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2008/02 | Seite 13
57. Jahrgang | Februar
Praxis: Konzertvermittlung
Den Geist der Auszeichnung vorbildlich umgesetzt
Windrose, Händel und Wunderhorn – zur Vergabe des „Junge
Ohren Preises“ 2007
Landesmusikakademie Berlin, Anfang Dezember: Wo das neu gegründete „Netzwerk
Junge Ohren“ soeben seinen nunmehr festen Standort in Gestalt
eines eigenen Büros bezogen hatte, tagte zum zweiten Mal die
siebenköpfige Jury des „Junge Ohren Preises“.
Dreizehn Institutionen und Künstlergruppen, die ihre Arbeit,
in Anlehnung an den Ausschreibungstext, „als Gegenstand aktiver
Musikvermittlung für Kinder und Jugendliche“ verstehen,
hatten sich um den bislang undotierten und von der Jeunesses Musicales
Deutschland, der Deutschen Orchestervereinigung und der „Initiative
Hören“ in Zusammenarbeit mit dem Kulturradio WDR 3 ausgelobten
Preis beworben. Wie bereits im Jahr zuvor war das Spektrum auch
diesmal sehr breit, und die Einreichungen bewegten sich zwischen
einem moderierten Klassenvorspiel an der Musikschule bis hin zu
einem kulturellen Großprojekt, in das die Bevölkerung
einer ganzen Stadt einbezogen war.
Impressionen
vom Siegerprojekt „Windrose“ des Kammerorchesters
Basel. Foto: Peter Schnetz
Erfreulich war trotz der deutlich geringeren Beteiligung, dass
im Gegensatz zum Vorjahr diesmal auch Bewerbungen aus dem deutschsprachigen
Ausland – sprich: aus Österreich und der Schweiz – mit
im Rennen waren. Dass schließlich die drei Preise an Projekte
aus allen drei Ländern gingen, hat sich zufällig ergeben,
war rein inhaltlich begründet und nicht etwa Proporzgründen
geschuldet. Dennoch setzt diese Juryentscheidung Signale, die,
so darf man hoffen, spürbare Konsequenzen für die Bewerbungssituation
in diesem Jahr hat. Es war nämlich auch 2007 so, dass sich
wenige der allseits bekannten „Musikvermittler“ beworben
haben, mit anderen Worten: Das Bewerberfeld spiegelte nicht einmal
im Ansatz die tatsächlich mannigfaltigen Aktivitäten,
die auf diesem Gebiet in den drei Ländern zu beobachten sind.
Eine ausführliche Diskussion unter den Jurorinnen und Juroren
im Anschluss an die Preisvergabe hat dann auch zu einer modifizierten
Ausschreibung für das Jahr 2008 geführt. Unter anderem
wird der Preis von diesem Jahr an mit 3.000 Euro dotiert sein.
Auffällig war, vergleicht man die Situation mit der Situation
im Jahr 2006, dass unter den Einreichungen nur sehr wenige zu finden
waren, die auf eine Frontal-Moderation setzten. Vielmehr vermitteln
die eingereichten Unterlagen, dass deutlich stärker auf Projektarbeit
gesetzt wird. Die singulären Konzertereignisse, die auf mehr
oder weniger gelungene Art und Weise zu Kinder- und Jugendkonzerten
umgewertet werden, indem ein Dramaturg oder ein angeheuerter Konzertpädagoge
das musikalische Geschehen moderiert, scheinen auf dem Rückzug
zu sein. An ihre Stelle treten immer häufiger groß angelegte
Projekte, die Freiräume bieten für eigenes Mitwirken
der Kinder und Jugendlichen. Auch die drei 2007er-Preisträger
haben solche Projekte realisiert. Nun könnte man sich auf
den Standpunkt stellen, praktisches Musizieren sei von alters her
die adäquateste Form der Musikvermittlung, aber hier ist Differenzierung
geboten. Zwar sah sich die Jury auch mit Aktivitäten konfrontiert,
die musikalisch vorgebildete junge Menschen in für sie neuen
Kontexten aktiv werden ließen, aber diese Art von Jugendarbeit
ist nicht gemeint, wenn es um Musikvermittlung geht. Wer bereits
ein Instrument spielt, wird entweder im privaten Musikunterricht
oder an einer Musikschule so intensiv an Musik herangeführt,
dass eine Zugangsbarriere längst eingerissen ist. Aus dem
eigenen Tun entsteht, eine adäquate Anleitung vorausgesetzt,
ein natürliches Interesse an musikalischen Fragestellungen,
und dieses Interesse wird ja in der Regel im Kontext der Instrumental-
oder Vokalausbildung auch bedient. Ein Vorspielabend in der Klavierklasse
einer Musikschule kann noch so kreativ gestaltet sein, die Integration
junger Musikerinnen und Musiker in die Aufführung eines großen
zeitgenössischen Werkes kann noch so ambitioniert und anspruchsvoll
sein. Wenn nur diejenigen angesprochen sind, die qua musikalischer
Ausbildung ohnehin für die Musik gewonnen sind, findet keine
Vermittlung im Sinne des „Junge Ohren Preises“ statt.
