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VdM
nmz-archiv
nmz 2007/12 | Seite 32
56. Jahrgang | Dez./Jan.
Verband deutscher Musikschulen
Freunde der Rockmusik werden auch älter
Angebote der öffentlichen Musikschulen für die Altersgruppe „50+“
Der Verband deutscher Musikschulen (VdM) hat in einer Blitzumfrage
seine Mitgliedsschulen befragt, was für Musikangebote sie
den erwachsenen, älteren und sehr alten Menschen machen. Ein
erster Blick auf die Ergebnisse:
Längst haben Unterrichtsangebote für Erwachsene in den
VdM-Musikschulen Tradition, vor allem Instrumentalunterricht für
Wie-dereinsteiger und Neueinsteiger. Dies gilt besonders für
Menschen im dritten, nachberuflichen Lebensabschnitt, seltener
für Menschen im vierten Lebensabschnitt, die Hochbetagten.
Die musikalisch aktiv Gebliebenen und die Wiedereinsteiger spielen
besonders gerne Kammermusik. Im Vordergrund steht die Anwendung
des Gelernten beziehungsweise die Fortsetzung der bisherigen persönlichen
Musikpraxis. Generationsübergreifende Projekte bilden einen
hohen Prozentsatz. Vor allem sind dies Musicalprojekte, in denen
neben Kinder- und Jugendlichenrollen auch Erwachsenenpartien zu
besetzen sind, sehr oft auch generationsübergreifende Ensembles
wie Orchester und Bands. Sympathisch sind auch Musikschulensembles,
die in Alteneinrichtungen mit den dortigen Bewohnern zusammen musizieren.
Häufiger allerdings sind altershomogene Projekte, in denen
die Älteren und Alten unter sich sind: in Instrumentalensembles,
Sing- und Tanzkreisen.
Eine starke Nachfrage gibt es für Veranstaltungen mit Bildungscharakter.
Meist handelt es sich dabei um Musikgeschichtskurse und Konzerteinführungen
mit anschließendem gemeinsamen Konzertbesuch. Gut angenommen
werden auch Kurse „quer durch die Musik“: Man probiert
verschiedene Instrumente aus, geht zu einem Musikgeschichtsvortrag
oder singt etwas, probiert erstes Instrumentalspiel oder besucht
eine Rhythmikstunde. Die Besichtigung einer Instrumentenfabrik
oder einer Musikeinrichtung schließt sich an … Häufiger
werden Angebote in Elementarer Musikpädagogik (EMP). Sie bewährt
sich als künstlerisch-päda-gogische Praxis, die für
alle Lebensalter geeignet ist, auch für hochalte Menschen,
besonders für solche, die kein Instrument zu spielen gelernt
haben oder die dies jetzt nicht mehr spielen können. Die EMP
ermöglicht auch im hohen Alter Musikpraxis, Erfahrungen und
Erlebnisse musikalischer Grundprinzipien, die Förderung der
bewegungsmäßigen, stimmlichen oder instrumentalen Ausdrucksfähigkeit
und des gemeinsamen Musizierens.
Auf dem Vormarsch befindet sich die Rockmusik mit immer mehr
Rockbands mit Älteren. Denn die Menschen finden im Alter nicht – wie
oft vermutet wurde – wie selbstverständlich zur Klassik,
sondern zur Musik ihrer Jugend zurück. Bald werden in den
Alteneinrichtungen ganz andere Klänge zu hören sein,
wenn dort die Freunde der Rockmusik einziehen. Auch Aktiv-Angebote
nehmen stark zu. So schlagen Musikschulen Alteneinrichtungen Kurse
vor, in denen die Menschen nicht nur bespielt werden, zum Beispiel
mit Schülerkonzerten, sondern in denen sie selbst aktiv werden,
singen, sich bewegen, einfaches Instrumentalspiel praktizieren
und über Musik sprechen.
