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nmz-archiv
nmz 2008/03 | Seite 44
57. Jahrgang | März
Oper & Konzert
Zauberklänge im Blauen Kubus
Das Festival „Piano plus“ im ZKM Karlsruhe
Der riesige Gebäudekomplex des Zentrums für Kunst und
Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe beherbergt neben den Einrichtungen
im audiovisuellen Bereich auch das IMA, das Institut für
Musik und Akustik. Eingebunden in die Gesamtstruktur des ZKM widmet
es sich der musikalischen Forschung und Produktion an der Schnittstelle
zu den neuen Medien. Seit seiner Gründung 1991 hat das heute
von Ludger Brümmer geleitete Institut auf diesem Feld zahlreiche
Initiativen entwickelt, angefangen von der Entwicklung neuer musikalischer
Software über die Erteilung von Stipendien und Aufträgen
für Kompositionen, die in den hauseigenen Studios realisiert
werden, bis zur Edition einer CD/DVD-Reihe gemeinsam mit dem Label
Wergo und öffentlichen Veranstaltungen. Und gemeinsam mit
dem Freiburger Experimentalstudio hat das IMA den Giga-Hertz-Preis
für elektronische Musik ins Leben gerufen; erster Preisträger
war 2007 der Engländer Jonathan Harvey.
Die Veranstaltungen des IMA finden im Blauen Kubus statt, einem
würfelförmigen Raum mit einer einzigartigen Beschallungstechnik – über
die 47 ringsherum verteilten Lautsprecher kann jede Art von virtuellem
Raumklang erzeugt werden. Hier fand nun im Dezember auch wieder
das Festival „Piano plus“ statt, das von der Pianistin
Catherine Vickers geleitet wird und Kompositionen für Klavier
mit Elektronik präsentiert. Mit einer Mischung von neuen und älteren
Werken gibt das Programm einen informativen Überblick über
die noch junge Geschichte des Genres. Zum Klassiker avanciert ist
inzwischen die fast einstündige Komposition „Pluton“ für
Midi-Klavier und Computer des heute in San Diego lehrenden Philippe
Manoury. In dem 1989 uraufgeführten Stück kommt erstmals
die heute weit verbreitete Software MAX zur Anwendung, die Miller
Puckette damals in Zusammenarbeit mit Manoury am Ircam entwickelte.
Mit ihr können Parameter wie Räumlichkeit, Tonhöhen
und Klangstreuung gesteuert werden. Der Komponist geht aber hier
noch einen Schritt weiter und lässt die Elektronik in eine
lebendige Interaktion mit dem Spieler treten: Indem der Computer
die digitalisierte Notation abtastet und zugleich auf bestimmte
Merkmale der Interpretation reagiert, beeinflusst er in Echtzeit
die innere Struktur der Musik und damit den Prozess der Aufführung.
Im Zusammenspiel von Christian Nagel am Klavier und Philippe Manoury
am Reglerpult entstand eine grandiose Klanglandschaft, die in ihrem
Facettenreichtum ebenso beeindruckte wie in der souverän gestalteten
Großform.
Manourys „Pluton“ besitzt alle Merkmale eines Prototyps
und setzt klare Standards. In der Komposition „I Kill by
Proxy“ für Klavier, Schlagzeug und Computer nutzt Michael
Edwards zwar alle Schikanen der Raumklangakustik im Blauen Kubus,
doch bleibt er zu oft in der bloßen Darstellung der Möglichkeiten
stecken und lässt es, anders als Manoury, an einer genuinen ästhetischen
Botschaft fehlen. Einen ganz anderen Ansatz verfolgt wiederum Peter
Ablinger in seiner Werkreihe „Voices and Piano“, indem
er die Obertonspektren gesprochener Sätze analysiert und sie
in pianistische Akkordfolgen umwandelt. Der an sich reizvolle Versuch,
der von Catherine Vickers akkurat demonstriert wurde, leidet dann
aber doch etwas an der Abbild-Mechanik – eine Beschränkung
auf den Klavierklang, ohne vorheriges Zuspielen der Sprechsätze,
wäre zum Hören anregender gewesen. Catherine Vickers
bildet zusammen mit Pi-hsien Chen ein fabelhaftes Klavierduo, das
aber diesmal leider nur in der Uraufführung von „madu
0.8 pyong“ von Martin Bergande in Erscheinung trat.
In einem kommentierten Konzert präsentierte Siegfried Mauser
mit Werken von Jan Müller-Wieland, Hans Jürgen von Bose,
Georg Friedrich Haas, Olga Neuwirth und Gerd Kühr fünf
völlig unterschiedliche Herangehensweisen an das Thema „Klavier
plus“ – von einer ästhetischen Enge der Gattung
kann heute nicht die Rede sein. Dass ganz allgemein die Kombination
von Instrumentalklang und Elektronik noch viel Potenzial birgt,
ging auch aus dem Videointerview hervor, das Ludger Brümmer
2004 mit Karlheinz Stockhausen im Zusammenhang mit dessen Arbeit
an „Licht-Bilder“ am IMA führte und das nun zum
Gedenken an den Komponisten wieder gezeigt wurde. Der Komponist
ist darin ganz der alte Visionär, für den die Zukunft
der Live-Elektronik gerade erst begonnen hat.