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2008/02 | Seite 14
57. Jahrgang | Februar
Ferchows Fenstersturz
Last Christmas
Das Beste am neuen Jahr? Dass Weihnachten vorbei ist. Weil die
unmusikalischste Zeit des gesamten Jahres. Fünfjährige
malträtieren die Blockflöte, ganze Orff-Haufen versauen
die weihnachtliche Stimmung durch unkonzertiertes Gedresche im
nachmittäglichen Kindergottesdienst am Heiligen Abend. Nicht
wenige anwesende Kinder desertieren verstört und rennen
mit verheulten Augen zum Gabentisch. Aber nur um dort weiterzuwinseln,
denn Mama und Papa haben „Nintendo“ wieder mal mit „Lilifee“ verwechselt.
Unterm heimischen Plastikbaum darf man nun widerwillig lauschen,
wie Familienreste den jährlich kleinsten gemeinsamen Nenner
finden und diverse Weihnachts-Evergreens peinigend durch die
Mietkasernen der Republik schmettern. Freilich nur die erste
Strophe, die rudimentären oder fehlenden Textfragmente der
nächsten Strophen werden gern durch Hüsteln übertüncht.
Aber nicht nur tonal bedeutet Weihnachten eine schreckliche Zeit
im Sinne der Musik. Familiäre Misstöne regieren das
deutsche Patchwork-Orchester. Väter rasten aus, Mütter
ertränken sich in Glühwein und Kinder fackeln mit illegal
am Schulhof erworbenen tschechischen Feuerwerkskörpern den
Christbaum ab. Heilig ist anders.
Noch befremdlicher klingend muten die unmoralischen, aber musischen
Angebote der Nahrungsmitteldiscounter an. Schlagzeuge für
149 Euro, Gitarren für 50 Euro oder Blasinstrumente ab 19,
doch nicht über 79 Euro. Alles gewissenhaft von kleinen, flinken,
asiatischen Kinderhänden zusammengeschustert. Talentlosigkeit
ist im Lieferumfang enthalten. Und während die europäische
Unschuld auf Pappkarton-Drums einhackt, auf Wellblechgitarren schrubbt
oder Spucke samt Bakterien durch das Pressplattenholz der „Qualitätsklarinette“ jagt,
sitzt die asiatische Familie friedlich und vereint unterm importierten
Christbaum und genießt nach einem Jahr Maloche den einzigen
Urlaubstag des vergangenen Jahres. Ungleich aber schlimmer: Hektische,
weil überforderte Großeltern zerren den Enkel in das
lokale Musikgeschäft und verpassen ihm erst eine hinter die
Ohren und anschließend mit dem unschlagbaren Argument „Wir
haben auch Klavier gelernt“ eine Querflöte. Den Terror
toppen lediglich die Elektrofachmärkte mit ihren Verbündeten
der Phonoindustrie. Mit dämlich aussehenden Nikolausmützen
stolpern die Praktikanten der Elektroriesen von Oktober bis Januar
durch die Gänge und preisen langweilige, öde und deshalb
wohl überteuerte „Compilations“, „Best ofs“ oder „Greatest
Hits“ an. Natürlich von Künstlern, die man längst
im wohl verdienten Ruhegrab vermutet hätte. Oder deren unbarmherziges
wie unmittelbares Comeback im Dschungelcamp droht. Stichwort: Bata
Ilic. Soll mir noch einer mit der „staaden“ Zeit zu
Weihnachten kommen. Für mich steht fest: Mein Sohn lernt Triangel.