Als Bewegungsangebote gibt es Fol-kloretanz, Sitztänze, Rhythmik,
Tai Chi, „Tanz gegen Alzheimer“, „Spaß am
Tanzen entdecken und dabei sportlich etwas tun“, gemischte
Kurse wie „Rhythmus – Bewegung – Stimme“.
Hier lernen die Musikschulen von den Sportverbänden.
Die Musikschulen entwickeln auch zunehmend Angebote für Menschen
mit abnehmender Mobilität, für Sitzende und Liegende,
für die „Slow-Goes“ und die „No-Goes“.
Die Projekte für den vierten Lebensabschnitt (Hochalte) haben
häufig Begegnungscharakter, einen sozialen Zweck. Um die Musik
herum wird geklönt, bei Kaffee und Kuchen.
Die meisten Maßnahmen der Musikschulen für Menschen
im dritten und vierten Lebensabschnitt finden – je älter
die Teilnehmer/-innen sind und je mehr Mobilitätsprobleme
sie haben – verständlicherweise in den Alteneinrichtungen
selbst statt. Die Projekte dort werden teils von den Heimen, teils
von den Bewohnern in Form von Teilnehmerbeiträgen bezahlt.
Dabei gibt es Mischfinanzierungen aus beiden.
Im Vergleich zu den Angeboten für Kinder und Jugendliche bestehen
Unterschiede bei der Zeitorganisation. Häufig finden für
Menschen im dritten und vierten Lebensabschnitt zeitlich befristete
Projekte statt. Man experimentiert mit Angeboten, die „Clubcharakter“ haben,
mit offenen Angeboten, die nicht zum regelmäßigen Besuch
zwingen, denn nicht alle Älteren wollen oder können sich
kontinuierlich und längerfristig binden. Man will mal verreisen,
will noch etwas anderes ausprobieren, ist auch mal krank. Daher
finden oft Einzelworkshops statt oder Kurse, die auf ein halbes
Jahr oder auf wenige Termine begrenzt sind: „Beginn nach
der Gartensaison, Ende mit Beginn der Weihnachtsaktivitäten“ (Hoyerswerda).
Es gibt „Flexi-Karten“ mit geringer Stundenzahl, die
mit den Lehrkräften terminlich frei verabredet werden können.
Selbstverständlich müssen Musikschullehrkräfte für
die Arbeit mit Älteren und Alten speziell qualifiziert werden.
Diese bewirken dann prompt eine steigende Nachfrage. Die Ausbildungen
heißen Erwachsenen- oder Seniorenpädagogik oder Musikgeragogik.
Interessant sind methodische Erfahrungen, wie sie die Musikschule
Bannewitz dem VdM in einem Zwischenbericht gegeben hat. Dort wurde
Erwachsenenunterricht als wissenschaftlich begleitetes Projekt
durchgeführt, gemeinsam mit drei anderen europäischen
Musikschulen. Ein Ergebnis war unter anderem, dass Erwachsene und ältere
Schüler selbstkritischer als Kinder sind. Es muss daher möglichst
genau nachgefragt werden, was die Kunden im Unterricht machen wollen,
da sonst leicht Frustration und Enttäuschung aufkommen. Erwachsene,
die öfters überfordert werden oder sich auch nur überfordert
fühlen, beenden schnell den Unterricht. Große Freude,
so ein weiteres Ergebnis, empfinden sie vor allem am gemeinsamen
Musizieren, sei es mit dem Lehrer oder mit anderen Schülern.
Voraussetzung dafür ist, ausreichend Literatur parat zu haben,
die genau dem Kenntnisstand des Schülers entspricht.
Der VdM erarbeitet zurzeit eine Handreichung für seine Mitglieder,
in der die Ergebnisse der Umfrage dokumentiert und transferfähige
Projekte als Anregungen zu ähnlichen Angeboten genauer beschrieben
werden. Zusammen mit namhaften Fachleuten wird außerdem ein
Fortbildungsangebot entwickelt. Die Ausschreibung hierzu wird in
Kürze veröffentlicht.