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2008/02 | Seite 7
57. Jahrgang | Februar
Bad Boy Of Music
Die Zukunft ist ungnädig
In den 1920er-Jahren erregten die pianistischen Auftritte von
George Antheil solche Aufregung im Publikum, dass er sich angewöhnte,
eine „kleine, hässliche, schwarze Gangsterpistole“ auf
den Flügel zu legen, bevor er zu spielen anfing. Nicht nur
deswegen trug er den Spitznamen „Bad Boy of Music“.
Bad
Boy Of Music
In einer Zeit des endlosen Lamentierens und vor allem entsetzlicher
Humorlosigkeit in der zeitgenössischen Musik ist der Bad Boy,
George Antheil selber, wieder auferstanden, um seine Pistole auf
das Gelaber und die Klischees der Szene zur richten. Diesmal ist
die Pistole allerdings geladen.
„Oh, holder Traum“!
Im Bett liegt Hänschen Neu, Musikkritiker und Verkünder
einer neuen und besseren Welt, und träumt von der Zukunft.
Was er da alles so sieht!
Alles ist im 21. Jahrhundert so gekommen, wie er es stets im
Feuilleton gefordert hat: Die Neue Musik mit großem „N“ hat
ihren Siegeszug angetreten. Was vorher die Mehrheit der Bevölkerung
dazu bewog, das Fernsehen beziehungsweise das Radio bei Erklingen
sofort auszuschalten, ist nun anerkanntes Kulturgut der Menschheit
geworden und wird weltweit bewundert. Schönberg hat, wenn
auch etwas verspätet, Recht behalten. Auf der Straße
werden lustige Zwölftonmelodien gepfiffen und die Vorherrschaft
der Deutschen Musik ist auf Jahrtausende gesichert.
In den Opernhäusern – die nun nicht mehr so heißen,
sondern „Forschungsstätten experimentellen Musiktheaters“ – wird
das stets zahlreich erscheinende Publikum von den Statuen der größten
kritischen experimentellen Musiktheaterkomponisten begrüßt. Über
den Köpfen der Zuschauer hängen feierlich die Schriftzüge „Lachenmann“, „Nono“, „André“,
apart umrahmt von kleinen Stuckengelchen, und andächtig lauscht
man den knispelnden Klängen und betrachtet ergriffen, wie
sich schwarze Quadrate von links nach rechts schieben.
Taschentücher sind natürlich nicht mehr notwendig.
Donaueschingen ist das neue Bayreuth. Nachdem per Dekret die
Existenz der Donaueschinger Musiktage bis ins Jahr 2500 vom Staat
gesichert
wurde, pilgern Stars und Sternchen der Szene zu jahrelang vorher
ausverkauften Werkstattgesprächen mit einer Computersimulation
der linken Pobacke von Klaus Huber, während sich draußen
Massenschlägereien um Restkarten abspielen.
Schon im Kindergarten lernen die Kleinen, dass jede beliebigen
zwei Töne beziehungsweise Geräusche potentiell „inherentes
Melos akkumulieren“ und verbringen ihre Zeit damit, komplexe
mikrotonale Sequenzen mittels selbst erfundener Regeln zu basteln
(wobei der Hauptspaß darin besteht, sich die-se Regeln so
interessant zu erklären, dass das tatsächliche Singen
der Melodien nicht mehr nötig ist). Anstatt „Hänschen
Klein“ und „Bi-Ba-Butzemann“ heißen die
neuen Kinderlieder „Ausgehöhlte Struktur III“ oder „… Den
Impuls zum Kinderliedsingen erst empfinge …“. Die inzwischen
als zu simpel geächteten Werke von Ferneyhough werden als
Schlaflieder verwendet.
Aus all diesen Kindern werden später hochintelligente und
politisch aktive Erwachsene, die jede Uraufführung mit großer
Dringlichkeit wahrnehmen und als persönlichen Aufruf zum Handeln
begreifen (so erzeugt z.B. das neue Werk „Der Kampf geht
weiter“ des in einer eisernen Lunge aus Berliner Dachrinnen
am Leben erhaltenen Matthias Spahlinger enorme Betroffenheit und
Bestürzung in der doch nunmehr schon längst 100 Prozent
marxistischen Bevölkerung).
