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nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 49
57. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Die Ruhmeshallen für das kreative Hören öffnen
Körber-Stiftung und Elbphilharmonie beleben den Dialog zur
Rolle der Musikvermittlung an Konzerthäusern
Als Luxemburg im Jahr 2007 den Titel Kulturhauptstadt Europas
tragen durfte, beauftragte die Philharmonie Luxemburg im Rahmen
des Großprojekts „Babel 2007“ Violeta Dinescu
mit einer Komposition für Orchester und zwei Amateurchöre.
In der Mitte ihres Werkes „An den Strömen Babylons“ ließ die
Komponistin einen Leerraum. Diesen füllten Schüler aus
vier Nachbarregionen Luxemburgs in Workshops mit ihrer eigenen
Kreativität. Es entstanden vier Varianten des Stücks,
dem somit das Paradox einer vierfachen Uraufführung zuteil
wurde.
Kinder und Jugendliche am Entstehungsprozess von Musik teilhaben
zu lassen, sie gar aktiv an ihrer Komposition zu beteiligen, gehört
zu den erprobten Mitteln dessen, was man heute unter dem mehr und
mehr im Nebel inflationären Gebrauchs verblassenden Begriff
Musikvermittlung versteht. So war es nicht bloß die Sehnsucht
nach internationalem Flair, welche die Verantwortlichen von Elbphilharmonie
und Körber-Stiftung dazu bewogen hatte, ihrer Hamburger Tagung
zur Rolle von Musikvermittlung an Konzerthäusern den englischen
Titel „The art of music education“ zu geben. Die Hoffnung,
auf diese Weise der babylonischen Sprachverwirrung zu entkommen,
in die sich Diskussionen über diesbezügliche Begrifflichkeiten
und ihre Inhalte gerne zu verzetteln pflegen, erfüllte sich
fast. Die mit einiger Berechtigung eingeforderte Abgrenzung der
Bereiche „education“, Vermittlung, „audience
development“, Bildung oder Marketing voneinander mögen
auf künftigen Veranstaltungen geleistet werden, das Anliegen
der Hamburger Kongressplaner war ein anderes: die Verantwortlichen
von Konzerthäusern darüber miteinander ins Gespräch
zu bringen, wie diese einem sozial und altersbezogen möglichst
breitem Publikum zu öffnen wären.
Die
Vermessung des Publikums: Ascan Mergenthaler vom Architekturbüro
Herzog & de Meuron erläutert die akustischen Planungen
für die Hamburger Elbphilharmonie. Foto: Koch
Zur Belebung dieses Dialogs nahm die Tagung einen Verlauf, der
jener Luxemburger Reise nach Babel nicht unähnlich war: Am
zweiten der drei Tage wurden die Teilnehmer in eine Art kontrollierte
Improvisation entlassen, die der Gesprächskreativität,
welche die Kaffepausen solcher Unternehmungen häufig dem eigentlichen
Programm voraus haben, Entfaltungsspielraum geben sollte – eine
Methode, die nicht umsonst den Namen „World Cafe“ trägt.
Die in immer neuen Konstellationen zusammengewürfelten Kaffeekränzchen
entwickelten zwar nicht durchweg die gewünschte zielgerichtete
Eigendynamik, doch brachten die Zufallsbekanntschaften mit Sicherheit
Horizonterweiterungen, die anders nicht zu bekommen gewesen wären.
Vielleicht hatten die Gastgeber auch unterschätzt, welche
Anziehungskraft das Thema auf viele Interessierte ausübte,
denen es mehr um die Sache „education“ als um die Institution
Konzerthaus ging. Bei der Vielfalt der Perspektiven, die sich in
den kleinen Rotationsrunden auftaten, konnte die Tageszusammenfassung
nicht mehr zum Ergebnis haben als eine Liste virulenter Themen,
die jeder vermutlich auch alleine vorab hätte erstellen können.
Entscheidend dürften die individuellen Ausprägungen solcher
Bereiche wie „Zielgruppen“, „Nachhaltigkeit“, „Schulkooperationen“ oder „Ressourcen“ gewesen
sein, die jeder Einzelne aus den Gesprächen mitgenommen hatte.
Das zweite Kernstück neben dieser originellen und unter modifizierten
Vorzeichen sicher noch effektiver einsetzbaren Tagungsmethode waren
die Präsentationen von Konzerthäusern aus Deutschland,
dem europäischen Ausland und den USA. Sie alle machten die
Voraussetzungen plastisch greifbar, die der stellvertretende Vorstandsvorsitzende
der Körber-Stiftung Klaus Wehmeier ebenso lapidar wie zutreffend
als essenziell für eine erfolgreiche Öffnung von Konzerthäusern
durch Vermittlungsarbeit benannt hatte: „Herz, Verstand und
Geld“. Wo sich diese drei Ressourcen glücklich vereinen,
können solche Zentren entstehen wie die Philharmonie Luxemburg,
wo Generaldirektor Matthias Naske mit einem eigenen Team und qualitätvollen
Gastspielen seine Definition von Musikvermittlung umsetzt: die „Förderung
der individuellen Lust an der Wahrnehmung im Zusammenhang mit Musik“.
Wo von 340 jährlichen Konzerten über 130 im Sinne einer
solchen Förderung stattfinden, ist die Abkehr vom Konzertsaal-Verständnis
als einer „Hall of Fame“, so Naske, erfolgreich vollzogen.
