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nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 1-2
57. Jahrgang | Februar
Leitartikel
Ein kulturpolitisches Manifest mit Folgen?
Der Schlussbericht der Enquete „Kultur in Deutschland“ ist
veröffentlicht · Von Barbara Haack
„Es ist vollbracht“, schreibt Gitta Connemann, Vorsitzende
der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Kultur in
Deutschland“. Von einer „Kulturbibel“ spricht
Olaf Zimmermann, Kommissionsmitglied und Geschäftsführer
des Deutschen Kulturrats. Auch wenn man die biblische Metaphorik
nicht überbeanspruchen möchte, so ist man doch versucht
zu hoffen, dass die über 400 Handlungsempfehlungen der Kommission
als „Gebote der Kulturpolitik“ Eingang in die Diskussionen
und Entscheidungsfindungen zukünftiger Politik finden mögen.
Vier Jahre lang hat die Kommission gearbeitet. Im Dezember nun
legte sie ihren Schlussbericht vor. Teils in der Öffentlichkeit,
meistens aber hinter verschlossenen Türen vollzog sich die
Arbeit der 26 Kommissionsmitglieder. Deshalb ist man jetzt überrascht über
den Umfang des Abschlusswerks. Rein quantitativ erschlägt
es den Kultur-Interessierten zunächst, und auch angesichts
der Themenvielfalt weiß er nicht so recht, ob überhaupt
und wo er beginnen soll. Die Frage nach dem „Ob“ sei
hier klar mit Ja beantwortet. Und das nicht nur, weil der Schlussbericht
demnächst im gleichen Verlag erscheint wie diese Zeitung.
Die Frage nach dem „Was“ wird jeder für sich selbst
beantworten müssen. Die Schwerpunktthemen „Kulturförderung“, „Wirtschaftliche
und soziale Lage der Künstler“, „Kultur- und Kreativwirtschaft“, „Kulturelle
Bildung“ und „Kultur in Europa“ stehen ihm dabei
zur Auswahl. Sie habe sich damit abfinden müssen, dass die
Enquete-Kommission kein „Sonderforschungsbereich“ sei,
schreibt Susanne Binas-Preisendörfer, ebenfalls Mitglied der
Kommission, in der Zeitung „politik und kultur“. „Präzise,
manchmal auch grobe, nachvollziehbare klar gegliederte Argumentationen“ seien
gefragt gewesen. Der Schlussbericht ist kein wissenschaftliches,
sondern ein politisches Manifest. In diesem Sinne aber ist die
Bestandsaufnahme, die geleistet wurde, umfangreich und informativ.
Bleibt sie in einzelnen Bereichen an der Oberfläche, so geht
sie doch meistens ins Detail und eröffnet auch dem kulturpolitisch
Aktiven neue Erkenntnisse. Erfreulich ist, dass hier parteiübergreifend
im Sinne der Kultur gearbeitet wurde. Die Kommissionsmitglieder
sind nicht der Versuchung erlegen, mediale Paukenschläge zu
provozieren oder unrealistische Wolkenschlösser zu bauen.
Aber es mangelt ihnen in ihren Empfehlungen nicht an Deutlichkeit,
wenn sie zum Beispiel den Kulturauftrag und die kulturelle Tätigkeit
der öffentlich-rechtlichen Medien unter die Lupe nehmen und
hier entschieden Änderungsbedarf anmelden. So soll der Kulturauftrag
präzisiert und konkret ausgestaltet werden, Kultur-Beiträge
in den Hauptprogrammen und zu Hauptsendezeiten werden ebenso gefordert
wie die Kulturberichterstattung als fester Bestandteil in den Hauptnachrichtensendungen.
Darüber hinaus warnt die Kommission vor einer „Verflachung“ und „Event-Orientierung“ der
Kulturprogramme in Rundfunk und Fernsehen: Musik in den Ohren all
jener Rufer in der Wüste, die schon lange ein vielseitiges
und niveauvolles Rundfunkkulturprogramm fordern.
Nicht alle Akteure des Musiklebens werden glücklich sein,
wenn sie den Bericht lesen. Ähnlich wie die Rundfunkanstalten
werden auch die Verwertungsgesellschaften unter die Lupe genommen.
Ungewöhnlich unentschlossen geht die Kommission zunächst
mit Fragen des Urheberrechts um. So konnte weder eine Empfehlung
zur Ausstellungsvergütung noch zum Künstlergemeinschaftsrecht
formuliert werden. Ausdruck findet die Uneinigkeit in diversen
Sondervoten einzelner Kommissionsmitglieder in dem ansonsten fast
durchgehend einstimmig beschlossenen Text. Nicht an Klarheit aber
fehlt es dort, wo es um die Wahrnehmung der Urheberrechte, sprich:
um die Arbeit der Verwertungsgesellschaften geht. Zwar empfiehlt
die Kommission, „das System der kollektiven Rechtewahrnehmung
durch verwertungsgesellschaften als wichtiges Element auch zur
Sicherung der kulturellen Vielfalt aufrecht zu erhalten und zu
verteidigen“. In der Folge aber geht es um Fragen der Transparenz,
der Aufsicht, der Abrechnungsmodelle. Da sehen die Kommissionsmitglieder
offenbar erheblichen Verbesserungsbedarf. Spannend liest sich auch
der Kommentar zum Thema länderübergreifender Verwertungs-Institutionen
nach dem Modell von CELAS. Die CELAS, so sagt der Bericht, nutze
die Daten der GEMA, ohne – wie die deutschen Verwertungsgesellschaften – an
die Pflichten des Urheberwahrnehmungsgesetzes gebunden zu sein.
