[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2008/03 | Seite 48
57. Jahrgang | März
Oper & Konzert
Im Epizentrum der Schalldruckpegel
Die Bamberger Symphoniker und die neuen EU-Lautstärke-Regelungen
Wie alle Orchester in Deutschland müssen auch die Bamberger
Symphoniker seit dem 15. Februar eine Verordnung der EU umsetzen.
Die soll Musiker vor zu großer Lautstärke schützen.
Die Beamten in Brüssel machen dabei keinen Unterschied zwischen
dem Flugzeuglotsen neben einem startenden Düsenjet und einem
Orchestermusiker im Konzertsaal. Für sie gelten allein die
Dezibel-Werte. Und da erreichen Werke von Wagner und Strauss gut
und gerne die eines Flugzeugs oder Presslufthammers.
Für das Publikum ist Orchestermusik schön. Doch für
diejenigen, die hinter den Notenpulten sitzen, kann sie manchmal
schmerzhaft laut sein. Richard Wagners „Götterdämmerung“ oder
die „Alpensymphonie“ von Richard Strauss können
Spitzenpegel von etwa 120 Dezibel erreichen, vergleichbar mit denen
eines startenden Düsenjets oder Presslufthammers. Die Lärmschutz-Verordnung
der EU gilt deshalb seit dem 15. Februar nicht nur für Bauarbeiter
am Presslufthammer, sondern auch für Geiger und Trompeter.
Danach müssen Arbeitgeber für ausreichenden Gehörschutz
ihrer Angestellten sorgen, wenn es lauter als 85 Dezibel wird.
Vor vielen Jahren hatte der Hornist der Bamberger Symphoniker,
Wolfgang Braun, einen Hörsturz. Ein Schlag der großen
Trommel in einer Schostakowitsch-Symphonie und der Musiker wusste:
Das war nicht gut. Der Hörsturz war da, wie bei einigen seiner
Kollegen auch. „Die Musiker zu zählen, die in unserem
Orchester von solchen Krankheiten betroffen waren oder sind, dafür
reichen zwei Hände nicht“, sagt Braun. Schon lange vor
der Verordnung hat er viele verschiedene Stöpsel für
die Ohren ausprobiert. Die besten waren speziell angepasste, die
den gesamten Schall linear dämpfen und nicht nur hohe oder
niedrige Frequenzen einfach abschneiden. Verfälscht würde
er sonst das eigene Spiel und das seiner Kollegen wahrnehmen. Gehörschutz
ist für Wolfgang Braun besonders wichtig, denn der Hornist
sitzt vor dem Schlagwerk und neben anderen Blechbläsern – also
mitten im Epizentrum der Schalldruckpegel.
Dass vor allem Musiker in Hochrisikogruppen individuell angepassten
Gehörschutz schon lange verwenden, weiß Bernhard Richter.
Der Professor am Freiburger Institut für Musikermedizin hat
erst kürzlich mit zwei Kollegen eine Studie mit dem Titel „Hörbelastung
und Gehörschutz bei Orchestermusikern“ veröffentlicht,
die sich genau mit diesem Thema beschäftigt. 429 Musiker aus
neun deutschen Orchestern waren daran beteiligt. Fazit: „Viele
Musiker machen sich zwar Gedanken darüber, ob durch zu laute
Musik das Gehör geschädigt wird, aber nur ein Sechstel
wendet personenbezogenen Hörschutz tatsächlich an“,
erklärt er. Die Gründe sind einfach. Während ein
Arbeiter im Sägewerk Holz erzeugt und sich dabei vor dem Lärm
schützen muss, der dabei entsteht, müsste sich ein Musiker
vor dem schützen, was er produziert, dem Klang. „Das
ist ein Dilemma“, sagt Richter.
Problematisch sind für viele Musiker die Eigengeräusche
des Körpers, die beim Tragen der Ohrstöpsel auftreten.
Geiger hören die Vibrationen des eigenen Kopfes mit, für
Blechbläser wird das Erzeugen des Klanges am Mund schwieriger.
Für Oboisten ist individueller Gehörschutz noch schwieriger
zu verwenden, da sie einen hohen Anspieldruck erzeugen müssen,
bevor ein Ton überhaupt das Instrument verlässt. Vom
Grundsatz her sei die EU-Verordnung zwar gut, doch müsste
der kollektive vor dem individuellen Schutz stehen, meint der Geschäftsführer
der Deutschen Orchestervereinigung, Gerald Mertens. „Am Anfang
stehen bauliche Veränderungen, dann geht es darum, etwas in
die Ohren zu stopfen.“ Wie viele Orchester haben auch die
Bamberger Symphoniker genau da Nachholbedarf. Das Problem sei bekannt,
so Orchestermanager Marcus Rudolf Axt. Man werde noch in diesem
Jahr reagieren. Statt der platten Bühne soll ein halbrundes,
nach hinten ansteigendes Podest gebaut werden, damit der Klang
der Holz- und Blechbläser über die Köpfe der Streicher
hinweg und nicht auf sie trifft. Die Rückwand aus Eichenholz,
die den Klang stark ins Orchester reflektiert, soll ebenfalls verändert
werden. „Im Sommer wollen wir damit fertig sein“, verspricht
Axt, der wegen der Verordnung 50 Paar individuell angepasste Ohrstöpsel
angeschafft hat – zum Preis von je 180 Euro. Wer von den
Symphonikern wollte, bekam welche.
Christian Dibbern, zweiter Geiger der Bamberger Symphoniker,
hat festgestellt, dass sich in den vergangenen Jahren ein „Immer
lauter“ bei vielen Orchestern durchgesetzt hat. „Man
sollte auf die Dirigenten einwirken und in den Proben leiser spielen“,
fordert er. Für ihn ist Lärm negativer Stress.
Entzerrte Probenpläne und Lautstärkepausen fordert die Deutsche Orchestervereinigung. „Man
muss sich fragen, ob bei jeder Probe mit voller Lautstärke gespielt werden
muss“, meint Gerald Mertens. Schutz vor zu viel Schallpegel in den Proben
sollen in Bamberg speziell gebogene Plexiglasscheiben bieten, die direkt hinter
den Köpfen der Musiker aufgestellt werden und so vor dem Druck des Hintermanns
schützen. Bei Konzerten funktioniert das aus ästhetischen Gründen
allerdings nicht.
Ob Geiger, Hornisten oder Pauker – was das Beste ist, muss jeder für
sich entscheiden. Christian Dibbern sieht das Problem so: Musiker betreiben
durch ihr Zusammenspiel akustische Kommunikation. „Aber wenn man als
Musiker schlecht hört, dann gehen die Probleme los“, sagt er. „Das
kommt der Quadratur des Kreises gleich.“
Ob Musik überhaupt für Hörschädigungen sorgt, wie es die
EU in ihrer Verordnung meint, ist in der Wissenschaft noch umstritten. „Die
eine Richtung bestätigt das, die andere sagt aber, dass das Ohr bei Musik
anders reagiert als beispielsweise bei einem industriell erzeugten Lärm“,
sagt der Freiburger Professor Bernhard Richter. Es könnte sein, dass sich
die Haarzellen bei Wagner, Strauss und Mussorgski durchaus anpassen können.
Langzeitstudien dazu gibt es noch nicht.