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nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 47
57. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Musik als befreite Wahrnehmungskunst
Rostocker „Brücken“-Festival Neuer Musik mit Helmut
Lachenmann
Nomen est omen! Nicht von ungefähr hat die Hochschule für
Musik und Theater Rostock (HMT) ihr Festival für Neue Musik
so sinnbildhaft wie praxisorientiert „Brücken“ genannt.
Es geht ihr um Zugangsmöglichkeiten zur Tonkunst unserer Zeitgenossen,
und das gleichermaßen für Zuhörer wie Interpreten.
Stolz ist man deshalb hier sowohl auf einen im Lehrplan für
jeden Studierenden (!) als Pflichtfach verankerten Grundkurs zur
Neuen Musik als auch auf jene Initiative, die als „Brücken“-Festival
für Neue Musik in Mecklenburg-Vorpommern nun schon seit Jahren
an dieser Einrichtung etabliert ist.
Helmut
Lachenmann. Foto: Oswald
Im Herbst 2004 hatte Kompositionsprofessor Manfred Wolf den nicht
risikolosen Start gewagt und mit Nicolaus A. Huber eine erste bedeutende
Persönlichkeit „in residence“ für eine insgesamt
sechstägige und sehr abwechslungsreiche Programmfolge gewinnen
können. Im Mai 2006 konnte ein zweiter Jahrgang mit Mauricio
Kagel, Sven David Sandström und der erprobten Folge von Vortrag,
Diskussion, öffentlicher Probe, Schulbesuch und Konzert folgen.
Im Herbst 2007, konkret vom 18. bis 25. November, ging es nun zum
dritten Mal um die weiterhin brüchige Verbindung zwischen
Neuer Musik, den Interpreten und dem Hörer, um Verständnis
für eine Musik, die noch immer um ihren eigenen Platz im Musikleben
und im Musikverständnis der Hörer ringen muss. Der „composer
in residence“ hieß diesmal Helmut Lachenmann – ein
Glücksfall für den Künstlerischen Leiter Manfred
Wolf und den als Veranstalter fungierenden Verein für Neue
Musik Mecklenburg-Vorpommern (Vorsitz: Birger Petersen), der sich
wieder der Zusammenarbeit mit dem Landesverband Mecklenburg-Vorpommern
des Deutschen Komponistenverbandes und der HMT zu versichern wusste.
Kompetenz also auf allen Seiten.
Und Lachenmann, schon lange zu den originären Anregern und
entscheidenden Bedeutungsträgern der Neuen Musik gehörend,
ließ sich gern weidlich „ausnutzen“. So arbeitete
er mit Studierenden an seinen eigenen Werken, unter anderem mit
dem Hochschulorchester am wahrlich anspruchsvollen Stück „schreiben“ für
Orchester und unterrichtete nicht weniger als 46 Studierende; die
Mitglieder der Meisterklasse Professor Wolfs eingeschlossen. Von
einigem Gewicht auch sein sehr persönlich gehaltener Vortrag „Gedanken
zum Komponieren“, ein Plädoyer für „Musik
als befreite Wahrnehmungskunst“. Er war übrigens Bestandteil
des zeitgleichen III. Symposions Musiktheorie der Hochschule, das
sich mit insgesamt sieben Vorträgen der Satztechnik und Ästhetik
des Lachenmann’schen kompositorischen Werkes widmete.
Der Hauptakzent dieser Woche aber lag natürlich auf der klingenden
Musik selbst. Dabei begann der Konzertreigen geradezu mit einer
Lehrstunde für das, was Neue Musik eben auch kann: selbst
mit ausgefallensten Mitteln zu beeindrucken und zu überzeugen;
Geist und Hand eines wirklichen Meisters wie Lachenmann allerdings
vorausgesetzt. Und der hatte im Eröffnungskonzert mit seinen
bislang drei Streichquartetten – Gran Torso (1971/72), Reigen
seliger Geister (1989), Grido (2001) – atemloses Zuhören
wie heftigsten Beifall gleichermaßen provoziert. Sorgte hier
das hochspezialisierte „stadler quartett“ aus Salzburg
für den einhelligen Erfolg, so waren es im weiteren Studierende
der HMT selbst, die mit bemerkenswerter und von Lachenmann als „erstaunlich“ charakterisierter
interpretatorischer Souveranität beeindruckten. Das betraf
etwa den Klavierabend mit den „Schubert-Variationen“ (1956),
den „Sieben kleinen Stücken“ (1980), der „Wiegenmusik“ (1963)
und der „Serynade“ (1998/2000), aber auch Kammermusik
wie die „Pression für einen Cellisten“ (1970)
oder „Dal Niente (Interieur III) für einen Solo-Klarinettisten“ (1970).
Und es galt im Besonderen für das vom Hochschulorchester höchst
engagiert, erstaunlich kompetent und unter Lachenmanns wohlwollend-kritischer
Begleitung akribisch erarbeitete „schreiben“ für
Orchester (2002/03, rev. 2004). Dankbar vom begeisterten Publikum
angenommen: die zweimalige Aufführung innerhalb des Konzertes.
Das Festival lebte aber nicht zuletzt auch von einer bewusst
sehr differenziert angelegten Vielfalt weiterer kompositorischer
wie
interpretatorischer Handschriften. Vorzügliches gab es etwa
im Gastspiel des „Kroumata“-Schlagzeuensembles aus
Stockholm (Mellnäs, Chini, Xenakis), dem heimischen Ensemble „mv-connect“ (mit
zehn Werken von Komponisten aus Mecklenburg-Vorpommern und
Sachsen-Anhalt), dem Berliner „Boreas“-Blechbläserquintett
(Werke von Wallmann, Iranyi, Willers, Zerbe, Lopez, Wolf und Sade)
und einem weiteren „hauseigenen“ Konzert in der Kopplung
mit neuer sorbischer (!) Musik aus Sachsen. Das Angebot war insgesamt
groß und vielfältig, die Qualität der Darbietungen
vorzüglich, das Echo beim Publikum äußerst erfreulich.
Das lässt hoffen! Ein nächstes „Brücken“-Festival
wird es vom 16. bis 23. November 2008 geben, dann mit den Gastkomponisten
Martin Smolka (Tschechien) und Berislav Sipus (Kroatien).