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nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 9
57. Jahrgang | Februar
Magazin
Popmusiker wider Willen?
Die unerhörte Popularität Stockhausens
Dass Karlheinz Stockhausen nicht nur in die Kunstmusik hineingewirkt
hat, ist längst kein Geheimnis mehr. Reinhard Schulz hat in
seinem Nachruf in der nmz darauf aufmerksam gemacht, dass es Stockhausen
als einziger Vertreter der sogenannten Kunstmusik des 20. Jahrhunderts
auf das Plattencover von Sgt. Pepper‘s Lonelys Hearts Club
Band der Beatles geschafft hat. Die isländische Popartistin
Björk hat einmal ein Interview mit Stockhausen geführt.
Bei
den Salzburger Festspielen 1995 war der Auftritt Karlheinz
Stockhausens beim „Zeitfluss“-Festival einer
der Höhepunkte. Foto: Charlotte Oswald
Zahlreiche andere Vertreter, insbesondere aus der Elektropopszene,
verweisen auf Stockhausens Einfluss – unter ihnen sicher
am bekanntesten der Can-Musiker Holger Czukay, der sogar bei Stockhausen
studierte. Stockhausen ist in der Popmusik präsent. Aber man
hört ihn eher selten, so ließe sich zusammenfassen,
was der Musikwissenschaftler Ralf von Appen in der Zeitschrift „Samples“ des „Arbeitskreises
Studium Populärer Musik e.V.“ notierte: „Es finden
sich keine Momentformen oder Formelkompositionen, es wird nicht
für mehrere gleichzeitig spielende im Raum verteilte Ensembles
komponiert, auch Live-Elektronik, Serialismus oder Aleatorik sucht
man vergebens. Nicht einmal an Stockhausen erinnernde Klangwelten
sind zu entdecken, mit denen noch am ehesten sein Einfluss auf
den so genannten Krautrock à la Can und Tangerine Dream
oder auf die Collage ,Revolution 9‘ von den Beatles
beschrieben werden kann“ (Konkrete Pop-Musik. Zum Einfluss
Stockhausens und
Schaeffers auf Björk, Matthew Herbert und Matmos, Samples
2.2003, http://aspm.ni.lo-net2.de/samples/Samples2/vappenp.pdf).
Dennoch will es so scheinen, dass Stockhausen auch Popmusiker
war, wenngleich er nie offiziell Zugang zu dieser Sphäre gesucht
hatte, sondern diese als „kommerzielle“ Musik auf einem „unbeschreiblichen
banalen Niveau“ (Karlheinz Stockhausen, Vorschläge in:
ders. Texte, Band II, Köln 1988, S. 242) empfand.
Zur Erklärung der „unerhörten“ Popularität
Stockhausens wird man eher in einer Art Wirkungsästhetik zu
suchen haben. Wie kaum ein zweiter Komponist der sogenannten Kunstmusik
des 20. Jahrhunderts zeichnet ihn und sein Werk eine Art hochartifizieller
Selbst- und Fremdvermarktungstechnik aus. Ob es sich dabei um seine „Licht“-Komposition
handelt oder ein ARD-Tagesschau-reifes Helikopter-Quartett. Es
ist nicht viel anders als charismatisch zu nennen, was ihn umgibt
und umwolkt. So wie er die Sinustöne der frühen elektronischen
Musik zu regeln verstand, spielte er auch auf dem Mischpult der Öffentlichkeit,
als er sich zu den Ereignissen um den 11. September 2001 äußerte
und es damit sogar in die „Bild-Zeitung“ schaffte.
Man kann dergleichen aber auch schon früher feststellen. Ende
der 60er-, Anfang der 70er-Jahre, als die Plattenfirma Polydor
zwei Schallplattenausgaben mit seiner Musik unter den Titeln „Festival
of Hits“ und „Greatest Hits“ (zwei Schallplatten)
veröffentlichte.
Das alles sind allerdings nur die Ergebnisse seines Wirkens.
