagen einen ganz selbstverständlichen
Bogen. Es ist immer Musik, die sich mit brennender Unbedingtheit
in ihrer Existenz befragt. Und immer ist es ein Ringen nach verborgener,
noch nicht gehörter Schönheit in den Grenzbereichen,
die immer schon Heimat großer Kunst gewesen sind. Das Arditti
Quartet hat sich heute (nach einer Phase von freilich höchst
professioneller Glättung) wieder eine Differenziertheit und
dialektische Spannung im Zusammenspiel erarbeitet, die das Hören
dieser Lachenmann-Quartette zur Lust macht.
Donaueschinger Musiktage 2006 (Werke von Ole-Henrik Moe, Saed
Haddad, Wolfgang Rihm, Julio Estrada, Georg Friedrich Haas, Jörg
Widmann, Martin Smolka, Wolfgang Mitterer, Mauricio Kagel und Alberto
Posadas).
Diverse Interpreten.
Neos 10724, 10725, 10726, 10727
Die Dokumentation des zurückliegenden Jahrgangs der Donaueschinger
Musiktage ist immer ein Ereignis. Man kann prüfen, wie sehr
die erhitzten Diskussionen um Stagnation beziehungsweise Innovation,
die sich jährlich ums Festival ranken, einem zweiten Hören
standhalten. Und die CDs präsentieren nun einfach Musik, die
dem Druck des Sich-Stellens an der Front der Auseinandersetzung
enthoben ist. Ob ein launiger Kagel, ein differenziert in alte
Welten der Barockmusik (und ihren Stimmungen) lauschender Smolka
oder ein der Seance naher Estrada, alles reiht sich nun ein in
das Kaleidoskop gegenwärtiger Musik. Ein fast schon unverzichtbarer
Entzerrungs-Spiegel eines Fixpunktes zeitgenössischer Musik.