[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 10
57. Jahrgang | Februar
Magazin
Von der Wirkungsweise eines Ehrentitels
nmz-Gespräch mit Ulrich Pöhl, künstlerischer Leiter
von „Insomnio“, dem Ensemble in Residence der IGNM
Seit 2006 wählt die Internationale Gesellschaft für Neue
Musik (IGNM) aus den Vorschlägen der Ländersektionen
ein „Ensemble in Residence“ aus. Im vergangenen Jahr
erhielt das 1997 gegründete niederländische Ensemble „Insomnio“ diesen
Ehrentitel und vertrat die Gesellschaft damit auf verschiedenen
internationalen Festivals und natürlich bei den Weltmusiktagen
in Hongkong. Mit Ulrich Pöhl, dem aus Bielefeld stammenden
künstlerischen Leiter von „Insomnio“, sprach Juan
Martin Koch.
neue musikzeitung: Vom finnischen Viitasaari nach Hongkong. War
das ein Kulturschock oder gleichen sich die Festivals mittlerweile überall?
Ulrich
Pöhl dirigiert das niederländische Ensemble „Insomnio“.
Foto: Juan Martin Koch
Ulrich Pöhl: Hongkong war
schon speziell, sehr chinesisch orientiert. An den 24 Konzerten
waren nur drei westliche Gruppen
beteiligt, und gerade die Konzerte mit chinesischen Instrumenten
waren wunderbar. Wir selbst haben zwei Auftragswerke des Festivals
gespielt, von Richard Tsang und Clarence Mak, zwei eher westlich
orientierten Komponisten.
nmz: Was bedeutet der Titel der IGNM und was
war 2007 Ihre Aufgabe in dieser Funktion?
Pöhl: Einerseits sollten wir die IGNM repräsentieren,
die ja oft nur als Organisationsbüro wahrgenommen wird. Das
heißt, dass wir auf acht oder neun internationalen Festivals
und bei unseren Konzerten in Holland die von der IGNM ausgewählten
Werke vorgestellt haben. Diese Zusammenarbeit hat gut geklappt
und die Festivals haben den IGNM-Werken einen großen Platz
eingeräumt. Eine zweite Aufgabe war es, holländische
Kompositionen aufzuführen. Es ging darum, möglichst viel
Programm von einem Ort zum anderen zu nehmen, was natürlich
finanzielle Vorteile hat, aber auch der Qualität zugute kommt.
Es war gut für uns und für die Komponisten, von denen
wir manche neunmal gespielt haben; in Holland sind sonst zwei oder
drei Aufführungen die Regel. In Hongkong haben wir dann zwei
Konzerte mit drei Schwerpunkten gegeben: den IGNM- Stücken,
den holländischen Werken, die wir selbst in Auftrag gegeben
haben, und jenen, die das Festival selbst bestimmt hat, darunter
die beiden chinesischen.
nmz: Was hat Ihnen der Titel im
Rückblick gebracht, denn Geld
gab es von der IGNM ja wahrscheinlich nicht?
Pöhl: Nein, auch die Weltmusiktage
werden ja von dem organisierenden Land getragen. Aber es hat sich
eine
Menge für uns ergeben.
Wenn man im Namen der IGNM anruft, hat man schon mehr Möglichkeiten.
Wir haben Einladungen bis 2010, beinahe alle Festivals, bei denen
wir in diesem Jahr gespielt haben, werden wir erneut besuchen.
Wir haben Pläne für Kanada, werden mit dem Deutschlandfunk
zusammenarbeiten … Auch in Holland hat sich viel für
uns getan, wo die Konkurrenz sehr groß ist – wir haben
an die 20 Ensembles für Neue Musik. Als relativ junge Formation
hat man es da nicht leicht. Und den Titel, den in diesem Jahr das
Ensemble Cantus aus Kroatien erhält, behalten wir und werden
auch weiter mit der IGNM zusammenarbeiten.
nmz: Wie schätzen Sie die Situation der Ensembleszene in den
Niederlanden ein, auch im Vergleich zu Deutschland?
Pöhl: Es gibt in Deutschland viel mehr Geld
für Kultur
als in Holland, dem höheren Stellenwert entsprechend, der
ihr beigemessen wird. Aber während in Deutschland die meisten
Mittel institutionalisiert sind, wird in Holland von dem Vorhandenen
deutlich mehr über Projektmittel und für kleinere Initiativen
zur Verfügung gestellt. Dann gibt es aber auch auf
vier bis fünf Jahre festgelegte Subventionen. Die Höhe
richtet sich dann danach, wie das Ensemble eingestuft wird. Darüber
hinaus unterstützt der „Fonds für die Schöpferische
Tonkunst“ einzelne Komponisten und Auftragswerke. Sehr wenig
Geld steht dafür zur Verfügung, ausländische Komponisten
zu beauftragen. Zukünftig wird sich das System aber ändern,
weil die Fonds der verschiedenen Kunstsparten zusammengefasst werden.
nmz: Und wie steht es mit der Verankerung
der zeitgenössischen
Musik im holländischen Konzertleben?
Pöhl: Immer wieder wird der
Ruf laut, dass die Orchester mehr holländische Musik propagieren sollen. Die Neue Musik wird
nicht so ernst genommen wie in Deutschland. Aber durch die vielen
konkurrierenden Gruppen passiert doch eine Menge, auch wenn man
bedenkt, dass Holland kleiner ist als Nordrhein-Westfalen. Es ist
wie ein Schnellkochtopf. Alle mussten in den vergangenen Jahren
enorm an Qualität zulegen, viele spezialisieren sich auf eine
Stilrichtung hin, aber das ist nicht unser Weg. Wir wollen uns
die Vielfalt bewahren. Und das war wohl auch der Grund, warum die
IGNM uns ausgewählt hat.