Der Grund für diese Wirkungsmacht liegt wiederum in seinem Werk
selbst – oder zumindest in einigen Teilen davon. Da ist sicher
die Arbeit mit modernem technischem Equipment zu nennen, also die
Ausarbeitung und Produktion elektronischer Musik in den 50er-Jahren.
Die Arbeit mit Sinustongeneratoren, die man mit Hüllkurven
versah und rhythmisch pulste, das war alles Fortschritt pur im
Zeitalter der Atombombe und des Sputnik-Schocks. (Der Sinuston
als Inbegriff des musikalischen Atoms war ein geflügeltes
Wort.) „He discovered blips and blops,“ sagte Björk,
die Tochter eines Elektrikers. Und von Appen kommentiert Björks
Einlassungen: „Die Elektronische Musik hält sie für
das Genre, in dem zur Zeit die größte Freiheit für
Innovationen, Risiken und Experimente besteht.“ Es eignete
dieser Musik eben nicht der Muff eines traditionellen und irgendwie
verschundenen Instrumentalklangs. Diese Musik war „modern“,
es war „moderne Musik“. Und „moderne Musik“ war – im
Gegensatz zur „Neuen Musik“ – ein Begriff, der
für populäre Musik eine Bedeutung hat, insbesondere im
angloamerikanischen Bereich. In musikpsychologischen Umfragen jener
Zeit wurde in der Jugendkultur „moderne Musik“ von
den Befragten oft genug der Rock- und Popmusik zugeschrieben. Doch
das allein genügt nicht zur Erklärung, sonst könnte
auch einem Herbert Eimert diese Ehre der Pioniertat zuteil geworden
sein. Gleichzeitig ist es bei Stockhausen die radikalisierte Poetik
der Artikulationen selbst, die mit Vorder- und Nachsatz Schluss
macht wie mit der restlichen traditionellen Formensprache. Diese „Neuheit“ von
Klängen wird zum Klang des Fortgeschrittenen schlechthin,
zum ratzekahlen und radikalen Neuanfang aus dem Bruch heraus; einer
Randexistenz, eines Outsiders, eines gesellschaftlich Abgeschobenen – geradeso
wie auch Freud und Einstein Pop wurden.
Als Stockhausen dann Ende der 60er-Jahre in die Räucherstäbchen-Abteilung
der neuen Musik wechselte, mit seiner „Stimmung“ oder
der „intuitiven“ Musik „Aus den sieben Tagen“ hatte
er einmal mehr mit gewissen orthodoxen Strömungen der Neuen-Musik-Szene
gebrochen. Da war außen ein Anknüpfungspunkt für
etwas wie Selbsterfahrungskunst gegeben. Mit anderen Worten, bei
Stockhausen, ähnlich wie bei John Cage, spielten Aspekte der
Verknüpfung von Musik und Leben eine herausragende Rolle.
Die Einschließung der Lebenswelt in den Kunstbetrieb wurde
zum ästhetischen Zentrum.
Und es erging auch der Gattung Oper ähnlich. Während
hier im bürgerlich-traditionellen Musikbetrieb die Regie das
Zepter an alte Stoffe anlegte, hat Stockhausen seine Oper fast
schon im Stil einer durchkonstruierten Rock-oper gedacht, die in
die Zukunft weist. Leben und Musik fallen in „Licht“ dicht
aufeinander und gelangen gelegentlich zur Deckung.
Stockhausens Werk und er selbst mögen somit ein bisschen wie
die Iteration von Avantgarde in Popkultur wirken, zumal, wenn man
das Begriffsfeld Pop in eine schlüssigere gegenwärtige
Kulturverbrauchseinheit umrechnet, diejenige der (auch neuen) „Medien“ nämlich.
In dieser Welt war Stockhausen präsenter als seine Kollegen.
Noch die relative Abgeschiedenheit der Lebensexistenz in Kürten
mag zu diesem Bild beigetragen haben. Manchmal, man merkt es vielleicht
nicht einmal, auch ganz konkret, wenn Holger Czukay schreibt, dass
einige DJs Stockhausens „Kontakte“ in ihr Programm
integrieren (holger czukay, karlheinz stockhausen‘s influence
on today‘s electronic music, http://www.czukay.de/history/essays/index.html).