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nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 14
57. Jahrgang | Februar
Nachschlag
Interkulturelle Aufgaben oder Lehren-Lernen-Leben
Die Bundesakademie Trossingen vor einem neuen Anfang
Rückblende 40 Jahre: Politiker und Experten der Musikerziehung
brüteten über die blendende Idee eines Jugendministers,
in seinem Wahlkreis etwas für die Laienmusik zu tun. Natürlich
im schwäbischen Bundesland mit seinen überreichen musikalischen
Aktivitäten. Eine bundeszentrale Einrichtung galt es zu schaffen,
die sich neben der schon bestehenden Akademie in Remscheid ganz
der Musik widmet, Maßstäbe und Richtlinien für
eine Musikerziehung im instrumentalen und vokalen Bereich entwickelt
mit der Zielgruppe Laienmusizieren in allen Facetten, zur Belebung
der außerschulischen Musikbildung der Jugend. Ein Geschenk
an die Musikverbände, verankert im Kinder- und Jugendplan
der Bundesregierung und vor 35 Jahren eingeweiht: die Bundesakademie
für musikalische Jugendbildung in Trossingen, inzwischen reich
gefüllt mit Lehren, Lernen und Leben. Denn der damals neue
Wettbewerb „Jugend musiziert“ mobilisierte die Musikerzieher.
Die Musikschulen besannen sich auf einen flächendeckenden
Ausbauplan. Musiklehrer, Erzieher, Ensemble-Leiter riefen nach
Fort-, Weiter-, ergänzender Ausbildung mit wachsenden Qualitäts-
und Quantitätsansprüchen.
Zusätzlicher Bedarf und Eigenstolz in den Bundesländern
ließen weitere Bildungsstätten näher am Kunden
entstehen. Heute bilden sie einen Arbeitskreis, in dem man Erkenntnisse
austauscht, sich über Art und Inhalte von Bildungsmaßnahmen
abzusprechen versucht oder sich auch Kompetenzen streitig macht.
Welche Chance nun in Trossingen in ihrem 35. Jahr: Zum dritten
Male tritt ein fast neues Leitungsteam an, das an den Akademieauftrag
gebundene Konzept zu durchdenken, Profile zu überprüfen
und zu aktualisieren. Derzeit sind die mittragenden 31 Verbände
zur Mitgliederversammlung aufgerufen, dazu ihre Meinung, Befriedigung
oder auch Desiderata abzugeben. Unterstützend begleitet diese
Meinungsbildung auch die neue musikzeitung. Das Ergebnis ihrer
parallelen Umfrage wird sie zusammenfassend wiedergeben.
Migration People
Die Bundesakademie Trossingen muss damit leben, dass inzwischen
die Menschen, die in den Verbänden funktionale oder pädagogische
Verantwortung tragen, wechseln. Verändert haben sich gesellschaftliche
wie politische Gegebenheiten und Strukturen. Besonders stark die
Demographie in unserem Land und damit Bedürfnisse und Aufgaben
einer solchen Bildungseinrichtung. Denn vor tagesaktuellen, hochpolitisch
brisanten Problemen darf sie sich nicht verschließen. Das
erinnert an Victor Hugos Empfehlung aus dem Jahre 1860: Um die
Gefängnisse zu schließen, müsste man die Schulen öffnen – übertragen
auf unsere Situation bedeutet dies: Die Vereins- und Verbandsarbeit,
die Kultur- und Musikschulhäuser sind zu öffnen für
jene jungen und erwachsenen Menschen, die sich ausgegrenzt fühlen,
arbeits- und perspektivlos sind und ein Risikopotential in unserer
Gesellschaft darstellen. Oder für die Ankömmlinge in
unserem Land, ob willkommen oder nicht. Wir können nicht umhin,
uns derer anzunehmen, die einen anderen kulturellen und sozialen
Background, eine andere Hautfarbe mitbringen, in ihren eigenen
Traditionen leben. Die sich hieraus ergebenden Aufgaben sich zu
eigen zu machen, zu bewältigen, bedeutet für alle Bildungseinrichtungen,
Schulen, Kindergärten, und Freizeitangebote eine ernorme Bewährungsprobe.
Um Migration People ansprechen und einbeziehen zu können,
brauchen alle, die in der Bildungsverantwortung stehen, fachliche,
methodische, therapeutische und psychologische Hilfen und Anregungen.
Sind das nicht höchstaktuelle Aufgaben und Problemfelder für
eine bundeszentrale Einrichtung? Nämlich Methoden und Modelle
zu entwickeln, pädagogische Kräfte in die Lage zu versetzen,
ihrem neuen Umfeld Impulse zu geben, sei es für mehr und mehr
Integration, sei es für bewusste Pflege und Toleranz des Anderen.
Hier sind Phantasie und Ideen, Initiative und Courage gefragt.
Am besten für die viele Arten aufeinanderprallender Jugendkulturen
ein Netzwerk des Erfahrungsaustausches, des Lernens und Agierens
schaffen (z.B. zwischen des Bundes-, Landes- und Verbandsakademien).
Das könnte ein Beitrag sein, den das Europäische Jahr
des interkulturellen Dialogs von der Führungsrolle der Bundesakademie
einfordert.