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nmz-archiv
nmz 2008/02 | Seite 37
57. Jahrgang | Februar
Deutscher Kulturrat
Eine Fundgrube für die Kulturpolitik
Zum Abschlussbericht der Enquete-Kommission · Von Olaf Zimmermann
Als die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ vor
vier Jahren eingesetzt wurde, haben viele gedacht, der vor inzwischen über
30 Jahre aufgelegte „Künstlerreport“ von Karla
Fohrbeck und Andreas Johannes Wiesand – auch Künstlerenquete
genannt – würde wiederholt werden. Jene, die meinen,
der nunmehr vorliegende Abschlussbericht der Enquete-Kommission
wäre so etwas Ähnliches wie ein Künstlerbericht
und würde genau Auskunft über die soziale Lage von Künstlern
geben, werden enttäuscht sein.
Der Abschlussbericht der Enquete-Kommission unterscheidet sich
zunächst grundsätzlich vom Künstlerreport dadurch,
dass es sich hier um eine echte Enquete-Kommission des Deutschen
Bundestags handelt mit einem konkreten Einsetzungsbeschluss und
damit Arbeitsauftrag sowie einem Arbeitsgremium, das aus Abgeordneten
des Deutschen Bundestags und gleichberechtigten Sachverständigen
zusammengesetzt ist. Es wurde also nicht wie seiner Zeit von einem
Bundesministerium ein Forschungsinstitut beauftragt, sondern der
Deutsche Bundestag setzte ein eigenes Arbeitsgremium ein. Der Enquete-Bericht
unterscheidet sich aber auch inhaltlich wesentlich vom Künstlerreport.
Im Künstlerreport wurde die soziale und wirtschaftliche Lage
der Künstler untersucht. Im Arbeitsauftrag der Enquete-Kommission
war diese Fragestellung eine unter mehreren anderen. Die Aussagen
zur sozialen und wirtschaftlichen Lage der Künstlerinnen und
Künstler sind also eingebettet in eine Gesamtbetrachtung des
Kulturbereiches in Deutschland. Das ist meines Erachtens die große
Stärke dieses über 500 Seiten umfassenden Abschlussberichtes.
Manch einer, der vor allem in seinen eigenen Schrebergarten schaut,
wird vielleicht unbefriedigt sein, wenn er den Abschlussbericht
liest. An die Mitglieder der Enquete-Kommission wurden sehr viele
Einzelforderungen gerichtet und jede dieser Forderung ist aus der
Sicht derjenigen, die sie erhoben haben, mehr als gerechtfertigt.
Die Enquete-Kommission hatte aber nicht die Aufgabe, alle Wünsche
aus dem Kulturbereich zu erfüllen, sie hatte vielmehr den
Auftrag, eine Bestandsaufnahme der Kultur in Deutschland zu leisten,
Probleme zu beschreiben und konkrete Handlungsempfehlungen zu formulieren.
Interessen abwägen
Dabei galt es stets unterschiedliche Interessen gegeneinander
abzuwägen.
Mag es aus Sicht eines Laienvereins vielleicht wünschenswert
sein, möglichst geringe oder im günstigsten Fall keine
Beiträge zur Künstlersozialversicherung oder zur GEMA
zahlen zu müssen, so wäre dieses, nimmt man die Situation
der Künstler in den Blick, eine Katastrophe. Mögen sich
die einen von einer Privatisierung von Kultureinrichtungen einen
flexibleren Umgang mit öffentlichen Mitteln erwarten, befürchten
die anderen eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für
die Beschäftigten. Meinen die einen, alle Kultureinrichtungen
sollten einen besonderen Akzent auf die kulturelle Bildung legen,
erinnern die anderen an die Autonomie der Kunst. Glauben die einen,
dass alleine das Musizieren glücklich macht, schwören
die Nächsten auf die Kraft des Theaters, die Anziehungskraft
des Tanzes, die Verzauberung durch Literatur oder die bildende
Kunst. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.
Vielleicht geschult durch meine Arbeit im Deutschen Kulturrat,
die stets dadurch bestimmt ist, einen Kompromiss zwischen den Interessen
der verschiedenen künstlerischen Sparten und den unterschiedlichen
Bereichen des kulturellen Lebens zu erzielen, war es mir ein besonderes
Anliegen, auch in der Enquete-Kommission zu helfen, nach solchen
Kompromissen zu suchen.
Ich habe mich daher in meiner Arbeit besonders auf die Arbeitsgruppen
konzentriert, in denen es um die Rahmenbedingungen für Künstlerinnen
und Künstler ging. In den Kapiteln zur Künstlersozialversicherung
bekennt sich die Enquete-Kommission ausdrücklich zu diesem
Instrument der sozialen Absicherung der Künstlerinnen und
Künstler. Sie fordert, den bestehenden Bundeszuschuss zu erhalten
und daran festzuhalten, dass die unter die Generalklausel fallenden
sowie Eigenwerbung betreibenden Unternehmen auch weiterhin abgabepflichtig
sind. Dieses klare Statement zur Künstlersozialversicherung
wird von großer Bedeutung sein, wenn es darum geht, zu überprüfen,
ob die 3. Novelle des Künstlersozialversicherungsgesetzes
aus dem vergangenen Jahr den gewünschten Erfolg gebracht hat.
