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nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 10
57. Jahrgang | Februar
Magazin
Der Traum vom Olymp
Die IGNM auf der Suche nach ihrer Selbstbestimmung
Wohl kein internationales Festival zeitgenössischer Musik
hat so lange Bestand wie das der 1922 gegründeten Internationalen
Gesellschaft für Neue Musik (IGNM). Lange Jahre ist es Schauplatz
wichtiger Uraufführungen gewesen, angefangen von Berg und
Webern bis zu Stockhausen, Kagel, Ligeti und Yun. Im Laufe der
Geschichte hat es seinen ursprünglich angestrebten Anspruch
als Vermittler der „Essenz der musikalischen Produktion jedes
Jahres“ zwar kaum noch erfüllen können, dafür
aber konnte es mit der Einbeziehung der Musik lateinamerikanischer
und asiatischer Länder, die in den achtziger Jahren Mitglied
der Gesellschaft wurden, seinen internationalen Horizont beträchtlich
erweitern.
Das ändert allerdings nichts daran, dass die Weltmusiktage
für die Musik niemals die Bedeutung erlangt haben wie die
Olympischen Spiele oder die Fußballweltmeisterschaften für
den Sport, sondern heute eher ein Ereignis von lokaler und regionaler
Bedeutung darstellen, zu dem sich eine kleine Schar von Delegierten
der Mitgliedsländer, im Programm vertretenen Komponisten und
Festival-Globetrottern gesellt. Diese Entwicklung wird natürlich
auch vom (turnusmäßig wechselnden) IGNM-Vorstand wahrgenommen,
der seit Jahren versucht, etwas dagegen zu unternehmen und die
Gesellschaft zu einem wirksamen Instrument für den Austausch
Neuer Musik unter ihren Mitgliedsländern zu verändern.
Das hapert allein schon an deren unterschiedlich gewachsenen Strukturen,
die von hoher Aktivität bis zu völliger Lethargie, von
demokratisch gewählten und regelmäßig wechselnden
Vorstandsmitgliedern bis zum immergleichen Vertreter, von der Repräsentation
eines ganzen Landes bis zu einer einzelnen Institution (Komponist,
Ensemble, Veranstalter) reichen. Da-rum schlagen die Vorstands-Strategen
jetzt vor, jeweils eine Stückeliste der Weltmusiktage zu erstellen,
die einem Ring von „globalen Partnern“ zur Aufführung
angeboten wird. Das erinnert an die Jahre 1996 bis 1998, in denen
die IGNM versucht hat, die Auswahl ihrer Internationalen Jury durch
eine aufwendig gestaltete „Komponistenbroschüre“ unter
die Veranstalter zu bringen, die aufgrund mangelnder Resonanz nach
drei Jahren eingestellt wurde.
Der Gedanke, dass Konzertveranstalter auf den Weltmusiktagen
aufgeführte
Stücke in ihre Programme aufnehmen, mag nicht recht zünden,
solange die Weltmusiktage an und für sich keine große
Attraktion darstellen. Dem steht schon das begründete Interesse
der fünfzig Mitgliedsländer entgegen, dass mindestens
eines der Stücke, das sie eingereicht haben, auch aufgeführt
wird. Dass im vergangenen Jahr bei den Stuttgarter Weltmusiktagen
laut Festivalreport nur sieben Prozent des Programms aus diesen
Einsendungen rekrutiert wurde, hat zu allerlei Unruhe unter den
Mitgliedern geführt. Wenn die Organisatoren sich auf die Hoheit
der Internationalen Jury berufen, kann man ihnen zumindest attestieren,
dass sie diese Jury schon so besetzt haben, dass ein allein aus
eurozentristischer Sicht hochkarätiges Festival zu erwarten
war.
Die Hongkong-Chinesen, die das Weltmusikfestival nach 1988 und
2002 nun schon zum dritten Mal ausgerichtet haben, sind deshalb
den anderen Weg gegangen, nicht zuletzt, weil der derzeitige Präsident
der Gesellschaft, Richard Tsang, einer der Ihren ist: Sie verzichteten
auf eine Internationale Jury und setzten stattdessen eine Programmkommission
ein, die aus lokalen Komponisten und Dirigenten bestand. Ausgeschrieben
war das Festival nicht nur für das übliche westliche
Instrumentarium, sondern ausdrücklich auch für traditionelle
chinesische Instrumente (Orchester- und Kammerbesetzung) sowie
für Mischungen beider Typen. Dazu kam, dass das Weltmusikfest
zum ersten Mal mit dem jährlichen Festival und der Konferenz
der Asian Composers’ League (ACL) koordiniert wurde, was
einen zusätzlichen Input aus den asiatischen Ländern
versprach. Aus den insgesamt 604 Einsendungen der IGNM-Sektionen,
ACL-Mitglieder, einzelnen Komponisten und Repertoirestücken
der eingeladenen Orchester und Ensembles wählte die Kommission
aus, was einerseits in ihre Besetzungskategorien passte und andererseits
dem Gießkannenprinzip, möglichst alle Mitgliedsländer
der IGNM und der ACL in angemessener Weise zu berücksichtigen,
entsprach. Für Deutschland ergab sich, dass keines der von
der nationalen Jury ausgewählten Werke (von Mark Andre, Gordon
Kampe, Enno Poppe, Iris ter Schiphorst und Anna Søhold)
aufgeführt wurde, sondern ein recht plärriges Stück
für drei Guzhengs (chinesische Zithern) von Stefan Hakenberg,
einem in Alaska lebenden Deutschen, sowie eine kaum mehr chinesisch
klingende Komposition des in Hamburg lebenden Ligeti-Schülers
Xiaoyong Chen für west-östliches Ensemble. Bei dieser
Auswahl schien eher die Besetzung als der Gehalt eine Rolle gespielt
zu haben.
Dieser Eindruck stellte sich bei vielen der aufgeführten Stücke
ein, die zumeist entweder folkloristische Züge oder – in
den gemischten Ensembles – die Gegenüberstellung von
west-östlichem Denken bevorzugten. Eine überzeugende
Synthese, wie sie der in England lebende Malaysier Tazul Izan Tajuddin
in seiner Komposition „Tenuan II“ für Flöte,
Celesta, Klavier und Streichorchester mit sich ständig neu
verwebenden Klangmustern vorstellte, war eher die Ausnahme.
Wenn die IGNM mit ihren Weltmusiktagen in das internationale
Festival-Karussell einsteigen möchte, kann sie das wohl nur, wenn sie deren künftigen
Veranstaltern eine gewisse Gestaltungsfreiheit gibt, anstatt sie
mit ihren Proporz- und Verfahrensregeln immer weiter einzuengen.
Dieses Thema wird ein Dauerbrenner der Generalversammlung bleiben,
solange der Konflikt zwischen der interessebedingten Vertretung
der Mitgliedsländer und dem Anspruch, ein weltumspannendes
Großereignis zu programmieren, weiter besteht.