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nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 19
57. Jahrgang | Februar
Forum Musikpädagogik
Vogelstimmen, Klangmaschinen und eine „Chinolka“
Studierende der Robert-Schumann-Hochschule gestalteten eine
Methodik-Performance · Von Monika Tschurl
Wer sich am 20. Oktober 2007 zum „Tag der offenen Tür“ anlässlich
des 20-jährigen Bestehens in der Robert-Schumann-Hochschule
Düsseldorf einfand, durch die Gänge wandelte und hie
und da eine Tür öffnete, konnte Professoren und Studierenden
bei ihrer künstlerischen Arbeit über die Schulter schauen.
Außergewöhnliches erwartete die zahlreichen Besucher
auch hinter der Tür zu Raum 53:
Sechs Klavierpädagogik-Studierende, ihre Schülerinnen
und Schüler und ihre Professorin Monika Twelsiek hatten sich
auf eine zweistündige Klaviermethodik-Revue vorbereitet. Sie
präsentierten sieben „Short Cuts“: kurze Unterrichtseinheiten,
die jeweils verschiedene Aspekte der Neuentwicklung in der Klaviermethodik
fokussierten. Ein mutiges Unterfangen, sind doch Lernprozesse oft
langsam, manchmal über längere Zeit verborgen oder machen
unberechenbare Sprünge – „Sternstunden sind letztlich
nicht planbar,“ formulierte Monika Twelsiek. Der Nachmittag
entwickelte sich nichtsdestoweniger zu einem sehr anregenden Erlebnis
mit vielen Facetten.
Den Auftakt gestaltete die Professorin mit einem Kinder-Klavierduo
(Alter: sieben und neun Jahre) selbst: Am Beispiel einer Polka
von Michail Glinka wurde erlebbar, wie durch einfache doch gewitzte
Mittel das musikalische Material variiert werden kann, so dass
die Schülerinnen sich eine größere Ausdrucksvielfalt
zu eigen machen konnten: Durch oktaviertes Pianospiel entstand
ein Puppentanz, die Übertragung der Melodie auf die schwarzen
Tasten bei gleich bleibendem Rhythmus ließ eine bezaubernd
anmutige „Chinolka“ entstehen. Sichtlich viel Spielfreude
machte den Kindern auch die Variation „Zirkuspolka“,
deren spezielle Klangeffekte durch auf die Saiten gelegte Papierblätter
entstanden. In Serge Ljachowitzkois „Der Mond scheint“ half
der Text als wahres „Zaubermittel“ bei der Gestaltung
einer fulminanten Accelerando-Agogik. Die Arbeit an „Der
Kuckuck“ (op. 34, Nr. 2) von Anton Arensky wurde durch eine
Vogelstimmenimprovisation an zwei Klavieren (verstärkt durch
Studierende) eingeleitet, bei der ostinate Muster sich mit freien
Klangspielereien aus Terzen, Trillern und Fünftonfiguren verknüpften.
Außermusikalische Anregungen
Im zweiten Akt vertonte Tobias Mayer mit jungen Schülern
den Text „Im Spukschloss“ von Britta Rapp. Die Darstellung
außermusikalischer Vorgänge bietet reichlich Spiel-
und Lerninhalte: das Explorieren von verschiedenen Klängen
(Cluster, Tritoni, lydische oder andere Tongeschlechter, Glissandi)
und deren Ausdrucksgehalten, rhythmische Erfahrungen (Fingertrommeln,
Klopfen. Zungenschnalzen) und elementare Bewegungsabläufe
(Glockentöne mit freiem Armschwung) im Konkreten. Aber auch
eher Allgemeines, wie das Gefühl für Struktur und Dramatik
einer musikalischen Performance sind auf diese Weise entwickelbar.
Mit ähnlichen klanglichen Mitteln arbeitete Katharina Lehmann
bei ihrer Klangmalerei „Nebelklänge“. Als außermusikalische
Anregung diente hier die Kombination einer grafischen Notation
und einer Zeichnung. Besonders schön ist die didaktische Ausbauidee,
ein Notations-Memory zu erstellen, bei dem die Schülerin den „Umkehrweg“,
also vom Klangbild zur grafischen Notation, selbst finden musste.
Auch im vierten und fünften Stundenbild nahmen die Studentinnen
Anne-Kathrin Brehl und Alina Zielke die assoziative Kraft von Bildern
und grafischen Notationen zu Hilfe. Frau Brehls „Klangmaschinenstunde“ stand
mit ihrer motorischen Unerbittlichkeit in scharfem Gegensatz zu
den vorangegangenen Nebelklängen.
