[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 41
57. Jahrgang | Februar
Rezensionen-CD
Im Osten viel Neues
Fanfare Ciocarlia: Queens and Kings
Asphalt Tango Records 1207 (Indigo)
ErsatzMusika: Voice Letter
Asphalt Tango Records 1407 (Indigo)
Es mag gut zehn Jahre her sein, als mir eine Bekannte von einer
Blechbläsertruppe aus Rumänien vorschwärmte: so
etwas habe sie noch nie erlebt, dieses Tempo, die Füße
würden sich von alleine bewegen, keiner konnte mehr stillsitzen – der
Wahnsinn eben. Inzwischen hat die elfköpfige Zigeuner-Formation
ihren Siegeszug durch alle wichtigen deutschen und europäischen
Städte längst hinter sich, sie wirkten in Filmen mit,
spielten im Blockbuster „Borat“ eine verrückte
Version von „Born To Be Wild“ ein und können inzwischen
stolz ihre fünfte CD präsentieren. Es handelt sich um
Live-Aufnahmen von 2006, von einem besonderen Konzert, nämlich
dem ersten in der Heimat Rumänien. Unglaublich aber wahr,
erst dann wurden sie, die inzwischen im übrigen Europa berühmt
wurden, eingeladen, im Kultur-Palast zu spielen. Die stolze Truppe
nahm die Einladung an, aber nur unter der Bedingung, dass sie sich
Gäste einladen konnten, so viel sie wollten: Könige und
Königinnen, die ihre ganz eigenen Geschichte aus ihrem oft
harten, mythischen und bewegenden Leben erzählen sollten.
Herausgekommen ist ein mitreißendes Album mit Gästen
wie den Sängerinnen Mitsou, Lliljana Butler, Florentine Sandu,
Sabrina Romero, dem Duo Antoine „Tato“ Garcia und Christ
Mailhe oder Jony Iliev. Sie alle bringen neue Einflüsse mit,
sei es aus Ungarn, Mazedonien oder Serbien. Weiter beschreiben
kann man das Ganze kaum, man muss sie einfach gehört oder
am besten gehört und gesehen haben.
Nicht ganz so bekannt, aber nicht weniger hörenswert ist eine
1996 gegründete Band aus Russland, gruppiert um die jetzt
in Berlin lebende Sängerin und Multitalent Irina Doubrovskaja
(Keyboard, Akkordeon). ErsatzMusika wollen die Hörer an einen
mythischen legendären Ort zwischen dem „eisernen Bühnenvorhang,
hinter dem Zigeuner von Filzstiefeln singen, Anbeter des Mammons
gebrochene Herzen belächeln und der Troubadour nichts anderes
als ein Außenseiter sein kann.“ Schwer vorstellbar,
aber das Vorhaben gelingt: Doubrovskajas raue rauchige Stimmer
nimmt einen sofort gefangen, wehmütige Akkordeon- und Keyboardklänge
wecken das Fernweh auf dem Grund der Seele, und irgendwo dazwischen
glaubt man das Klagen der jüdischen Emigranten herauszuhören,
die heimatlos durch die Welt wandern. Und dabei spielt es auch
keine Rolle, dass man die Texte eigentlich nicht versteht. Melancholisch-moderne
Klänge aus einer anderen Welt.