Auch das 2004 eröffnete „Sage Gateshead“ im Nordosten
Englands hatte den Vorteil, dass das architektonisch spektakuläre
Gebäude das Ergebnis eines Prozesses war, in dessen Mittelpunkt
die Bedürfnisse des „education departments“ standen.
Als „main engine“ des Gebäudes, so der Leiter
der Abteilung Joan-Albert Serra, ist es nicht ein Anhängsel
an den normalen Konzertbetrieb, vielmehr prägen die Maximen „learning
and participation“ die Philosophie des ganzen Hauses. 70
Prozent der Vermittlungsarbeit findet außerhalb des Gebäudes
statt, die somit weit in die gesamte Region ausstrahlt.
In diesem Sinne versteht sich auch das Konzept „Philharmonie
Veedel“ der Kölner Philharmonie, das aus der Not eines
einzigen für viele Konzertformate zu großen Saales eine
Tugend macht und zu neuen Spielstätten in den für das
Kölner Selbstverständnis so wichtigen Stadtvierteln aufgebrochen
ist.
Der gemeinhin schwer erreichbaren Gruppe der Jugendlichen und
jungen Erwachsenen hat sich das Leipziger Gewandhaus erfolgreich
geöffnet.
Nicht umsonst erhielt die Idee der „Hörbar“ mit
ihrer Aufhebung der Grenzen zwischen Konzerthaus- und Clubkultur
eine Sonderauszeichnung im Rahmen des „Junge Ohren Preises“ 2006
(nmz 3/2007, Seite 32).
Ausführlicher hätte man gerne das Gesamtkonzept von „L’Auditori“ in
Barcelona kennen gelernt. In der Blitzpräsentation beeindruckte
aber die Stringenz der konzertbegleitenden Workshopreihen, bei
denen auch interessierte Eltern zusammen mit ihren Kindern für
das Musikhören sensibilisiert werden. Auch die Fotos aus den
Kinder- und Familienkonzerten strahlten eine sensible künstlerische
Atmosphäre aus. Einen nur bedingt auf deutsche Verhältnisse übertragbaren
Sonderfall stellt die Boston Symphony Hall dar, die mit ihren Schulbesuchen,
Lehrerfortbildungen sowie ausführlichen Materialsammlungen
auf Papier und im Internet nicht nur das Konzertprogramm begleitet,
sondern im Grunde Teile des schulischen Musikunterrichts übernimmt.
Welche Schlüsse wären nun für die zukünftige
Arbeit der Elbphilharmonie aus der Tagung zu ziehen? Da mit dem
Neubau nicht wie in Gateshead das Musikleben einer Region neu zu
erfinden ist, wird wohl die Einbindung der schon vorhandenen Strukturen
musikalischer Bildung von entscheidender Bedeutung sein. Hoffnung
machte hier die starke Präsenz der Hamburger Musikszene in
den Räumen der Körber-Stiftung. Nachdenklich stimmte
aber, dass Vertreter der allgemein bildenden Schulen auch auf den
Diskussionspodien des Abschlusstages fehlten. Wie überhaupt
die Neudefinition des Verhältnisses von Konzertvermittlungsarbeit
einerseits und schulischem Musikunterricht andererseits ein Schlüssel
für die Öffnung des Hauses in die Stadt hinein sein dürfte.
Hier gilt es die Diskrepanz aufzuheben zwischen dem mantrahaft
wiederholten Bekenntnis zur Bedeutung der Schulkooperationen auf
der einen und den latent bis aggressiv wahrzunehmenden Berührungsängsten
mit pädagogischer Arbeit auf der anderen Seite. „Wir
wollen nicht pädagogisieren“ lautete eine harmlosere
Formulierung. Elmar Lampson, Hamburger Musikhochschulpräsident,
fuhr mit dem Credo „Wir müssen die Musikvermittlung
aus der Umklammerung durch die Pädagogik befreien“ schon
schwerere Geschütze auf. Eine vertiefende Diskussion ließ die
Abschlussrunde leider nicht zu.
Auch Christoph Lieben-Seutter, Generalintendant der Elbphilharmonie
und Laeiszhalle Betriebsgesellschaft, war zur künftigen Ausrichtung
des Hauses noch wenig Konkretes zu entlocken, bis auf die Ankündigung,
Laienensembles als „Vorgruppen“ berühmter Künstler
auftreten zu lassen. Aber – und dies ist das durchweg positive
Signal, das vom Hamburger Kongress ausging – hier arbeitet
ein Haus ernsthaft daran, eine über die Repräsentations-
und Museumsfunktion hinausgehende Rolle im Kulturleben der Stadt
zu spielen und zeigt sich offen für Anregungen und Diskussionen.
Im Grunde genommen stehen und fallen jedoch alle Bemühungen
nicht zuallererst mit der Qualität der Vermittlung, sondern
mit der Qualität dessen, was zu vermitteln ist, oder – so
zeigte die faszinierende Begegnung mit den Improvisationen Gabriela
Monteros – der Künstlerpersönlichkeit. Sie allein
ist Garant dafür, dass der Konzertsaal als „Resonanzraum
der öffentlichen Würdigung“ seine entscheidende
Bedeutung für die Aura des Kunstwerks behält, die der
Soziologe Gerhard Schulze in Abschwächung des Benjaminschen
Pessimismus als eine ungebrochene beschwor.