Ebenso wichtig ist, dass an dem im Künstlersozialversicherungsgesetz
formulierten offenen Künstlerbegriff festgehalten werden soll.
Was im Bericht so selbstverständlich daher kommt, war Gegenstand
intensiver Debatten, und ich bin froh, dass diese grundlegenden
Aussagen getroffen wurden, die die Basis für mögliche
weitere Debatten zum Künstlersozialversicherungsgesetz sind.
Urheber im Mittelpunkt
Wichtig war mir weiter, dass in den Aussagen zum Urheberrecht
der Urheber im Mittelpunkt steht. Auch diese vermeintliche Selbstverständlichkeit
wird teilweise in Frage gestellt. Ich bedauere, dass es in den
Debatten in der Enquete-Kommission nicht gelungen ist, die Themen
Ausstellungsvergütung für bildende Künstler sowie
Künstlergemeinschaftsrecht so zu diskutieren, dass am Ende
eine Handlungsempfehlung steht. So werden sie lediglich angerissen,
der Sachstand beschrieben, und eine Entscheidung steht nach wie
vor im Raum. Hier wäre besonders bei den Ausstellungsvergütungen
ein bisschen mehr Mut notwendig gewesen, der einen oder der anderen
Seite reinen Wein einzuschenken, entweder sich für Ausstellungsvergütungen
auszusprechen und den Institutionen, die hätten zahlen müssen,
Möglichkeiten der Finanzierung in Aussicht zu stellen oder
aber den Künstlern klipp und klar zu sagen, dass die Ausstellungsvergütungen
nicht kommen werden. Hier wurde ein Thema auf die lange Bank geschoben,
bei dem alle Argumente seit langem ausgetauscht sind. Hinsichtlich
des Künstlergemeinschaftsrechts hat die Enquete-Kommission
die Chance vertan, sich intensiver mit dem Thema zu befassen. Gerade
eine Enquete-Kommission, die über den Tag hinausdenken soll
und nicht nur für die aktuelle Gesetzgebung zuständig
ist, wäre ein geeignetes Gremium gewesen, sich mit dem Thema
zu befassen.
Am Herzen lag mir auch, deutlich zu machen, welchen Beitrag die
Bürgerinnen und Bürger für den Fortbestand und die
Weiterentwicklung des kulturellen Lebens in Deutschland leisten.
Kultur ist mehr als das, was die Kultureinrichtungen bieten, und
Kultur geht über den staatlich unterstützten Kultursektor
hinaus. Insofern war ein Gutachten zum Stellenwert von Spenden
und Mitgliedsbeiträgen zur Kulturfinanzierung sehr aufschlussreich.
Hier wird das Fazit gezogen, dass die Bürger die größten
Finanziers von Kunst und Kultur sind, und zwar zuerst als Marktteilnehmer,
dann im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements – sei
es als Zeit- oder als Geldspender – und zum Schluss erst
als Steuerzahler. Diese Aussage ist es wert, stärker bekannt
gemacht zu werden, um der vorherrschenden Meinung, in Deutschland
sei die Kultur vor allem öffentlich finanziert, entgegen zu
treten. Bedeutsam im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements
sind auch alle Forderungen zum Zuwendungsrecht. Hier werden Vorschläge
aus der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Zukunft
des Bürgerschaftlichen Engagements“ erneut aufgegriffen
und es ist zu hoffen, dass nach dem Motto „Steter Tropfen
höhlt den Stein“ auch in dieses Feld Bewegung kommt.
So manche Debatte um die Privatisierung von Kultureinrichtung wäre überflüssig,
würden konsequent die bestehenden Spielräume im öffentlichen
Haushaltsrecht ausgeschöpft und würden weitere Lockerungen
eingeführt. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der Vorschlag,
dass der Bundesrechnungshof künftig bei seinen Prüfberichten
zuerst die positiven Aspekte aus der Arbeit einer Institution schildern
soll, um vor diesem Hintergrund seine Monita zu äußern.
Der Abschlussbericht ist eine Fundgrube für die Kulturpolitik.
Es gibt kein vergleichbares Werk, in dem so umfassend der gesamte
Kulturbereich in Deutschland ausgeleuchtet wurde, konkrete Probleme
benannt und schließlich Empfehlungen zur Verbesserung abgegeben
wurden. Jetzt wird es darauf ankommen, den Enquete-Bericht umzusetzen.
Dafür wird jeder seine eigenen Prioritäten setzen und
vor allem einen langen Atem haben müssen. Der Bericht ist
es aber wert, diesen langen Atem zu investieren.
Der Verfasser ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
und war Sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission „Kultur
in Deutschland“.