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nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 6
57. Jahrgang | Februar
Magazin
„Ich komponiere gerne für die jungen Menschen“
Wenige Wochen vor seinem Tod sprach Barbara Haas mit dem Komponisten
Harald Genzmer
Der Komponist Harald Genzmer gilt als der namhafteste deutsche
Vertreter der Hindemith-Schule. Er komponiert in seinem eigenen
Stil, seiner eigenen Sprache. Sein ungewöhnlich reicher Werkkatalog
umfasst Orchester-, Kammermusik- und Chorwerke, aber auch zahlreiche
Kompositionen pädagogischen Charakters. Genzmer ist, auch
in seinem 99. Lebensjahr, ein unerschöpflicher Komponist mit
einer unerschöpflichen Fantasie. Er lebt und wirkt seit 1957
in München und ist Träger des Maximiliansorden, der höchsten
Auszeichnung, die der Freistaat Bayern Kulturschaffenden verleiht.
Barbara Haas kennt Harald Genzmer seit fast 20 Jahren durch viele
Gespräche im Auftrag des Bayerischen Rundfunks.
Barbara Haas: In Ihr Geburtsjahr 1909, Herr Professor Genzmer,
fällt die Gründung der „Ballets russe“ durch
Serge Diaghilew in Paris, 1909 komponierte Franz Lehar „Der
Graf von Luxemburg“, Max Reger den „110. Psalm“,
Arnold Schönberg die monodramatische Oper „Erwartung“,
1909 beendete Richard Strauss die Komposition seiner Oper „Elektra“.
Und gerade ein spezielles Musikstück von Richard Strauss war
das Sie prägende musikalische Ereignis in Ihrer Kindheit.
Harald Genzmer: Ich war damals
zutiefst beeindruckt, da ich auch zum ersten Mal überhaupt so etwas hörte. Zwei Orchester – das
Rostocker und das Schweriner Orchester spielten unter der Leitung
des Generalmusikdirektors Ludwig Neubeck „Eine Alpensymphonie“ von
Richard Strauss. Das war für mich ein ungeheures Erlebnis.
Und ich bettelte meine Eltern an, wie ein Kind eben betteln kann
und durfte die Symphonie eine Woche später noch einmal anhören
und war völlig darüber überrascht, dass ich beinahe
jeden Ton wiedererkannte. Und so war mein Interesse an den damals
neuen Stücken von Max Reger, Paul Hindemith oder Igor Strawinsky
geweckt.
Haas: Welches Instrument erlernten
Sie in Ihrer Kindheit?
Harald
Genzmer in seiner Münchner Wohnung am Klavier. Foto:
Barbara Haas
Genzmer: Ich bekam mit sieben Jahren
sehr schlechten Klavierunterricht von einer Klavierlehrerin,
ohne jegliche Technik. Deshalb konnte
ich auch nie ein Klaviervirtuose werden, weil die Anfänge
schlecht waren. Meine Mutter spielte ganz nett Klavier im Sinne
der Hausmusik, nicht im Sinne des professionellen Spielers.
Haas: An der Berliner Musikhochschule
studierten Sie Klavier bei Rudolf Schmiedt, Klarinette bei Alfred
Richter, Komposition bei
Paul Hindemith, Instrumentenkunde bei Curt Sachs und Vergleichende
Musikwissenschaft bei Georg Schünemann. Konnte sich Ihr Vater,
Felix Genzmer, von Berufs wegen Jurist und Altgermanist und bekannt
als Übersetzer der „Edda“, des „Nibelungenlied“ und
des „Heliand“, mit dem Gedanken anfreunden, dass Sie
Musiker werden wollen?
Genzmer: Mein Vater, nachdem er
selbst an der Universität
tätig war, dachte in erster Linie, dass ich Musikwissenschaftler
werden würde und es war für ihn etwas erstaunlich, dass
ich in die Praxis drängte. Aber er hat es schließlich
akzeptiert.
Haas: 1938 begann Ihre enge Zusammenarbeit
mit Oskar Sala. Er war Schüler von Professor Friedrich Trautwein, dem Erfinder des „Trautoniums“,
ein Instrument, das Sala erlernte, spielte und weiterentwickelte.
Eines dieser elektronisch-zweimanualigen saitenbespannten Instrumente
befindet sich ja hier in München, im Deutschen Museum.
Genzmer: Und ich habe für dieses Instrument zwei Konzerte
geschrieben mit großem Orchester, die dann auch unter anderem
in der Berliner Philharmonie gespielt worden sind, von Dirigenten
wie Hans Rosbaud, Carl Schuricht und Wolfgang Sawallisch. Oskar
Sala wurde ja mit diesem Instrument sehr berühmt, als Alfred
Hitchcock ihn beauftragte, für seinen Film „Die Vögel“ die
ganze Klangwelt – auch das Gekreische der aufdringlichen
Vögel – ausschließlich mit dem Trautonium zu gestalten.