Das reine Nebenbeihören von Musik ist geächtet, ebenso
wie Musikbeschallung jeglicher Art. Tanzmusik wird geduldet, aber
nur wenn sie von großer innerer Gespanntheit ist, von hoher
Bewusstheit, die viel von den Schwierigkeiten mitteilt, mit einem
Kunstwerk auf die ästhetischen Herausforderungen einer immer
komplizierteren und komplexeren Gegenwart zu „antworten“ (Gerhard
Rohde, auch die Anführungszeichen).
Die meisten DJs haben angesichts dieser unmöglichen Forderung
allerdings sicherheitshalber vorher Selbstmord begangen.
Mitsingen jeglicher Melodien ist verpönt, es sei denn man
füge einen bisher ungehörten Kontrapunkt hinzu, der den
Klang von innen aushöhlt und seine Zerschlissenheit und Überkommenheit
schonungslos offenlegt (Manuel Brug, „Bekenntnisse der Neuen
Musik“).
Elvis und die Beatles sind in Vergessenheit geraten, stattdessen
heißen die ewigen Boy- und Girlgroups der Zukunft „New
Widmanns on the Woodblock“ oder „N’Pyntsch“,
und wenn der inzwischen 100-jährige Jörg Widmann ein
zartes Zuzelgeräusch auf der Klarinette erzeugt, fallen tausende
von weiblichen Teenies in Ohnmacht – stehen aber gleich danach
wieder auf, da sie dieses Verhalten als „geradezu anachronistisches
Selbstzitat einer überwindbaren Überwältigung“ begreifen.
Schließlich und endlich gibt es nichts anderes mehr als Neue
Musik – alle weiteren Arten von Musik sind ausgerottet oder
lassen sich freiwillig einverleiben. Das Hören ist perfektioniert – in
Universitäten werden Zwangskurse des Hörens („Happy
New Hearing“) angeboten, und mit neuen computermodifizierten
Ohren kann man endlich sowohl vorwärts als auch rückwärts
hören und dabei auch noch beliebig viele komplexe Bedeutungsebenen
auseinander halten. Während man ein neues Werk hört,
wird dessen kryptischer Subtext mittels eines kybernetischen Adapters
ins Gehirn hochgeladen, sodass dem Zuhörer auch nicht das
sublimste Detail entgeht, eine Prozedur die im Volksmund „mahnkopfing“ genannt
wird.
So ausgestattet kann nun wirklich jeder erkennen, dass in der
Musik endlich das erreicht wurde, was Reinhard Schulz so schön formuliert: „… alles
im Widerspruch und zu höherer Einheit strebend, die letztlich
wieder die Stille ist.“ Das ist zwar totaler Quatsch, ist
aber gerade deswegen so „faszinierend“ (Mr. Spock).
Und die Menschheit ist gerettet. Alles könnte so schön
sein.
In diesem Moment klingelt aber der Radiowecker und Hänschen
Neu wacht zu den Klängen eines Jingles auf. Im Jahre 2008.
Ach, armes Hänschen Neu, ich glaube, du hast einfach nur geträumt.
Du wachst auf in einer Welt, die schon jetzt das absolute Gegenteil
deiner kühnsten Träume ist. Und wenn ich ehrlich bin:
In der von dir erträumten Welt würde ich bestimmt nicht
leben wollen. Dagegen wäre das Ozeanien in „1984“ eine
Art Ferienparadies für lockere Aussteiger.
Ich weiß, ich weiß – die so genannte „Neue
Musik-Szene“ kämpft um ihren Platz an den öffentlichen
Töpfen, und da muss hier und da mal übertrieben und bei
den Formulierungen übers Ziel hinausgeschossen werden. Dennoch
muss die Szene auch damit rechnen, dass das, was ihre Protagonisten
so munter allerorten von sich geben, auch mal für bare Münze
genommen wird. Und wenn man das tut, packt einen schon mal das
kalte Grausen.
Viele Komponisten lieben es zum Beispiel zu argumentieren, dass
es ja nicht an ihnen läge, dass keiner ihre Musik hören
möchte, sondern daran, dass es so wenig „ideale Hörer“ gäbe,
ja, dass das Hören an sich durch übermäßigen
Popkonsum verkommen sei.
Ich will aber nicht von euch zum „idealen Hörer“ umerzogen
werden, den eure Musik anscheinend braucht. Ich hacke mir ja auch
nicht die Zehen ab, damit ich in einen zu engen Schuh passe. Und
Volkserziehung war mir schon immer ein etwas suspekter Begriff.
