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nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 44
57. Jahrgang | Februar
Bücher
Techniken des Suchens
Dem Komponisten Norbert von Hannenheim auf der Spur
Herbert Henck: Norbert von Hannenheim. Die Suche nach
dem siebenbürgischen
Komponisten und seinem Werk. Kompost Verlag 2007, Paperback, 280
S., € 22,00, ISBN 978-3-9802341-5-3
Verarmt, also ausweglos ... Die Fakten sind karg: Norbert Wolfgang
Stephan Hann von Hannenheim, geboren am 15. Mai 1898 in Hermannstadt
(Siebenbürgen) überlebte – wenn auch knapp – NS-Zeit
und Krieg. Er war Komponist und als solcher sehr produktiv. Bei
der GEMA-Vorläuferin STAGMA waren 189 Werke gemeldet. Darunter
dodekaphone Klaviermusik, Sinfonik, Konzerte, Klavierlieder sowie – ganz
zuletzt – Volksmusiksuiten und Divertimenti in erstaunlicher
Zahl. Seit dem Sommer 1929 lebte von Hannenheim in Berlin, wo er
drei Jahre zur Meisterklasse von Arnold Schönberg gehörte.
1932 erhielt er das Staatsstipendium der Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Stiftung.
Beim 10. IGNM-Musikfest in Wien wurde sein 2. Klavierkonzert von
Else C. Kraus uraufgeführt, im Folgejahr bekam er den Preis
der Emil-Hertzka-Stiftung verliehen. Im Normalfall wären dies
beste Voraussetzungen für eine Karriere gewesen. Korrespondenzen
belegen indes, dass die Inverlagnahme bei der Wiener Universal
Edition ausblieb, dass in der Folge weder Paul Sacher noch Hermann
Scherchen viel für Person und Werk unternahmen und dass die
IGNM den „Auslandsdeutschen“ schnell ignorierte und
selbst BBC oder Radio Prag es bei Einzelausstrahlungen beließen.
Der nationalsozialistische Umbruch in Deutschland und der Umstand,
dass er – anders als Schönberg – nicht emigrierte,
verengten von Hannenheims Wirkungsspielraum schnell und immens.
Von Paris und Wien aus betrachtet schien er sich arrangiert zu
haben – im Rahmen der NS-Kulturpolitik allerdings fiel von
Hannenheims bisheriges Werk unter die Rubrik „Entartete Kunst“.
Zur Spezifik des Falles – und dem verdankt sich vorliegende
Publikation – gehört, dass der Hochbegabte materiell
extrem stark bedürftig und psychisch instabil war und dass
sich sein weiterer, bis dato nur vermuteter Lebensfortgang aus
der Summe all dieser Konditionen ergab.
Auf der Suche nach sachlicher Wahrheit publiziert Buchautor Herbert
Henck in erster Instanz Dokumente: Karteien, Korrespondenzen, Gutachten,
Einträge bei Ämtern. Die geringe Zahl der Zeugnisse,
die überhaupt existieren, löst Betroffenheit aus. Der
Abgleich mit Privatpost und Zeitzeugenberichten deckt manchen Widerspruch
auf, Ergebnisse bisheriger Forschung (Dieter Acker, Peter Gradenwitz)
werden deshalb neu diskutiert. Die behauptete Geistesverwirrung
des Künstlers beweist keine der Quellen schlussendlich. Auch
nicht, dass von Hannenheim seine Partituren verbrannte und Else
C. Kraus die Sinfonie Nr. 6 persönlich den Flammen entriss.
Henck will Erinnerungen dieser Art nicht bezweifeln, er verweist
nur auf das Subjektive daran. Unstrittig hingegen, dass vom immensen Œuvre
von Hannenheims selbst in Privatbesitz heute nicht sehr viel auffindbar
ist.
Zum Besonderen der Publikation gehört, dass sie auch die Techniken
und Wege des Suchens ausführlich beschreibt. Das macht sie
durchaus zu einem Modell, Dokumente aus Diktaturen relativierend
zu lesen. Bedeutsam ist hier der Nachweis, dass der Komponist kein
NS-Parteigänger wurde. Henck als Fürsprecher vieler Vergessener
der Moderne hätte sich anderen Falles geweigert, von Hannenheims
erhaltene, aufregende frühe Sonaten (vgl. ECM New Series 1937)
heute selber zu spielen. Zwar steht ein kompositorischer Wechsel
um die Mitte der 30er-Jahre ganz außer Zweifel – die
Herstellung leichter Klassik und zeitgemäßer Volksliedadaptionen
diente, wenn überhaupt, nacktem Broterwerb. Wachsende Zwänge
im Verlaufe des Kriegs haben von Hannenheims Lage schließlich
unhaltbar gemacht. Henck legt die Möglichkeit dar, dass er
zuletzt gar den Verlust seiner Werke erlebte. Ob die Einweisung
in die Wittenauer Heilstätten im Juli 1944 damit im Zusammenhang
stand, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Definitiv wurde der Komponist
nicht in einem Lager ermordet. Das Sterbebuch im Standesamt Meseritz
und heute im Polnischen Staatsarchiv befindliche Akten der einstigen
psychatrischen Anstalt von Obrawalde – von Zeitzeugen „Mordhaus“ genannt – belegen
indes, dass ein Insasse mit Namen Hanchheim, Hammerkein oder Hennenheim
dort am 29. September 1945 unter inzwischen polnischer Hoheit an
schwachem Herzen verstarb.