Daran erkennen Sie, was das Instrument leisten konnte.
Haas: Gemeinsam, mit Ihnen und
meinen Schülern des Maximiliangymnasiums,
analysierten und interpretierten wir, für das Bayerische Fernsehen,
einige Ihrer Kompositionen, die Sie für junge Menschen geschrieben
haben. Betrachtet man die immense Zahl Ihrer für die jungen
Leute komponierten Kammermusikstücke, so vermute ich, dass
Ihnen an der Jugend sehr viel liegt.
Genzmer: Sie haben Recht. Ich komponiere
gerne Stücke für
die jungen Menschen. Die Werke, die ich für sie geschrieben
habe, geben ihnen sinnvolle Aufgaben, die sie schon auch ein bisschen
fordern. Orffs „Schulwerk“ sind ja ganz einfache Stücke
für Kinder im Alter zwischen fünf und neun Jahren. Wenn
dann ein junger Mensch zehn, elf Jahre und älter wird, will
er natürlich ein bisschen gefordert sein und da setzen meine
Stücke an – Stücke für Blockflöte und
Klavier, oder ein Trio für drei Blockflöten, oder ein
Quartett für vier Blockflöten oder leichte Stücke
für drei Geigen und so weiter. All diese Kompositionen sind
im Kontakt mit den jungen Menschen geschrieben und für junge
Menschen gedacht; für Laien, die das bewältigen können.
Meine Aufgabe sah ich dahingehend, Musik für junge Leute zu
schreiben, die Spaß macht, die sie gerne spielen. Nicht dass
es bloß interessant und neuartig ist, sondern es muss auch
den Spielern ein bisschen entgegenkommen und ihnen Freude bereiten.
Haas: Im Mai 1946 übernahmen Sie eine Professur für Komposition
in der neu gegründeten Hochschule für Musik in Freiburg
im Breisgau. Gleichzeitig wurden Sie von Joseph Haas gebeten – er
war Präsident an der Münchner Musikhochschule – nach
München zu kommen, was schließlich 1957 unter dem Nachfolger
Karl Höller auch geschah. Bis dahin blieben Sie aber in Freiburg
und halfen als deren stellvertretender Direktor mit, diese Hochschule
aufzubauen.
Genzmer: Die Nachkriegszeit hatte
ihre Probleme, denn es war zunächst
nichts da, und man musste aus dem Nichts heraus etwas schaffen.
Es gab keine Stühle, keine Instrumente, geschweige denn Noten,
und endlich konnte man sich mit neuen Werken bedeutender Komponisten
wie Igor Strawinsky, Paul Hindemith oder Alban Berg und anderen,
die im Dritten Reich verboten waren, wieder auseinandersetzen.
Der Nachholbedarf war immens groß.
Haas: Der kürzlich verstorbene Musikkritiker der Süddeutschen
Zeitung Karl Schumann schrieb über Sie: „Es gibt kaum
eine Instrumenten- oder Stimmenkombination, für die Harald
Genzmer nicht geschrieben hätte. Anhand seiner Kompositionen
kann ein Beflissener von der Grundschulzeit bis zum Meisterkurs
sein musikalisches Auskommen finden.“ Ihre vielfältigen
kompositorischen Einfälle – sind sie erarbeitet oder
sind es Eingebungen?
Genzmer: Das ist ein Vorgang, der
sowohl bewusst, als auch unbewusst bei mir stattfindet und den
ich sehr schwer in diesem Sinne beschreiben
kann. Mir fällt plötzlich etwas ein und dann bleibt mir
nichts anderes übrig – auch nachts – als aufzustehen,
an den Schreibtisch zu gehen und das aufzuschreiben, weil es sonst
andauernd in mir weiterarbeiten würde. Es kann sein, dass
ich unter dem Eindruck eines Bildes oder unter dem Eindruck eines
Schauspieles innerlich so bewegt bin, dass mir Themen oder Motive
einfallen. Und mit Hilfe meines an der Hochschule erlernten kompositorischen
Hintergrundwissens gieße ich diese musikalischen Einfälle
in entsprechende Formstücke, beispielsweise für eine „Kleine
Bläsersymphonie“ oder ein „Quintett für Flöte,
Oboe, Klarinette, Horn und Fagott“ oder eine „Sonate
für Altblockflöte und Klavier“ und so weiter.
Haas: Komponieren Sie, wie beispielsweise
Igor Strawinsky, am Klavier?
Genzmer: Ich gehöre zu den Komponisten, die ohne Klavier komponieren,
aber wenn ich die Komposition beendet habe, kontrolliere ich am
Klavier nach und probiere zum Beispiel bei einem virtuosen Stück
für Klavier die Figurenfolgen am Klavier aus, ob das, was
mir vorgeschwebt hat, auch gut in den Händen zu spielen ist.
Haas: Woran arbeiten Sie zur Zeit?
Genzmer: Ich vertone einige Harfenstücke für die Harfenprofessorin
der Musikhochschule München, Helga Stork.