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nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 1
57. Jahrgang | Februar
Leitartikel
Preisverfall
Der Ernst von Siemens Musikpreis 2008 geht an die Geigerin Anne-Sophie
Mutter. Die Begründung des Kuratoriums (siehe
Seite 2) für
seine Entscheidung enthält schöne Worte und Wendungen.
Dazu soll hier nichts gesagt werden. Uns interessieren mehr die
Gründe, weshalb ein anderer Interpret beharrlich aus den
alljährlichen Überlegungen des Kuratoriums ausgeblendet
wird. Mehrfach haben wir in der Vergangenheit bei persönlichen
Begegnungen mit dem einen oder anderen Jury-Mitglied nach dem
Dirigenten Michael Gielen gefragt, und immer wieder die Antwort
erhalten: Der ist nicht durchsetzbar. Warum Gielen nicht durchsetzbar
sein soll, das konnten wir selbst dem Kuratoriumsmitglied Wolfgang
Rihm nicht entlocken. Wahrscheinlich weiß er es selbst
nicht. Der Siemens-Musikpreis wird in erster Linie doch wohl
nicht für grassierende Medienpräsenz verliehen – dann
müsste ihn vielleicht Anna Netrebko erhalten, sondern für
das Engagement in der Neuen Musik.
Michael Gielens Bedeutung für die Geschichte der Neuen Musik
braucht hier nicht weiter erklärt zu werden – das hat
der Kritiker Gerhard R. Koch zu Gielens 80. Geburtstag in der nmz
7-8/2007 umfassend getan. Koch nannte am Ende seines Artikels die
Nicht-Achtung von Gielens Lebensleistung durch die Siemens-Kuratoren
einen „Skandal“. Nun ist die Siemens-Musikstiftung
ja keine öffentlich mit Steuergeldern geförderte Institution,
sondern eine private Einrichtung, die küren kann, wen sie
gerne möchte. Andererseits jedoch drängt die Stiftung
mit ihrem großen Musikpreis immer wieder energisch in die Öffentlichkeit,
fordert Beachtung und Würdigung ein. Mit der Würdigung
verbindet sich aber zugleich ein kritisches Element: das heißt,
man stellt sich mit der Entscheidung der öffentlichen Kritik.
So lange diese die Preisvergabe lobt, ist die Welt in Ordnung.
Man muss aber auch ertragen können, dass sich gegen eine Entscheidung
einmal Widerspruch erhebt. Es ist doch grotesk, dass eine Jury,
aus welchen Animositäten auch immer, einen Michael Gielen
beharrlich übersieht und stattdessen zwar verdienstvolle,
aber doch wohl nicht vergleichbare Interpreten (um die es diesmal
im Turnus mit Komponisten ging) auszeichnet.
Im vergangenen Jahr
hat sich die Siemens-Jury mit der Entscheidung für den Komponisten
Brian Ferneyhough selbst den hohen Maßstab gesetzt, der eines
Siemens-Musikpreises würdig ist. Unter diesem Niveau darf
man auch nicht den jeweiligen Interpreten wählen. Letztendlich
fallen zwiespältige Entscheidungen vor allem auf den Preis
selbst zurück: Er wird beschädigt und büßt
die Achtung ein, die man ihm, auch wegen der breit gestreuten,
hoch verdienstvollen Förderpreise, entgegenbringen möchte.
Vielleicht wäre es auch einmal an der Zeit, im Kuratorium
einige Dauer(park-)plätzler in den verdienten Ruhestand zu
schicken. Immerhin befinden sich derzeit mit den Komponisten Wolfgang
Rihm, Peter Ruzicka und Helmut Lachenmann drei markante Repräsentanten
der Neuen Musik im Kuratorium. Wenn sie sich nicht bei den Entscheidungen
mit guten Argumenten durchsetzen können, sollten sie ihre
Namen nicht länger für den Siemens-Musikpreis hergeben.