[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 48
57. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Hinein in die Mega-City
Siemens schickt Komponisten in die Welt
Into … hinein. Hinter diesem einfachen Wort verbirgt sich
eine auf den ersten Blick waghalsig anmutende Unternehmung des
Siemens Arts Program. „Hinein“ sollen sechzehn Komponisten
aus aller Welt in vier Mega-Städte: Istanbul, Dubai, Johannesburg
und in die Agglomeration Pearl River Delta in China, wo an die
zehn Millionen Menschen leben.
Von ihrer Reise zurück bringen die-se sechzehn Komponisten
ebenso viele neue Werke, die das Ensemble Modern zwischen Oktober
2008 und Frühjahr 2010 in Frankfurt, Berlin und Essen uraufführen
wird. Jens Cording, Leiter der Abteilung Musik beim Siemens Arts
Program, spricht vom bisher größten Projekt des Siemens
Arts Program im Feld der neuen Musik: „Into ist künstlerische
Annäherung an die Essenz einer Stadt, jenseits dessen, was
deren äußeres Erscheinungsbild prägt.“ Vladimir
Tarnopolski etwa hat als russischer Komponist schon Megalopoliserfahrung,
denn er hat am Tschaikowsky-Konservatorium in Moskau studiert.
Er fährt als erster der 16 auserwählten Künstler
bereits im Februar: Entschieden hat er sich für Istanbul.
Was ihn dort interessiert? Er geht der Frage nach, „wie Europa
geboren wurde“. Er will mehr herausfinden über traditionelle
türkische Instrumente, und begibt sich auch auf die Suche
nach armenischer, griechischer und jüdischer Musik.
Identisch an den Reisen der 16 ist nur ihre jeweilige Dauer von
vier Wochen, was der betreffende in der Metropole seiner Wahl macht,
ist jedem völlig offen gestellt. Am Ende soll besagte zwanzigminütige
Orchesterkomposition stehen.
Beat Furrer will auch nach Istanbul: Ihn interessiert dort aber
ganz anderes als Tarnopolski. Er möchte Soziologen und Ethnologen
treffen und die Istanbuler Filmszene kennenlernen. Jörg Birkenkötter
reist nach Johannesburg, der derzeit gefährlichsten Stadt
der Welt. Im Fokus seiner Reisebetrachtungen stehen ursprüngliche
südafrikanische Musik und der Besuch einer Ausbildungsstätte
für traditionelle Musik. Dagegen wird die italienische Komponistin
Lucia Ronchetti während ihres Aufenthalts in Johannesburg
verschiedene Stadtbezirke besichtigen und erforschen – bevorzugt
mit Ortskundigen, die die vielen Sprachen und Dialekte beherrschen.
Nach Dubai, der Stadt, um die sich trotz kleinster Tradition
bereits die größten Mythen ranken, gehen vier Künstler
aus drei Ländern: Markus Hechtle und Jörg Widmann (Deutschland),
Vykintas Baltakas (Litauen) und Márton Illés (Ungarn).
Baltakas interessiert sich für die arabische Sprache, Hechtle
will Emiratis kennen lernen, darunter auch Schriftsteller und Lyriker.
Illés sucht den Kontakt zum Emir von Dubai und will auch
Festivals vor Ort besuchen.
Und Widmann erwartet in Dubai eine „Extremerfahrung“ – er
spricht von der aus dem Wüstensand gestampften Superstadt
als „modernem Turm zu Babel“. Interdisziplinär
denken einige der Komponisten, die ins Pearl River Delta gehen.
Heiner Goebbels sucht Berührungspunkte mit der dortigen Bildenden
Kunst, Musik, Philosophie und Politik. Benedict Mason hat das Thema
Film gewählt und Johannes Schöllhorn tritt in Kontakt
zu Künstlern auf der Guangzho-Biennale, aber auch zu Architekten
und zu Siemens-Stadtplanern. Weitere noch nicht erwähnte Komponisten
sind Chin Un-suk, Lars Petter Hagen (Norwegen), Luke Bedford (Großbritannien)
und Samir Odeh-Tamimi (Israel/Palästina).
16 mal 20 Minuten neue Musik werden durch das Siemens-Projekt
generiert werden. Was die Komponisten aber bis dahin erleben, wie
und ob
sie durch die äußeren Anregungen zu inneren Kompositionsprozessen
angeregt wurden, das dokumentiert die nmz in einer Folge von Artikeln
bis zum Sommer.