Wenn’s öd ist, ist es halt öd, da hilft kein intellektueller Überbau.
Nein, ich verweigere mich euren Allmachtsphantasien der musikalischen
Totaldurchdringung. Ich bin Künstler geworden, weil ich die
Freiheit liebe, und da möchte ich mir nicht vorschreiben lassen,
wie ich zu hören habe.
Während viele Komponisten ihre Zeit mit der Selbststilisierung
zum Propheten einer neuen musikalischen Ideologie vergeudet haben,
ist unsere gute und halt auch schon sehr alte zeitgenössische
Musik zum Randphänomen geworden, allerdings zu einem Randphänomen,
das diesen Rand nie wieder verlassen wird, zu einer Fußnote
der Geschichte.
Wenn nicht schnell etwas passiert.
Und das hat auch damit zu tun, was du im Feuilleton so von dir
gibst, Hänschen Neu.
Wenn du nicht bald lernst, dass dein oft schwülstiges Pseudogelaber
dich nicht sexy macht, wenn du nicht schleunigst begreifst, dass
nicht alles hinterfragt und gebrochen werden muss, um Gültigkeit
zu haben, wenn du nicht endlich einsiehst, dass Lebendigkeit, Humor,
Frische, Wärme, Esprit, Witz, ja auch Sentimentales und vor
allem unmittelbare Fasslichkeit mehr zur Verbreitung klassischer
Musik beigetragen haben als die tausend Adornozitate, die du wie
eine heilige Oblate auf der Zunge trägst.
Musik, egal welche, lebt nur durch ihre Hörer, und die Neue
Musik hört sich schon seit einiger Zeit nur noch selbst zu.
Findest du nicht, dass es nichts Erbärmlicheres gibt als Kunst
von Experten für Experten? Ich schon.
Mein Gefühl sagt mir untrüglich, dass es so nicht mehr
weiter geht.
„Es ist genug“, Hänschen Neu.
Versteh mich nicht falsch – ich interessiere mich sehr für
heutige Musik, Musik die mich überwältigt, die mich überrascht,
die mich fordert und in unbekannte Regionen entführt, Musik,
die aus der Entwicklung der Polyphonie in Europa hervorging, die
aus einer reichen Tradition von Partituren und musikalischer Überlieferung
schöpft. Musik, die mehr will als dem Kommerz zu dienen oder
Untermalung zu sein, die liebe ich auch, genauso wie du. Schade
nur, dass die interessanteste dieser Musik inzwischen größtenteils
außerhalb der von dir so geliebten und gehegten Experimentalstudios
und Festivals stattfindet. Und über deine riesigen Scheuklappen
riskierst du nur selten einen Blick.
Du liebst viel zu sehr deinen eigenen Status Quo einer selbstgesättigten „Moderne“,
die es inzwischen an Spießigkeit mit jedem Pudelzüchterverein
aufnehmen kann. Die von dir gezüchteten komponierenden Pudel
stinken schon ein wenig, genauso wie deine Definition des „Neuen“ schon
Schimmel ansetzt. Du erkennst das wirklich Neue schon lange nicht
mehr, weil du immer schon vorher weißt, wie es zu klingen
hat.
Erinnere dich an die goldenen Zeiten, vor einem halben Jahrhundert,
als Neue Musik noch eine gewisse gesellschaftliche Relevanz besaßt,
als Stockhausen sich mit den Beatles fotografieren ließ,
als Berio „Oh, King!“ schrieb. Natürlich wäre
dir solch Populismus heute zutiefst zuwider, aber weißt du
was, Hänschen Neu, das war die Zeit, wo wir zum vielleicht
letzten Mal so richtig interessant waren. Danach ging’s nur
bergab.
In diesem Sinne, Hänschen Neu: pass auf! Pass auf, was du
so in der nächsten Zeit treibst. Es könnte sein, dass
ich, der „Bad Boy Of New Music“, herzlich darüber
lachen muss. Und ok, wenn du willst, hole ich auch die gute alte
Pistole raus. Nur für dich. Der guten alten Zeiten zuliebe.
Ich schau dir in die Augen, Kleiner.
Ab jetzt jeden Monat auf diesen Seiten.