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nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 46
57. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Auf der Suche nach einer neuen Kunstform
Gluck-Zyklus mit Lothar Zagrosek im Konzerthaus Berlin
„Gluck. Gluck. Gluck.“ So prangte es auf großen
Plakaten vor dem Konzerthaus am Gendarmenmarkt und an anderen Orten
in der Stadt. Nicht ein neues Getränk wurde hier beworben,
sondern ein Zyklus dreier Opern Christoph Willibald Glucks in „konzertanten
Aufführungen mit Szene“. Kenner des Berliner Musiklebens
erinnerte es an das Projekt „Gluck-Gluck-Gluck“ der
Neuköllner Oper, jenes kleinen, entdeckungsfreudigen Hauses,
das im Herbst 1994 unter diesem Titel drei weniger bekannte Vaudeville-Komödien
Glucks an einem Abend zusammenfasste. Mit „Gluck. Gluck.
Gluck.“ wollten Lothar Zagrosek und das Konzerthausorchester
nun mit drei großen Werken den Opernreformer Gluck ins rechte
Licht rücken.
Szene
aus der Oper „Orfeo ed Euridice“. Beide Fotos:
Bernd Uhlig/Konzerthaus Berlin
Bitte beachten Sie den Videobeitrag zum Gluck-Zyklus unter:
www.nmzmedia.de
E.T.A. Hoffmann hatte 1809 in seiner Erzählung „Ritter
Gluck“ die mangelnde Gluckpflege in Berlin beklagt. Dies änderte
sich, nachdem Richard Wagner und Hector Berlioz den Komponisten
als Opernpionier gepriesen hatten. Dann wurde es wieder stiller
um Gluck. Die Forschung hat mittlerweile seine musikhistorische
Rolle etwas relativiert: der Komponist leistete wohl eher eine
Synthese verschiedener Nationalstile als eine tiefgreifende Opernreform
(die mehr vom Librettisten Calzabigi ausging). Unbestritten war
er aber ein Komponist von europäischem Format. Ebenso unbestritten
ist, dass seine Lebensgeschichte – sein Aufstieg aus einfachsten
Verhältnissen zum kaiserlichen Hofkomponisten in Wien – einem
spannenden Abenteuer gleicht.
Lothar Zagrosek und das Konzerthaus probierten mit Gluck eine
neue Kunstform aus: die konzertante Aufführung mit Szene. Damit
sollte, so die Programmverantwortliche Heike Hoffmann, eine Alternative
zu den üblichen konzertanten Opernaufführungen entwickelt
werden: „Wir wollen mit unserer Produktion die Geschichten
erzählen, eine Stringenz im Szenischen erreichen, ohne vorzugeben,
eine komplette Inszenierung anzubieten.“ Dies eröffnet
dem Konzerthaus neue Chancen für lohnende Werke, die den Opernhäusern
als nicht repertoiretauglich gelten. Werke wie die von Gluck.
Das neue Vermittlungskonzept richtete sich an Kenner wie Liebhaber.
Für Fachkundige gab es ein von Thomas Betzwieser geleitetes
Symposium unter dem Titel „Drama – Szene – Stimme:
Glucks Reformopern und ihre Interpretationen“, das nicht
zuletzt Fragen der historischen und aktuellen Aufführungspraxis
umkreiste. Ein Roundtable mit dem Produktionsteam des Konzerthauses,
dem Dirigenten Lothar Zagrosek und dem Regisseur Joachim Schlömer,
widmete sich der Umsetzung von Glucks Opern im aktuellen Opern-
und Konzertbetrieb.
Die Aufführungen begannen mit dem bekanntesten Werk, mit „Orfeo
ed Euridice“ (1762), vom Komponisten als „Azione teatrale
in musica“, das heißt „musikalische Theaterhandlung“ bezeichnet.
Die Regisseure Joachim Schlömer und Susanne Øglænd
zeigten den männlichen Helden als Rock- oder Punkmusiker,
passend zum energischen, unsentimentalen Zugriff von Lothar Zagrosek.
Links auf dem Podium saß das kammermusikalisch besetzte Konzerthausorchester,
während rechts davon Platz war für die Sänger sowie
einen großen schwarzen Kubus, der als Extrapodium und Projektionsfläche
diente. Da für jede Oper eine Probenzeit von nur vier Tagen
zur Verfügung stand, war das Szenische auf „aninszenierte
Bilder“, auf einfache Gänge, Gesten und Ortswechsel
beschränkt.
