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nmz-archiv
nmz 2007/12 | Seite 35
56. Jahrgang | Dez./Jan.
Deutscher
Tonkünstler Verband
Nur billige Arbeitskräfte?
Zum Protestkonzert von Lehrbeauftragten in Stuttgart
„Froh zu sein bedarf es wenig, doch bald habt ihr uns erledigt“ – mit
dieser Neufassung des bekannten Kanons von Heinrich Leberecht August
Mühling machten rund 70 Lehrbeauftragte an baden-württembergischen
Musikhochschulen in Stuttgart auf ihre Probleme aufmerksam. Fernsehen
und Tageszeitungen berichteten über die als Protestkonzert
organisierte Kundgebung, die auch auf die Lage der Lehrbeauftragten
in den übrigen Bundesländern hinweist.
Warum gehen Musiker auf die Straße? Üblicherweise, um
ihr Einkommen aufzubessern. So gesehen war das Konzert am 23. Oktober
auf dem Stuttgarter Schloss
platz nichts Besonderes. Vor allem im Sommer oder wie jetzt in
der Vorweihnachtszeit bevölkern wahlweise Obdachlose mit Gitarre,
ausländische Perkussionsgruppen oder gelegentlich auch Musikschüler
und -studierende die Straßen und Plätze, den aufgeklappten
Instrumentenkoffer vor sich, für einen Obolus der Passanten
spielend. Auch an die Straßenauftritte vorwiegend osteuropäischer
Musikdozenten, die in ihren Heimatländern vergleichsweise
lächerlich wenig verdienen, hat man sich gewöhnt. Aber
jetzt stehen da schon die eigenen Leute, wenn auch nicht als Straßenmusiker,
sondern als Demonstranten, die eine bessere Bezahlung für
ihren Berufsstand fordern. Aktionen dieser Art kennt man von professionellen
Musikern sonst nicht. Jammern die Lehrbeauftragten im finanziell
so gut gestellten Südwesten mit seinen fünf Staatlichen
Musikhochschulen nicht doch auf sehr hohem Niveau?
Mitnichten, stellt Ulrike Höfer, die Vertreterin der Lehrbeauftragten,
in ihrer Rede klar. Sonst ließen Musiker traditionellerweise
vor allem Töne sprechen. Im Fall der Lehrbeauftragten aber
liege „lupenreine Ausbeutung“ vor – dies ist
keine Behauptung von Seiten Ulrike Höfers, sondern die von
ihr zitierte Aussage eines Prorektors an einer deutschen Musikhochschule.
Denn die Vergütungslage ist dem Ministerium für Wissenschaft,
Forschung und Kunst und dem Finanzministerium des Landes schon
lange bekannt. Seit 1987, also seit 20 Jahren, wurden die Bezüge
der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen nicht mehr angepasst.
Zwar erhielten die Hochschulen 2001 die Erlaubnis, die Honorare
um bis zu 30 Prozent zu erhöhen, ein weiterer Erlass des Finanzministeriums
vom Mai 2007 gestattet Freiheiten bei der Honorierung der Lehrbeauftragten
je nach Bedeutung des Unterrichts oder anderen „besonderen
Umständen“. Aber für eine Umsetzung der Beschlüsse
gab es keine zusätzlichen Haushaltsmittel vom Land Baden-Württemberg.
Vielmehr wurden den Musikhochschulen die Gelder im Rahmen globaler
Minderausgaben gekürzt. Dadurch schwand auch die Hoffnung,
höhere Honorare mittels Studiengebühren finanzieren zu
können.
In einem Schreiben an den Ministerpräsidenten und die betroffenen
Ministerien kritisierten die Lehrbeauftragten im Vorfeld der Stuttgarter
Protestveranstaltung – die in Freiburg fortgesetzt wurde – die
Entscheidungen auch aus anderen Gründen: Bei den Vergütungen
gebe es zwar eine Ober-, aber keine gesetzlich geregelte Untergrenze
(das niedrigste Honorar in Baden-Württemberg liegt bei derzeit
22 e je Unterrichtseinheit, die Vorbereitungszeit wird nicht honoriert).
Zudem übe der aktuelle Erlass Druck aus auf die Hochschulen,
die sich trotz Sparzwängen profilieren müssten, um ihren
Erhalt zu sichern. Doch vor allem sei die Vergütung des Hochschulpersonals
Landessache, somit stelle auch eine Honorarerhöhung durch
Studiengebühren keine Lösung dar.
