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nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 47
57. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Das intelligente Gespräch verstummt nicht
Zehn neue Streichquartette bei den Kasseler Musiktagen 2007
Motto muss sein. Also: „Lebenswelten – Kunstwelten“.
So lautete das Thema der diesjährigen Kasseler Musiktage,
bei denen Dieter Rexroth, der neue künstlerische Leiter, dramaturgische
Netzwerke in der Programmgestaltung ausspannte. Alles Nur-Additive
ist Rexroth fremd. So traten also Kunst und Leben in Kassel auf
als das unendliche Gegensatzpaar seit Menschengedenken – aber
auch als Verschlingung, Durchdringung, Identifizierung.
Was kann „Kunst“ im tradierten Sinn noch für eine
offene Gesellschaft bedeuten, die ihre gesellschaftlichen Grenzen,
ihre „Zirkel“ immer stärker aus dem Blick und
damit aus dem Bewusstsein verliert? Pessimisten sprechen bei Fragen
nach dem allgemeinen Kulturverständnis bereits von Erosionen,
und auch die Kasseler Musiktage werden diese Entwicklungen kaum
umkehren können. Doch sind sie in der Lage, Zeichen zu setzen
und in Globalisierungszeiten Ausschau zu halten nach vielleicht
noch intakten „Kultur-Leben-Gesellschaften“, von denen
Erkenntnisse zu gewinnen sind.
So schaute man sich also um in Asien, China, Aserbaidschan: Mugham
und Jazz, zeitgenössische Musik, Kurzfilme, Lesungen und Bildende
Kunst vermittelten informative Einblicke in Kultur und Leben dieser
Länder. Der prüfende Blick fiel freilich auch ins eigene,
abendländische Seelenleben, wo sich Gegenwart und Vergangenheit
kreuzten. So traten Klavierkompositionen Wolfgang Rihms mit Werken
von Schubert, Schumann, Bach und Beethoven in Dialog, wobei der
Pianist Markus Bellheim den Vermittler spielte. Und im Zentrum
standen acht Konzerte, in denen acht verschiedene Quartettformationen
sämtliche Beethoven’schen Streichquartette aufführten
und mit insgesamt zehn Uraufführungen junger Komponisten konfrontierten.
Neben Toshio Hosokawa, den man sicher nicht mehr zu den ganz „Jungen“ zählen
kann, hatten Luis Antunes Pena (Jahrgang 1973), Márton Illés
(1975), Richard Whilds (1966), Konstantia Gourzi (1962), Maximilian
Jehuda Ewert (1974), Tadeja Vulc (1978), Marc-Aurel Floros (1971),
Hauke Jasper Berheide (1980) sowie Alexander Muno (1979) Kompositionsaufträge
ausgeführt. Die Uraufführung besorgten so renommierte
Quartettvereinigungen wie das Quatuor Ysaÿe, das Tokyo String
Quartet, das Nomos-, das Keller-, das Athena- und das Kuss-Quartett,
das Auryn-Quartett und das Arditti Quartet.
Gewiss ist Beethovens Nähe mit Risiken verbunden – eingezwängt
zwischen drei „Rasumowskys“ (Opus 59) und dem „Dankgesang
eines Genesenen“ (Opus 132), erschienen manche der Uraufführungen
wie Zwerge unter Riesen. Wobei die Slowenin Tadeja Vulc und Maximilian
Ewert mit ihren durchaus gefälligen Stücken „Der
Puls“ und „Herito“ Glück hatten insofern,
als die Ardittis einmal mehr demonstrierten, dass sie zwar höchst
kompetent komplizierteste Novitäten zu exekutieren verstehen,
bei Beethoven aber, etwa in Opus 131, öfters wie überanstrengte
Novizen agierten. Trotz alledem ist festzustellen, dass sich einige
der neuen Streichquartett-Kompositionen respektabel im erdrückenden
Umfeld zu Ton und Wort melden konnten.
Hosokawa vor allem bewies mit dem Quartett „Blossoming“ wiederum
seine eigene Handschrift. Er denkt dabei an den Lotos, das Symbol
des Buddhismus: Tief im Schlamm verwurzelt, streckt er sich durch
die Wasseroberfläche dem Himmel entgegen. Hosokawa erfasst
diese Ausspannung in entsprechenden Tonlagen: eine Musik feinster
Schwingungen, gespinstartiger Lineaments, deren Pianissimo-Gestus
freilich einmal durch eine energisch-dynamische Eruption durchbrochen
wird: ein Gewitter?
Der Portugiese Luis Antunes Pena nennt sein Stück „Echo
und die unvermeidbare Natur des Übergangs“. Kräftige
Akkorde, fließende Bewegungen suggerieren eine Zeitstruktur,
am Ende verliert sich das Werk ein wenig in minimalistischen Floskeln.
Marc-Aurel Floros hatte in dem Werk „Grenzgänger“ innere
Klanglandschaften komponiert, fern jeder avantgardistischen Radikalität,
aber lebendig im Wechsel fließender Passagen und fast heftig
rhythmisierter Abschnitte. Blumenassoziationen auch bei Alexander
Munos „Fragments d‘un amour inachevé“.
Zarte Fliederblütenklänge münden in leidenschaftliche
Gesten, sie gehen im zweiten Abschnitt in einen elegisch-kontemplativen
Epilog über.
Etwas geschmäcklerisch ist das alles schon. Dafür überzeugte
Márton Illés „Torso V“ durch kraftvolles
lineares Vorantreiben komplexer Raumstrukturen, woraus sich entsprechende
Klangspannungen ergeben. Das Wichtigste an diesem Projekt war wohl,
dass sich die Gattung Streichquartett einmal mehr in ihrer sehr
gegenwärtigen Vitalität darstellte. Das musikalische „Gespräch
unter vier intelligenten Personen“ erscheint um so wichtiger,
weil sich in unserer Lebenswirklichkeit das Gespräch mehr
und mehr zu gestanzten Worthülsen nivelliert. Die Kasseler
Musiktage arbeiteten gleichsam thematisch-musikalisch gegen das
reale Geplapper an. Dafür Dank!