Pluralität der Erfahrungen
Entscheidend ist also, ob durch die Vermittlungsarbeit Kinder
und/oder Jugendliche angesprochen werden, die bislang keinen Zugang
zur
Materie haben. Dabei ist auch die wichtige Frage der Nachhaltigkeit
immer wieder zu stellen. Die große Show, das publikumsträchtige
Event zum Abschluss eines Projekts ist noch lange kein Kriterium.
Die Frage ist vielmehr, was im Vorfeld passiert und wie die Zielgruppe
auch in der Vorbereitungsphase in die Arbeit eingebunden ist. Hier
haben alle drei prämierten Projekte Vorbildliches geleistet.
So unterschiedlich die Preisträger im Einzelnen sind, so deutlich
ist das Gemeinsame. In allen Fällen arbeiteten die teilnehmenden
Schülerinnen und Schüler mit Profis zusammen. Die Vorgehensweise
unterschied sich von bekannten Konzepten vor allem dadurch, dass
die professionellen Künstler nicht allein als Lehrkräfte
auftraten, sondern im fortgeschritteneren Stadium der gemeinsamen
Arbeit zu mehr oder weniger gleichberechtigten Ausführenden
wurden. Die normalerweise übliche Trennung der Ebenen zwischen
Lehrenden und Lernenden war damit größtenteils aufgehoben,
was für die Schüler psychologisch eine ganz andere Wertigkeit
des eigenen Tuns bedeutete. Man kann sich leicht vorstellen, was
diese zeitweise „Gleichrangigkeit“ in Bezug auf die
Identifikation mit dem Projekt bedeutete. Ein zweiter verbindender
Aspekt der ausgezeichneten Konzepte ist die Pluralität der
sinnlichen Erfahrungen, die auf unterschiedliche Weise in den einzelnen
Produktionen angesprochen werden. Einmal werden choreographische,
schauspielerische und musizierpraktische Elemente miteinander kombiniert,
im anderen Fall sind auch handwerkliche Fähigkeiten beim Herstellen
von Kostümen und Requisiten sowie beim Bau einfacher Instrumente
gefragt. Das dritte Projekt schließlich amalgamiert Literatur,
darstellende Kunst, Neue Musik und akrobatische zeitgenössische
Tanzformen wie den Breakdance zu einem stimmigen und faszinierenden
Gesamtkunstwerk.
Die Preisträger
Zehn Wochen lang, von Januar bis Mitte März 2007, hat das
Kammerorchester Basel, unterstützt durch „taktik – werkstatt
für musikvermittlung“, mit zwei Schulklassen aus der
Stadt und dem Landkreis Basel Mauricio Kagels „Stücke
der Windrose“ erarbeitet. Die Voraussetzungen waren in beiden
Klassen gleich: Es fehlte jeder Bezug zu zeitgenössischer,
in einem Fall sogar grundsätzlich zu klassischer Musik. Die
Schülerinnen und Schüler wurden in Workshops auf ihre
Aufgaben während der Produktion vorbereitet, wobei die Aufgabenstellungen
alterspezifisch zugeschnitten waren (es handelte sich um eine Klasse
mit zirka 11-jährigen und um eine mit etwa 17-jährigen
Schülern). Die klare Teilung der Anforderungsprofile verhinderte
außerdem während der späteren Zusammenführung
der Workshopergebnisse Konkurrenzdenken. Obwohl die Voraussetzungen
eher mäßig waren, wurde den Kindern praktisches Musizieren
ebenso abverlangt wie Improvisation und Komposition. Die eingereichten
Videodokumentationen zeigten verblüffende Ergebnisse und ein
faszinierendes Gesamtbild. Die Jury des „Junge Ohren Preises“ hat
dieses Projekt mit dem ersten Platz bedacht, Begründung: „Beispielhaft
führt die gleichberechtigte Arbeit von Profimusikern mit Lehrern
und Schülern in allen Projektphasen vor, wie das Zusammenspiel
unterschiedlicher Institutionen zum musikalischen Ereignis in einer
Stadt wie Basel werden kann.“ Neben den musikalischen Intentionen
konnte anhand der Kagel-Stücke eine interkulturelle Standortbestimmung
erarbeitet werden, was insbesondere in der Klasse der Elfjährigen
essentiell war, da hier ein außerordentlich hoher Anteil
von Kindern mit Migrationshintergrund zu verzeichnen war.