Das führe zu einer „wirtschaftlichen Privilegierung“ großer
Rechteinhaber (im Falle von CELAS ist das EMI Music Publishing)
gegenüber den „übrigen von der GEMA vertretenen
Rechteinhabern“. Ein klares Wort!
Glücklich werden auch die Künstlergewerkschaften nicht
sein, wenn die Kommission dem Gesetzgeber empfiehlt, „das
Arbeitsgesetz um eine allgemeine Öffnungsklausel zu erweitern,
welche es den Tarifvertragsparteien ermöglicht, von den bestehenden
Regelungen im jeweils zu verhandelnden Fall abzuweichen“.
Gemeint sind hier die Arbeitszeiten an Theatern: der Betrieb soll
flexibel funktionieren können. Finden sich ansonsten vielfach
deutliche Forderungen nach der Verbesserung der sozialen Lage von
Künstlern, so sollen hier künstlerische Arbeitnehmer
in ihren Rechten beschnitten werden – im Sinne der Kunst!
Das Hohelied der kulturellen Bildung, das der Bericht singt,
ist verbunden mit Empfehlungen zu weit gehenden Kooperationen im
Bereich
der Ganztagsschule – und mit einer Forderung nach einer
Bundeszentrale kulturelle Bildung! Verborgen in einer Fußnote
lässt allerdings eine Begriffsdefinition
aufhorchen, die der Funktionalisierung der kulturellen Bildung
Tür und Tor öffnen könnte: „Kulturelle Bildung
wird zumeist als Allgemeinbildung verstanden, die mit kulturpädagogischen
Methoden (also etwa mittels Tanz, Musik, Theater, Bildender Kunst,
Rhythmik, aber auch mit Hilfe der neuen elektronischen Medien)
vermittelt wird.“ Ist es wirklich das, was wir unter Musik-,
unter Kunstvermittlung verstehen?
Eine zentrale Forderung der Kommission ist die nach der Aufnahme
des „Staatsziels Kultur“ ins Grundgesetz. „Der
Staat schützt und fördert die Kultur“, soll es
heißen, so wünscht es einhellig die Kommission. Die
Darstellung der Pro- und Contra-Argumentation gibt aufschlussreich
Eindruck von der vorangegangenen Diskussion: ein spannender juristischer
Exkurs, der dem Leser das Ergebnis plausibel macht. Die Chancen
aber, dass sich Kulturfreunde mit ihrer Forderung durchsetzen,
stehen eher gering. Schon die vorweihnachtliche Bundestagsdebatte,
die sich mit dem Schlussbericht beschäftigte, macht deutlich,
wie uneins die Abgeordneten in dieser Frage sind (nachzusehen auf
der DVD, die dem bei ConBrio im März erscheinenden Buch beiliegt).
Einen Satz wie „Harald Schmidt ist der wahre, ästhetische
Bin Laden“ würde man im Bericht einer Bundestagskommission
wohl kaum erwarten. Und dennoch steht er da. Lesenswert ist der
Exkurs allemal, den sich die Kommission „geleistet“ hat:
ein kreativer Text des Künstler-Kommissionsmitglieds Heinz
Rudolf Kunze, der sich mit dem Künstlerbild und der gesellschaftlichen
Positionierung des Künstlers auseinander setzt. Der Bürger,
so Kunze, der nach dem Verlust der Religion auch die Ersatzreligion,
die Kunst, aus den Augen verliere, ende als „Krämer
und perspektivloser, Zeit totschlagender, übel zugerichteter
Verrichter und Konsument, symbolblind dem Untergang geweiht. Er
verschwindet einfach in den Haushaltslöchern seiner ästhetischen
Defizite.“ Eine solche Formulierung inmitten von 500 Seiten
Sachbericht rüstet den Leser für den zweiten Teil des
Mammutwerks.
Die Vielzahl der Themen, Analysen, Empfehlungen lässt an dieser
Stelle nur eine subjektive Stippvisite zu. Wer Interesse hat, der
lese – zumindest die Kapitel, die ihn betreffen. Um die Diskussion über
die Enquete zu vertiefen, wird die nmz in den nächsten Ausgaben
einzelne Empfehlungen herausgreifen und von Experten und Betroffenen
kommentieren lassen.
Was bleibt? Das wird die Zukunft zeigen. „Dieser Abschlussbericht
der Enquete-Kommission ‚Kultur in Deutschland‘ wird
für lange Zeit die Referenz deutscher Kulturpolitik sein“,
schreibt Norbert Lammert in seinem Vorwort zum Bericht. Gitta Connemann
hat im Zusammenhang mit dem Enquetebericht von einem „Kulturkompass“ gesprochen.
Ein Kompass zeigt, wo es lang geht – die Richtung einschlagen
muss derjenige, der ihn nutzt. Das können nicht allein die
Abgeordneten des Deutschen Bundestages sein, die den Bericht nun
in Empfang genommen haben.
Nichts weniger als eine „task force“ der Kultur sollte
jetzt die eingehende Diskussion, Fortführung und Realisierung
der Ergebnisse ins Visier nehmen. Dort, wo es im Bericht um „Kulturförderung
in gemeinsamer Verantwortung von Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft“ geht,
schlägt die Kommission einen „contrat culturel“ vor,
einen Kulturvertrag zwischen allen Teilen der Gesellschaft. Das
wäre ein schöner Startschuss für die Zeit nach der
Enquete. Und diese beginnt genau jetzt.