Drei Maschinen arbeiteten hier gleichzeitig: die Klangmaschine
der vier Studierenden, die sich an genau vorgegebene Ostinati hielt,
die Maschine der vier Schüler, die ihre Spielmuster aus einer
grafischen Notation entwickelt hatten, und die Maschine des Publikums,
das seine Sprechrhythmen mit großem Spaß vor Ort erlernte.
Nun konnte die „Maschinistin“ die einzelnen Klangmaschinen
in beliebiger Reihenfolge an und ausschalten und somit crescendi
und decrescendi kreieren, oder auch einen abrupten Stromausfall
inszenieren. Auf der Hand liegt, wie gut hiermit das Gefühl
für Rhythmus und Metrum stabilisiert wird.
Zugänge zu Neuer Musik
Alina Zielke zeigte am Beispiel des Stückes „Der Maulwurf“ von
Ulrike Wohlwender und Claudia Ehrenpreis Möglichkeiten, Kindern
den Zugang zu Neuer Musik zu erleichtern. Angeregt durch ein Bild
wurden zunächst typische Eigenschaften und Verhaltensweisen
des Maulwurfs verklanglicht: So tastete sich der Schüler blind übers
Klavier, wühlte mit Clustern, arbeitete sich vom Dunkel der
tiefen Töne ins helle Licht der hohen Lage und genoss das
Licht in einer freien Improvisation im obersten Register. Nach
einer Darstellung der Idee des Stückes in freier Improvisation
war nun der Weg für die eigentliche Komposition gebahnt.
Der sechste „Short Cut“ stand exemplarisch für
die Arbeit mit Erwachsenen, einer immer größer und bedeutender
werdenden Zielgruppe. Margarita Ugrinova zeigte in einem von fast
meditativer Versunkenheit geprägten Unterrichtsausschnitt,
wie erstaunlich viel schon eine Anfängerin auditiv, improvisierend
oder auch einfach imitierend lernen kann und welch tiefe Beglückung
sie dadurch erfährt.
Körperbewegungen in Rhythmen verwandeln
Mit „Rhythm is it!“ rundete Anni Saedler die Veranstaltung
ab. Über Body-Percussion und Sprachlaute erlernten ihre zwei
Schülerinnen die typischen Habanera- und Milonga-Rhythmen
und bewegten sich im Raum „wie stolze Spanierinnen“ zu
Musikbeispielen von CD, bevor sie die Arbeit am Tango von Mátyás
Seiber aufnahmen. Entgegen der althergebrachten Methode, Rhythmus
von seiner rein mathematischen Seite, also über das Zählen,
zu vermitteln, wurde hier eindrucksvoll deutlich, mit welcher Leichtigkeit
Rhythmen über die Körperbewegung gelernt werden können.
Ein Nachmittag voll guter Gedankenanstöße, selbst
für erfahrene Pädagogen – ist es doch immer wieder
wohltuend, die gewohnten Methoden zu hinterfragen oder zu erweitern.
Insgesamt gelang es Prof. Twelsiek und ihren Studierenden, einem
interessierten Publikum die Bedeutung reflektierter und kreativer
Zugänge zur Musik in der Instrumentaldidaktik auf anschauliche
Weise nahe zu bringen. Eine Dokumentation zum Mitnehmen mit anregenden
Literatur-Empfehlungen (siehe unten) regten zum Nachahmen und Weiterdenken
an.
Literaturanregungen
Seraina Janett/Dieter Hool: Tastissimo. Ideen, Spiele, Anregungen
für jeden Klavierunterricht – Einzeln oder in Gruppen
(Edition Nepomuk)
Herbert Wiedemann/Detlef Pauligk: Improvisatorische Spiele
mit Kabalewski & Co (Bosse)
Matthias Schwabe: Schluckauf oder wie die Heuschrecke Klavierspielen
lernte (Bärenreiter); Wenn der Wasserhahn erzählt (Bärenreiter)
Hans-Günther Heumann: Aktionsbuch I, II, III (Schott)
Barbara Metzger/Elke Häublein/Andreas Pöppel: Rhythmisch
fit – mach mit! (Edition Conbrio)
Manfred Schmitz: Spielwiese – Verändern, Erfinden,
Improvisieren im Klavierunterricht von Anfang an (DVfM)
Luis Zett: Der Komponier-Baukasten (Hug)
Herbert Wiedemann: Meditatives Klavierspiel – Horchen,
Spielen, Improvisieren (Edition Nepomuk)
Francis Schneider: In Tönen reden Oder: Du kannst viel
mehr als bloß nach Noten spielen (HBS Nepomuk)
Michael Vetter: Pianissimo – Improvisieren am Klavier – Eine
Rezeptsammlung (Atlantis –Schott)