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nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 44
57. Jahrgang | Februar
Bücher
Musik-Assoziationen
Der neueste Band der „BR Radiobücher“
Wolf Loeckle (Hg.): Identitäten. MusikWeltDenken. München,
Belleville. 275 S.,
€ 19,80. (BR Radiobuch Nr. 5) – Angabe zum Preis nur
anhand der anderen BR-Bände vermutet!
Wort-Neuschöpfungen bei Buchtiteln haben derzeit Konjunktur.
Nach Opernbüchern wie „OperMachtTheaterBilder“ und „AngstBilderSchauLust“ gibt
es nun „MusikWeltDenken“, ein von Wolf Loeckle herausgegebener
Band, der außerdem mit dem Begriff „Identitäten“ überschrieben
ist. Der Titel lässt viele Assoziationen zu. Wer den Band
aufschlägt, wird feststellen, dass genau das wohl auch beabsichtigt
ist. Zwanzig Beiträge zu den unterschiedlichsten Themen sind
hier versammelt. Das breite Spektrum zeigt, was Musik ist und was
sie sein kann. Da es sich bei den Artikeln ausnahmslos um Manuskripte
beziehungsweise Gespräche handelt, die vom Bayerischen Rundfunk
gesendet wurden oder zumindest Sendekonzepte des BR beschreiben,
handelt es sich, auf einer zweiten Ebene, auch um ein Buch, in
dem das Medium Radio thematisiert wird, seine Grenzen, aber mehr
noch: seine Möglichkeiten.
Die Vielfalt der behandelten Sujets erstreckt sich über die
Wechselwirkungen zwischen Radio und Internet, über Features
zur Musikstadt Wien und zur Oper in Südamerika bis hin zu
Fragen der Beschreibung von Musik oder Formen der Wechselwirkung
von Musik und Literatur, konkretisiert an der versprachlichten
Musik bei Ludwig Tieck. Dazu gibt es die Verlaufsprotokolle von
hochkarätig besetzten Diskussionsrunden zu den Themen Schostakowitsch,
Bach und „Kulturnot/Notkultur“ sowie den Abdruck einer
(von insgesamt zwölf musikhistorisch orientierten) hörspielartigen
Sendung von Reinhard Schulz zum Thema „Theresienstadt“.
Mag die Heterogenität der Sujets zunächst verwirrend
oder gar beliebig erscheinen, allen Texten ist eines gemeinsam:
Sie zeigen, dass der Rundfunk – entgegen mancher Meinung – immer
noch hinreichend Chancen dazu bietet, in die Tiefe zu gehen. Oberflächlichkeit
oder die Reduzierung komplexer Themen auf ein Minutenminimum spiegelt
sich in den hier abgedruckten Manu-skripten nicht. Die sprachliche
Herangehensweise der meisten Autoren verrät, dass der Faktor
verständlichen Erzählens nicht automatisch mit den Verlusten
von Qualität und Liebe zum Detail einhergehen muss.
Der Leser kann sich vom Inhaltsverzeichnis leiten lassen, er
ist nicht an eine chronologische Lektüre gebunden. Die Qualität
der Texte ist so unterschiedlich wie die Themen, die Darstellungsstile
so verschieden wie ihre Autoren. Da ist Ulrich Schreibers konzise
Bewertung des Musikschriftstellers „Leonard Bernstein“,
da ist Dietmar Hollands fundiert-thesenfreudige Auseinandersetzung über
die unterschiedlichen Arten von Musikbeschreibung und da sind Markus
Vanhoefers historisch virtuos vernähte Ausführungen über
das klingende Paris. Vernetzungen zwischen den Texten ergeben sich
teilweise zufällig. Wenn Ursula Schneewind über das „Jüdische
Musikleben in Wien, München und Berlin“ berichtet und
dabei auch auf Gustav Mahler zu sprechen kommt, so findet sich
eine nahtlose Fortsetzung in Bernhard Neuhoffs Text über Wiener „Lokalkolorit
und Machtfragen“. Auch wenn der herausgeberische Aufwand
deutlich größer gewesen wäre, an Stellen wie diesen
zeigt sich, dass ein Register den Band leichter handhabbar gemacht
hätte.