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nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 40
57. Jahrgang | Februar
Rezensionen-CD
Das Wunder der Geburt
Franz Liszt: Christus; Solisten, Tschechischer Philharmonischer
Chor, Brünn; Christoph Anseim Noll, Orgel; Beethoven-Orchester,
Bonn; Leitung: Roman Kofman
MDG/Codaex 937 1366-6 (3 SACDs)
Wer bei einem kaum bekannten Oratorium
des 19. Jahrhunderts namens „Christus“ romantisches
Pathos und klanglichen Bombast erwartet, liegt bei Franz Liszt
falsch. Auch die Aufführungsdauer von drei Stunden und das
Aufgebot an Kräften (neben den üblichen vier Gesangssolisten,
Chor und Orchester wird auch noch ein Organist gebraucht) führen
in die Irre, denn nur an wenigen Schlüsselstellen werden alle
Mitwirkenden gleichzeitig beschäftigt, und auch die Lautstärke
bewegt sich überwiegend im mittleren Bereich. Und da Liszt
eher verhaltene Tempi vorgibt, haben wir es bei der zwischen 1862
und 1866, also im unmittelbaren Anschluss an die „Legende
von der heiligen Elisabeth“, entstandenen Komposition bereits
mit einem jener Spätwerke zu tun, die dem Drama aus dem Wege
gehen und sich dafür der Introspektion widmen. Liszt fühlte
sich bereits als junger Mensch zu allem Religiösen magisch
hingezogen, empfing aber erst während der Niederschrift des „Christus“ die
niederen Weihen. Das Bedürfnis, seine religiösen Empfindungen
in Musik zu gießen, gewinnt gegenüber der virtuosen
Zurschaustellung, die ihm glänzend lag, zunehmend die Oberhand.
Ein Paradebeispiel hierfür stellt der erste (und ausgedehnteste)
Teil des „Christus“ dar, das „Weihnachtsoratorium“,
für das Liszt eine auch formal eigenständige Lösung
findet: Nach einer langen Orchestereinleitung gibt es eine Verkündigungsszene
mit Chor und Orchester, das daraufhin verstummt. Im „Stabat
mater speciosa“ wird der Chor nur von der Orgel gestützt,
wohingegen der Hirtengesang (!) an der Krippe und der Besuch der
Heiligen Drei Könige wiederum mit auschließlich orchestralen
Mitteln weniger dargestellt als verklärt werden. Liszt nutzt
also die erprobten Mittel der (von ihm erfundenen) symphonischen
Dichtung für eine glänzend instrumentierte Meditation über
das Wunder der Geburt des Gottessohnes.
Wesentlich bewegter – und
oratorischer im gewohnten Sinn – wird es im zweiten Teil „Nach
Epiphanias“, in dem Christus (verkörpert vom Tenor Donald
Kaasch) selbst seine Stimme erhebt, nicht zuletzt, um dem zuvor
genüsslich geschilderten Sturm auf dem See Genesareth Einhalt
zu bieten. Der dritte Teil gilt natürlich „Passion und
Auferstehung“, dessen Herzstück nach einem Zwischenspiel
im Garten Gethsemane ein mehr als halbstündiges „Stabat
mater“ bildet (die hier übersprungenen Stationen des
Kreuzwegs wird Liszt später in „Via crucis“ vertonen).
Die ausgiebige Klage verwandelt sich etwas abrupt in österlichen
Jubel. Alles in allem: ein großer Entwurf mit dramaturgischen
Schwächen, aber voller Schönheiten im einzelnen. Roman
Kofman führt die moderat geforderten Solisten, den tschechischen
Chor und das Bonner Orchester zu einer angesichts des als Ganzes
problematischen Werks erstaunlich geschlossenen Leistung. Bereits
von der nur zweikanaligen, hochaufgelösten
Schicht (auch 5.1- und 2+2+2-Wiedergabe sind möglich) ist
das Klangbild von wundervoller Klarheit und Ausgewogenheit; die
Chance der ersten Surround-Aufnahme dieses aus gutem Grund selten
im Konzertsaal erklingenden Werks haben Interpreten wie Techniker
maximal genutzt.