Schon Gluck hatte sich um Vereinfachung, um „bella simplicitá“,
bemüht, indem er musikalische Konventionen, Ornamente und
Koloraturen strich, die nicht unmittelbar dem Drama dienten. Auch
bei der Handlung konzentrierte er sich aufs Wesentliche. Bei der
musikalischen Tragödie „Alceste“ (1767), seiner
heute nur noch selten gegebenen zweiten Reformoper, hatte der Librettist
Ranieri de’ Calzabigi die Euripides-Vorlage stark gekürzt.
Die Handlung ist einfach: eine Frau opfert sich, um ihrem Mann,
dem thessalischen König Admeto, das Leben zu retten. Die jetzige
Aufführung (in der Originalfassung in italienischer Sprache)
machte noch radikalere Striche, so dass man sich fragt, warum nicht
gleich die stringentere französische Fassung verwendet wurde.
Grundzüge der Handlung waren Projektionen auf dem Kubus zu
entnehmen, etwa der bevorstehende Tod des Königs Admeto. Dann
ein übergroßes „ICH, ICH“ – Alceste
beschließt, sich zu opfern. Sie denkt an ihre Kinder, die
man minutenlang auf dem Bildschirm sieht (merkwürdigerweise
vor einer Wolkenkratzer-Szenerie).
Aber waren diese Text- und Bildprojektionen und die angedeuteten
Szenen auf dem Podium und einer mitten in den Saal führenden
Rampe wirklich notwendig? Hatte die Musik die Empfindungen nicht
viel deutlicher zum Ausdruck gebracht? Schon in der Ouvertüre
ließen Dissonanzen, dynamische Kontraste, abbrechende Phrasen
und Seufzerfiguren Trauer und Schmerz erleben. Lothar Zagrosek
brachte hier seine reichen Opernerfahrungen aus Leipzig und Stuttgart
ein, er schärfte den Klang des Konzerthausorchesters, raute
ihn auf und gab ihm zupackende, mimische Präsenz. Glucks dramatische
Musik wurde auf diese Weise sprechend und gegenwärtig. Angesichts
der Forderung des Komponisten nach einer dem Text dienenden Rolle
der Musik war es allerdings bedauerlich, dass der italienische
Text nicht zu verstehen war. Besonders bedauerte man dies bei den
Accompagnato-Rezitativen, einem zentralen Element von Glucks Reformen.
Für den wesentlichen Chorpart stand der RIAS-Kammerchor zur
Verfügung – ein Glücksfall. Er verkörperte
das thessalische Volk und wechselte ständig seine Auftrittsorte.
Christiane Oelze erlebte man ausdrucksvoll und flexibel als sich
aufopfernde Alceste, überzeugend auch Domink Wortig als Admeto
und der Tenor Johannes Chum als Evandro. Allerdings überraschte,
dass die Solisten beim Singen den Klavierauszug steif in der Hand
hielten und starr aufs Notenpult blickten, als sollten übliche
konzertante Opernaufführungen parodiert werden. Auch sonst
beschränkte sich das Szenische auf rituelle Formen, geometrische
Raumanordnungen, punktgenaue Auftritte und Abgänge. Diese
unterstrichen in ihrem erhabenen Stil die hierarchischen, von Göttern
gelenkten Gesellschaftsverhältnisse. Im Widerspruch dazu stand
Alcestes persönliche Entscheidung für den Opfertod, nicht
wirklich überzeugend dargestellt durch das Umkippen ihres
Notenpults. Überhaupt erschien der inhaltliche und ästhetische
Gewinn, den die szenischen Ergänzungen brachten, als eher
begrenzt. Die eigentliche Protagonisten, welche die künstlerischen
Reichtümer zu Tage förderten, waren Dirigent und Orchester.
Lothar Zagrosek und das Konzerthausorchester hatten vor einem
Jahr bei einer rein konzertanten Wiedergabe der frühen Mozartoper „La
finta giardiniera“ wahre Wunderdinge vollbracht, die die
hingefügte Szene nicht steigern konnte. Dennoch sollte dies
sie nicht abhalten, die Suche nach neuen Konzertformen für
die Oper fortzusetzen.