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nmz-archiv
nmz 2008/03 | Seite 48
57. Jahrgang | März
Oper & Konzert
Strenge des Denkens
Frank Michael Beyer zum achzigsten Geburtstag
An ihren Werken sollt ihr sie erkennen: Der biblische Satz gilt
für Komponisten weit mehr noch als für die Allgemeinheit,
an die er gerichtet war. Mit ihren Werken greifen die Kreativen
in ihre Gegenwart ein. In ihnen überschreiten sie zugleich
die Grenzen der Zeit; sie wenden sich mit dem, was sie schreiben,
an ihre Mitmenschen, an ihre Zeitgenossen, aber auch – vorausweisend – an
Generationen, die sie nicht kennen und von denen sie nichts wissen.
So wird im musikalischen Werk die Zeit zur Hoffnung und die Hoffnung
zur erfüllten Zeit.
Und zur Geschichte. Diese gewinnt Sinn durch den Horizont der
Zukunft und Substanz durch die Vergangenheit, auf der sie ruht.
In Frank
Michael Beyers Kompositionen sind beide Dimensionen der Geschichte
gegenwärtig; darin liegt ein Teil ihres spezifischen Zeitbewusstseins.
Im weiten Universum der Musikhistorie gewannen für den Sohn
eines Schriftstellers zwei Komponisten als „Fixsterne“ besondere
Bedeutung: Johann Sebastian Bach und Anton Webern. Die Musik Bachs
kannte er von Kindheit an; sein Vater veröffentlichte in den
20er-Jahren im Berliner Furche-Verlag ein Buch über den Mann,
den er mit Max Reger für das A und das O der abendländischen
Musikgeschichte hielt. Bach blieb für Frank Michael Beyer
Gegenstand immer frischer Neugierde und immer neuer Entdeckungen.
Mit der Musik Anton Weberns wurde er während seiner Studienzeit
in den frühen 50er-Jahren bekannt. Er fand bei beiden nicht
nur Strenge des Denkens, sondern die Befreiung, die eine vollkommene
Beherrschung kompositorischer Methoden für die musikalische
Vor- und Darstellung bedeutet. Immer wieder setzte er sie zueinander
in Konstellation und verlängerte dabei den Spannungsbogen,
der sie verbindet, in zwei Richtungen: hin zu dem, was Bach bereits
zur Voraussetzung hat, und hin zu dem, was aus Webern folgen könnte.
In die feine Polyphonie, die Schichtungen und Gruppierungen des
2003 uraufgeführten Chorwerks „Et resurrexit“ ist
auch die Betrachtung der alten vielstimmigen Werke eines Josquin
Desprez oder eines Thomas Tallis mit eingegangen; die Erfahrung,
wie aus einem immer engeren Geflecht der Stimmen im Verlauf der
Zeit gleichsam ein atmender, intensiv bewegter Klang wird. Dieser
Zeitbogen zieht sich, mehr oder weniger offenkundig, mehr oder
weniger bestimmend, durch das gesamte Schaffen von Frank Michael
Beyer. Er wirkt in der „Fuga
fiammata“ für Orchester, generiert aus der Tonfolge,
die „Bach im Schlusssatz seiner e-Moll-Partita thematisiert
hat“. Sie ist, wie Webern’sche Reihen, aus einer Zelle
von drei Tönen entwickelt und lenkt das musikalische Geschehen
geheimnisvoll aus dem Hintergrund, tritt nur an markanten Positionen
deutlich hervor. Dieses Denken in Tongruppen und Tonskalen ist
charakteristisch für die jüngeren Werke Frank Michael
Beyers. Es verbindet ihn mit den Grundgedanken heutigen Schaffens
jenseits von Serialität, elektronischer Musik und postmodernen
Re-Kreationen.
Frank Michael Beyers Wirken beschränkt sich nicht auf das
Komponieren allein. Für den „homo culturalis“ gehört
die Vermittlung von Erkenntnis und Erfahrung mit zur Arbeit. Er
gab sein Wissen und Können als Lehrer für Komposition
an der Hochschule (heute: Universität) der Künste an
seine Studierenden weiter, er gründete dort das Institut für
Neue Musik, initiierte die Reihe „musica nova sacra“,
mit der die Kluft zwischen avancierter Musik und gebrauchsästhetisch
orientierter Kirchenmusik überwunden wird, er verantwortete
die Berliner Bachtage und war für die Berufskollegen im Aufsichtsrat
der GEMA tätig. 1986 bis 2003 leitete er die Musiksektion
der Akademie der Künste Berlin, der er seit 1979 angehört,
seit 1981 ist er außerdem Mitglied der Bayerischen Akademie
der Schönen Künste.
Fragen von Leben, Endlichkeit und Ewigkeit, von Liebe, Tod und
Vollendung sah Frank Michael Beyer nie an eine Altersstufe gebunden.
Seine neuesten Werke zeichnen sich, gegen das verbreitete Vorurteil,
durch einen luziden, feinnervigen, bisweilen leuchtenden Klang
aus.
Am 8. März 2008 feiert Frank Michael Beyer seinen 80. Geburtstag.