Der zweite Preis ging nach Wien, wo am „Theater an der Wien“ eine
aktuelle Produktion der Händel-Oper „Julius Cäsar“ zum
Anlass für ein Education-Projekt genommen wurde. Ebenfalls
in zwei Klassen lernten die Schülerinnen und Schüler
die Hintergründe einer Opernproduktion kennen. Hier wurden
Kostüme geschneidert, Requisiten gefertigt, Szenen ausgeleuchtet,
Instrumente gebaut, gesungen, gespielt, gemalt und getanzt.
Immer mit von der Partie waren ausgebildete Sängerinnen und
Sänger für die tragenden Rollen und echte Instrumentalisten,
die den Kindern ihre Instrumente nicht nur erklärt haben,
sondern auch das eigene Ausprobieren unterstützten. In einer
eigenen Bühnenfassung wurde das Erarbeitete dann im Theater
an der Wien vor Eltern und Mitschülern zur Aufführung
gebracht. Für die Konzeption war in diesem Fall das Unternehmen „Musik
zum Anfassen“ um den Pädagogen Dietmar Flosdorf zuständig.
Im Sinne der Nachhaltigkeit kann davon ausgegangen werden, dass
die am Projekt beteiligten Kinder nie wieder eine Opernaufführung
besuchen werden, in der sie das Geschehen auf der Bühne und
im Orchestergraben nicht mit den eigenen Erfahrungen abgleichen.
Ausgangspunkt des drittplatzierten Projekts war die Übersetzung
des „Wunderhorn“-Gedankens in die heutige Lebenswirklichkeit.
Gibt es, so fragten sich die Initiatoren des Projekts, in der Wunderhorn-Stadt
Heidelberg heute noch eine identitätsstiftende Bedeutung von
Sprache, von Dichtung und von Musik? Es dürfte kaum verwundern,
dass diese Frage mit einem eindeutigen „ja“ beantwortet
worden ist. Was aus dieser Erkenntnis erwachsen und zu einem aufwendigen
Projekt mit dem Titel „Das neue Wunderhorn“ verdichtet
worden ist, fasste scheinbar heterogene Aspekte und Elemente zu
einem großen und schlüssigen Ganzen zusammen. Das größte
Theaterprojekt der Heidelberger Theatersaison 2006/2007 bezog große
Teile der Bevölkerung der Stadt mit ein, insbesondere eben
auch Jugendliche und Kinder. Was an zwei Tagen im Juli als großes
Event im und um das Heidelberger Stadttheater der Öffentlichkeit
vorgestellt wurde, war in mehreren Workshop-Phasen, den sogenannten „Wunderhorn“-Camps,
sorgfältig vorbereitet worden.
Die Jury des „Junge Ohren Preises“ sah in diesen drei
Einreichungen den Geist der Auszeichnung auf vorbildliche Weise
umgesetzt. Mit der Vergabe dreier Preise konnte – im Gegensatz
zum Ergebnis von 2006 – deutlich gemacht werden, dass sich
eine solch mustergültige musikdidaktische Arbeit nicht auf
die finanziell entsprechend ausgestatteten Leuchttürme der
Kulturlandschaft beschränkt. Vom Ergebnis und der modifizierten
Ausschreibung erhofft sich das Gremium im laufenden Jahr eine deutlich
steigende Attraktivität, die möglichst viele der auf
diesem kultur- und gesellschaftspolitisch bedeutenden Terrain Aktiven
zur Teilnahme motiviert.