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nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 48
57. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Auf-Erstehungen und Inferno-Landschaften
Uraufführungen von Marc André und Nikolaus Brass bei
der Münchner Musica Viva
Der Herr Professor ärgert sich. Seit einem Jahrzehnt leitet
der Komponist Udo Zimmermann die traditionsreichen Münchner
Musica-Viva-Konzerte, die unmittelbar nach dem Krieg, im Jahr 1947,
vom Komponisten Karl Amadeus Hartmann ins Leben gerufen wurden.
Allein in Zimmermanns Amtszeit fanden hier weit über hundert
Uraufführungen statt, mehr als drei Dutzend deutscher und
europäischer Erstaufführungen. Doch im überregionalen öffentlichen
Bewusstsein haben viele dieser Novitäten nicht stattgefunden,
weil es an der publizistischen Verbreitung fehlt.
Dem will Zimmermann nun abhelfen. Das Symphonieorchester des
Bayerischen Rundfunks, das als interpretatorisches Zentrum die
Musica Viva
trägt, hat drei andere Rundfunksinfonieorchester sowie einige
kleinere Ensembles vom 25. Januar 2008 an zu einem Festival eingeladen.
Ein Bericht folgt in der nächsten Ausgabe.
Gleichsam als Ouvertüre zum Festival gab es im November 2007
die 3. Musica-Viva-Veranstaltung der laufenden Saison mit dem Symphonieorchester
des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Johannes Kalitzke.
Auf dem Programm: Uraufführungen von Mark André und
Nikolaus Brass, als deutsche Erstaufführung das Konzert für
Klavier und Orchester (2007) von Georg Friedrich Haas. Marc André präsentierte
sich mit seinem neuesten Werk als Meister kompositorischer Ökonomie:
Drei Anfragen nach einem neuen Stück beantwortete er mit einem
einzigen Werk in drei Teilen, womit alle drei Auftraggeber mit
jeweils einer Uraufführung befriedigt wurden. Marc André bezeichnet
sein Werk als Triptychon und gab ihm den Titel „… auf …“ was
mehrdeutig zu verstehen ist: als Wort-Zitat aus einem Satz oder
als Teil eines einzelnen Wortes. Die Teile „… auf … II
und III“ wurden bereits in Baden-Baden durch das Ensemble
Modern Orchestra unter Boulez (Teil II) beziehungsweise in Donaueschingen
(Teil III) mit dem SWR Sinfonieorchester unter Sylvain Cambreling
aufgeführt. Das Eingangsstück (Teil I) bei der Musica
Viva komplettierte jetzt den Zyklus. Zyklische Aufführungen
sind für das Jahr 2009 in Berlin, Paris und Brüssel geplant.
Mit „… auf …“, das sich auf das Wort „Auferstehung“ bezieht,
verbindet sich für den Komponisten auch eine religiöse
Thematik. Gleichwohl schrieb André kein religiöses
Werk, vielmehr interessierten ihn die Übergänge, die
Transformationen, die sich spirituell mit dem Begriff „Auferstehung“ verbinden.
Das wird in den Teilen II und III auf faszinierende Weise in „Klang“ sozusagen „übersetzt“.
Klangräume öffnen sich, gleiten, wie über Schwellen,
ineinander über. Jeder einzelne Ton hat Bedeutung, gewinnt
gerade in der Stille eine bannende Intensität. Der erste Teil
von „… auf …“, mit zwölf Minuten Spieldauer
der kürzeste des Triptychons, wirkt, speziell im Rückblick
auf die vorangegangenen Abschnitte, wie ein behutsames Entree zum
dann Folgenden.
Zwei Klaviere im Orchester, zwei ebenso dort postierte Harfen,
ein reich besetztes Schlagwerk, ein ebenso üppiges Bläserensemble
mit sechs Hörnern, jeweils vier Posaunen und Trompeten, Tuba,
mehrfach besetzten Holzbläsern sowie entsprechend vielen Streichern
erlauben eine Vielzahl von Klangkombinationen und Klangschöpfungen,
die das Thema vom „Übergang des Todes in das Leben“ in
den „reinen Klang“ überführen. Das Sinfonieorchester
des Bayerischen Rundfunks unter Johannes Kalitzke näherte
sich dem Werk mit dem gehörigen Respekt, doch im Vergleich
zum Ensemble Modern Orchestra unter Boulez wollte es doch scheinen,
dass Marc Andrés Klangstrukturen noch plastischer und konturierter
dargestellt werden könnten.
Das Gegenbild zu Andrés „inneren“ Klangerkundungen
fertigte der 1949 geborene Nikolaus Brass mit seinem „L’Inferno – Landschaft
für Orchester“. Die „Landschaft“ präsentiert
sich als eine Art orchestrale Klangskulptur. In vier Gruppen werden
die Instrumente in ungewöhnlichen Kombinationen auf dem Podium
angeordnet. Ein ständiges Hin und Her der Klänge und
kompositorischen Wendungen, gegenseitige Spiegelungen, ein reich
differenziertes Reagieren aufeinander erwecken beim Hörer
den Eindruck des Unbestimmten, Ungesicherten, schwer Durchschaubaren.
Man darf das sicher auch als kritische Implikation sehen: Ein gesellschaftlicher
Zustand wird in Klängen abgebildet. Eine gewisse Äußerlichkeit
ist dabei nicht zu überhören. Aber in seiner expressiven
Vehemenz zeigt das „Inferno“ durchaus anspringende
Wirkung.
Beim Klavierkonzert von Georg Friedrich Haas, schon beim diesjährigen „Wien
modern“-Festival zu hören, wird von vornherein die Erwartungshaltung
gegenüber dem Komponisten erfüllt. Die Halbtöne
auf dem Klavier befriedigen ihn nicht, er braucht alles, was dazwischen
klingt: Ober- und Mikrotöne. Die liefert das Orchester. Auf
Thomas Larchers vehement herausgeschleuderte Klavierpassagen „antwortet“ das
Orchester mit hochdifferenzierten Klang-Farben-Spielen. Das macht
zwar Effekt, wirkt auf Dauer aber auch ein wenig monochrom. Auf
jeden Fall ist Beat Furrers vor kurzem in Köln uraufgeführtes
Klavierkonzert das zwingendere Beispiel für den Versuch, den
Klavierklang zu intensivieren, das Orchester als Resonanzraum des
Soloklaviers einzusetzen. Furrers Klavierkonzert wird beim Musica-Viva-Festival
vom Sinfonieorchester des Westdeutschen Rundfunks auch in München
vorgestellt. Spannend sind beide Werke, weil sie im Rahmen des
klassischen Begriffs „Klavierkonzert“ neue kompositorische
Inhalte formulieren.