Ulrike Höfer und die anderen Vertreter aus Freiburg, Stuttgart,
Karlsruhe, Mannheim und Trossingen sprechen keineswegs für
eine kleine Minderheit. Rund 40 Prozent des anfallenden Unterrichts
an den Musikhochschulen im Land wird mittlerweile von Lehrbeauftragten
geleistet. Ursprünglich waren sie als Ergänzung zu den
Professoren gedacht, doch aufgrund reduzierter Mittel und damit
fehlender fester Stellen nahm die Zahl der Lehraufträge im
Lauf der Zeit zu. In anderen Bundesländern liegt ihr Anteil
zum Teil noch deutlich höher.
In den meisten Fällen übernehmen die freiberuflichen
Lehrbeauftragten, also Akademiker mit Musikhochschul- oder Universitätsabschluss
zum Beispiel im Bereich Musikwissenschaft, die gleichen Aufgaben
wie die finanziell weit besser gestellten Professoren. Doch das
Honorar der Lehrbeauftragten wird während der Semesterferien
oder im Krankheitsfall ausgesetzt. Ihre Verträge werden nur
von Semester zu Semester erneuert, ohne dass deshalb ein Anspruch
auf Weiterbeschäftigung bestünde, was den Hochschulen
zwar ein auf die Bedürfnisse zugeschnittenes Unterrichtsangebot
ermöglicht, aber zu Beschäftigungsunsicherheit bei den
Lehrkräften führt. Für Kritik sorgt auch, dass die
Zahl der Unterrichtswochenstunden für die Lehrbeauftragten
begrenzt ist, um möglichen Ansprüchen auf eine hauptberufliche
Beschäftigung zuvorzukommen. So müssen die Hochschulen
auch keine Sozialbeiträge abführen.
Auf dieser Grundlage könne nicht länger eine verantwortungsvolle
Arbeit gerade in der Ausbildung von künftigen Berufsmusikern
geleistet werden, lautete die einhellige Meinung der Lehrbeauftragten
und studentischen Vertreter in Stuttgart. Gerade die musikalisch-pädagogische
Tätigkeit, die die höchste berufliche Qualifikation und
zeitaufwändigste Unterrichtsvorbereitung erfordere, dürfe
nicht zum unterbezahlten Nebenjob verkommen.
Auch in anderen Studieneinrichtungen wie etwa den Universitäten
gibt es Missstände in der Vergütung von Lehrbeauftragten.
Doch an den Musikhochschulen ist der Anteil an Unterricht, der
von schlecht bezahlten und ungenügend abgesicherten Lehrkräften
gehalten wird, besonders hoch. Ein zunehmend kritisches Bewusstsein
der eigenen Lage hat sich auch in anderen Bundesländern entwickelt:
Vertreter der Musikhochschulen Frankfurt/Main, München und
Würzburg bekundeten den Kollegen in Baden-Württemberg
ihre Solidarität, auch der Deutsche Tonkünstlerverband
e. V. (DTKV) unterstützte in einem Grußwort die Interessen
der Lehrbeauftragten. Diese fordern vom Land nach der jahrzehntelangen
Verschleppung ihrer Angelegenheiten eine deutliche Honorarerhöhung
als Inflationsausgleich und eine jährliche Anpassung der Honorarsätze
analog zu den Tarifen im Öffentlichen Dienst.
Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) beteiligte
sich an der Aktion. Kunst- und Musikhochschulen führten in
der offiziellen Wahrnehmung ein Schattendasein, so der GEW-Landesvorsitzende
Rainer Dahlem, der sich für eine Unterstützung der Hochschularbeit
auch jenseits von Exzellenzinitiativen aussprach. Johannes Stober,
Mitglied der SPD-Landtagsfraktion und des Wissenschafts- und Umweltausschusses
im Landtag, kritisierte
den im März des Jahres unterzeichneten Solidarpakt II, der
die Hochschulen vor allem beim Ausbauprogramm 2012 finanziell stark
in die Pflicht nehme. Dabei brauchten die Hochschulen im Gegenteil
mehr Geld vom Land, um die Situation in der Lehre zu verbessern.
Nicht verwunderlich, dass sich die Lehrbeauftragten zunehmend
als Spielball im Streit zwischen Hochschulen und Landesregierung
um
Haushaltsmittel und Lehrinhalte begreifen. Für eine angemessene
Entlohnung werden sie wohl noch eine Weile kämpfen müssen – notfalls
wieder auf der Straße.
Ines Stricker
Zur Situation der Musikdozenten erschienen bereits: „Lehrbeauftragte
an Hochschulen für Musik – eine unterprivilegierte Gruppe“ von
Dr. Dirk Hewig, 2. Vizepräsident im DTKV (nmz 3/05) sowie „Gewachsenes
Unrecht – Zur Situation der Lehrbeauftragten an Hochschulen
für Musik“ von Markus Bellheim (nmz 5/05).