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nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 11
57. Jahrgang | Februar
Cluster
Namhaft
Eine Möglichkeit, sein Image zu ändern, ist es, den
Namen zu tauschen. Manchmal kann so etwas zu einer Anmaßung
führen, mal zur Ehrlichkeit beitragen – oder beides
bewirken. Was bis Ende letzten Jahres noch unter dem Titel „Deutsche
Phonoverbände“ firmierte und die großen Plattenfirmen,
plus ein wenig unabhängige Tonträgerhersteller, repräsentierte,
heißt nun „Bundesverband der deutschen Musikindustrie“.
Da will uns aber einer ein U für ein E vormachen. Zur Musikindustrie
müsste man eigentlich auch andere Unternehmungen hinzuzählen
wie die Konzertveranstalter, die Musikverlage, Musikzeitungen,
private Musikschulen und Konzerthäuser, die Instrumentenbauer,
Saitenhersteller, Rundfunksender, Bohlen, Raab und „Deutschland
sucht den Superstar“, private oder Ein-Mann-Orchester, DJs,
Downloadstores … Doch vielleicht wäre so eine Einvernahme
gar nicht im Sinne dieser Gruppen. Denn eigentlich klingt auch
heute noch „Industrie“ nicht gut. Industrie ist 19.
Jahrhundert und heißt Fortschritt, Ausbeutung, Maschine und
bedeutet für die „Arbeiter“ respektive Konsumenten „Schraube-im-Getriebe-sein“.
Unter dem Stichwort Kulturindustrie hatten Plessner, Horkheimer
und Adorno das Phänomen entschlüsselt und erledigt. Aber
das war offenbar gestern. Heute ist Industrie das Gute, Fortschritt,
Befreiung, Aufklärung, Arbeitsplatz und Inbegriff von Kundenorientierung
(Orientierung am Kunden oder Orientierung des Kunden, was soll
diese dialektische Erbsenzählerei) in einem.
„
Diese“ Musikindustrie hat sich neu aufgestellt. Sie scheint
nur noch Musik herzustellen, damit diese dann geklaut werde, um
dann den Dieb als eigentliches Ziel der Verwertungskette zu deklarieren.
Im letzten Jahr gab es 2.700 Strafanzeigen wegen „Internetpiraterie“ allein
in Niedersachsen, meldet der Verband fast schon stolz.
Und mit dem Schaden bietet die Musikindustrie als moderner Fullservice-Verband
auch seine Bereinigung an, im School-Tour-Erziehungscamp – denn
Erwachsene stehlen natürlich keine Downloads. 1.000 Jugendliche
an 50 Schulen haben dieses Musik-Reboot-Camp durchlaufen, darunter
auch welche aus der Berliner Rütli-Schule. In diesen Rahmen
passt die Personalentscheidung, den Vizepräsident des Deutschen
Musikrates, Prof. Hans Bäßler, zum Kuratoriumspräsident
der Deutschen Phono-Akademie im Bundesverband der Musikindustrie
zu ernennen, wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Angeblich
sei dies „ein weiterer Schritt des Verbandes, sein Engagement
im Bereich der musikalischen Bildung auszubauen,“ liest man
dazu im verträumten Newsletter des Deutschen Musikrates. Gratulation,
lieber Bundesverband der deutschen Musikindustrie, mit all dem
habt ihr uns den nächsten Eisbären aufgebunden.