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nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 50
57. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Patchwork und Verstellungen im Büro
Neue Stücke von Christoph Reiserer und Olga Neuwirth in München
Eine Kammer- oder besser Bürooper vom Münchner Komponisten
Christoph Reiserer und ein zwischen allen Stilen bunt hüpfendes
Setting der Österreicherin Olga Neuwirth (zusammen mit dem „ICI
Ensemble“) haben das Münchner Publikum aus der vorweihnachtlichen
Nostalgie gerettet und klar konturierte Ausblicke auf neue musikalische
Wege geliefert.
„Und wenn wir dann so weit sind, können wir anfangen“:
Das klingt schon mal nicht schlecht. Bestens geeignet für
den Titel einer Oper, die von Verhinderung berichtet. Ursprünglich
hatte die Truppe um den Komponisten Christoph Reiserer und die
Regisseurin Cornelie Müller vorgehabt, die Kurz- und Einpersonenoper „La
voix humaine“ von Francis Poulenc – sie spielt in einem
Büro am Telefon – in eine duftige, klein besetzte Form
zu bringen. Doch da haben die Erben ein Mitspracherecht, und immer
wo dies der Fall ist, sind die Karten schlecht gemischt. Ein bürokratischer
Kampf oder Krampf begann, die Musik unterlag, Rechte zur Bearbeitung
wurden nicht erteilt.
Das war der Punkt für eine Volte, und Kunst kann ja bekanntlich
Wut in Läuterung, Trauer in Triumph verwandeln. Wenn man also
schon nicht Poulenc spielen durfte, so konnte man doch eine kleine
Oper über die Poulenc-Verhinderung schreiben. Das Libretto
hatten schon die Rechtsnachfrager und die Rechteverwerter in groben
Zügen verfasst, Cornelie Müller musste nur noch ein wenig
verschlanken und zuspitzen. Auch der Ort war klar, natürlich
ein Büro: und man fand das Euro-Trainings-Centre in der Sonnenstraße.
Was nun folgte, war das Vergnügen am Widersinn. Ein paar Stühle
mit Rollen, ein Schreibtisch, eine Schreibmaschine, ein Telefon
und noch ein paar Kleinigkeiten reichten aus, um die Absurditäten
des Urheberrechts heute aufzuspießen. Die sieben Musiker
(vom Ensemble „piano possibile“) rollten auf den Bürostühlen
hin und her, wurden in den Vorraum verdrängt, blieben aber
beharrlich (das Wort „Musikmusssein“ steht im Libretto).
Die Sekretärin (Rose Bihler Shah) verwickelte sich sprechend
und singend im Gewirr aktenkundiger Verlautbarungen und sprachlicher
Missverständnisse.
Christoph Reiserer hat dazu eine wunderbar griffige Musik geschrieben,
die mit Fragmenten aus Ironie und Wahnsinn jonglierte. Es waren
im Grunde kleine Modelle, rhythmische oder motivische Pointierungen,
aus denen der Verlauf der Musik abgeleitet wurde. Und trotz dieser
Sparsamkeit wanderte das Stück behände vom Fugato zu
einem erschlafften Choral, vom wilden Tanz zur Adagio-Trauer.
Das Münchner Jazzensemble ICI hatte dagegen Olga Neuwirth
zur Zusammenarbeit eingeladen. Gern sucht sich das „ICI Ensemble“ Künstler
mit anderem ästhetischen Hintergrund und es fuhr bislang mit
Musikern/Komponisten wie Barry Guy, George Lewis oder Vinko Globokar
nicht schlecht damit. Und wieder eine treffliche Wahl: Neuwirth,
in Opernhäusern und bei den Salzburger Festspielen ebenso
zuhause wie auf Festivals der Zeitgenossen oder in Szenelokalen,
wobei sie stets kritisch aufmüpfig die Qualitäten der
anderen Seite in Szene setzt, hat offensichtlich mit großem
Vergnügen mit den ICI-Musikern zusammengearbeitet.
Zwei Stücke wurden erarbeitet: „Who am I“ mit
Textpassagen aus einem Brief, mit dem sich Franz Kafka vom Vater
los schrieb, und das bis hin zu Zappa zappende, kunterbunte und
zugleich psychotraumatisch insistierende Stück „No more“.
Das Patchwork-artige Springen zwischen musikalischen Stil- und
Ausdrucksmitteln vom Bigband-Sound über Rock, Blaskapelle,
Klassikassoziationen bis hin zu Noise-Schienen – und bei
Neu-
wirth wurde herum gesprungen wie in einer Horde von Fahnenflüchtigen – kann
sich sehr schnell abnutzen und dann zum bloß noch blöden
Effekt verkommen. Neuwirths feinsinniges Ohr aber baute immer wieder
Barrikaden oder Fallstricke, dazu auch Ebenen des stillen Widerstands
ein. So präsentierte das bestens aufgelegte „ICI Ensemble“ eine
höchst engagierte, sich stets selbst hinterfragende Musik
mit glänzender Außenseite und tiefen Gräben im
Inneren.