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nmz-archiv
nmz 2008/03 | Seite 46
57. Jahrgang | März
Oper & Konzert
Mit Virtuosität an einer Tradition der Moderne bauen
Im zehnten Jahr seines Bestehens zeigt Ultraschall ein reduziertes,
aber klares Profil
Keine lokalen Musikszenen, keine spektakulären Auftragswerke,
keine das eigene Tun infrage stellende Podiumsdiskussion – in
seinem zehnten Jahr zeigte sich Ultraschall mehr denn je auf seinen
Wesenskern konzentriert. Stets stand nicht der Uraufführungsgedanke,
die Entdeckung des unerhört Neuen, im Vordergrund, sondern
die „gute“ Musik unserer Gegenwart – der bewährte,
in neuem Zusammenhang zu erfahrende Klassiker oder das unverdient
unbekannt gebliebene Stück.
Blick
aus Scelsis Wohnung direkt gegenüber dem Forum Romanum
mit Glas- und Metallglöckchen im Vordergrund. Foto:
Archivio Fondazione Isabelle Scelsi/Francesca D‘Aloja
Mit der Gegenüberstellung zweier großer Persönlichkeiten
konnte das Festival sein Profil schärfen: Giacinto Scelsi
und Karlheinz Stockhausen, gleichermaßen als Genien verehrt
und als Dilettanten verteufelt, einander verwandt im universellen,
esoterischen Anspruch und doch im Klangergebnis kaum unterschiedlicher
denkbar. Scelsis zwanzigsten Todestages war zu gedenken, doch durch
seinen unerwarteten Tod im vergangenen Dezember galt Stockhausen
besondere Aufmerksamkeit. Der ganze letzte Festivaltag war ihm
gewidmet – die Inspiration dazu holte sich Programmmacherin
Margarete Zander allerdings noch zu Lebzeiten des Meisters bei
einem Besuch der Kürtener Kurse. So wurde „Ein Tag mit
Karlheinz Stockhausen“ zur teils bewegend-aufklärenden,
teils kurios-verklärenden Gedenkveranstaltung. Überwältigend
der Eindruck der frühen Werke, nahegebracht durch den Film „Momente“ von
Gérard Patris aus dem Jahre 1965. Im Vortrag von Rudolf
Frisius über das eigentümliche Zusammenwirken von Rätselhaftigkeit
und Erklärbarkeit in Stockhausens Werk wurden seine elektronischen
Pioniertaten nachvollziehbar, die sich vom punktuellen Klangereignis
in den Raum erweiterten – von der Stunde Null im Kölner
Studio, wo nach dem Kriegsdesaster die Klänge selbst hergestellt
werden mussten, um ihrer radikalen Reinheit im Sinne von Fremdheit
und Inhaltslosigkeit sicher sein zu können, über die
Bekanntes zur Unkenntlichkeit verfremdenden „Hymnen“,
den Esoterisches wiedergebenden „Sirius“ bis zum letzten
Werk „Cosmic Pulses“. Sicher kann man bei den übereinander
geschichteten, durchweg lärmenden 24 Tonspuren von „ungeheurer
Energie“ sprechen, die nach Auskunft des Meisters bereits
junge Leute von den Sitzen gerissen haben soll. Doch was ambitioniert
beginnt, erschöpft sich letztlich als banale, seltsam antiquiert
anmutende Nachbildung von Motorengeräuschen. Hinter seine
eigenen Errungenschaften zurück fällt Stockhausen auch
in „Komet“ für einen Schlagzeuger und Elektronik
(1994), ganz zu schweigen von „Freude“, purem Sakralkitsch
für zwei weißgewandete, engelhaft singende und synchron
sprechende Harfenistinnen – da fehlten eigentlich nur die
Flügel. Wie „Freude“ (2. Stunde) gehört auch
das Klavierstück „Natürliche Dauern“ (3.
Stunde) zum letzten unvollendeten Zyklus „Klang“, der
analog zu „Licht“ die vierundzwanzig Stunden des Tages
darstellen sollte. Doch neben den frühen Klavierstücken,
fulminant gespielt von Frank Gutschmidt und Benjamin Kobler, konnte
auch dieses im Tonmaterial reduzierte Werk vor allem mit seinen
kaum wahrnehmbaren Obertonklängen nicht überzeugen.
Rätselhaft, widersprüchlich blieb auch die Figur Giacinto
Scelsis – hier bestachen ebenso die „Quattro pezzi
su una nota sola“ als fantasievoll-strenge Studie immer neuer
Schattierungen des Einklangs und das improvisatorisch freie Cellokonzert „Ballata“ mit
der charismatischen Frances Marie Uitti, wie auch die Streichquartette
längst zum eisernen Bestand der Gattung gehören. Doch
in der „Scelsi-Nacht“ prallten etwa die ausgereifte
Atonalität der „Tre canti sacri“ auf die Beliebigkeit
des langen Flötensolos „Tetraktys“, und auch das
frühe Klavierstück „Rotativa“ verliert seine
Dünnblütigkeit nicht dadurch, dass ein Nicolas Hodges
es spielt. Um vieles facettenreicher, nuancierter, vielgestaltiger
im selben Klavierabend das Klavierstück „Voices abandonadas“ von
Walter Zimmermann, das seine Form von wiederkehrenden Begriffen
aus 514 Sentenzen des gleichnamigen Buches von Antonio Porchia
bezieht.
Hochqualifizierte Interpreten wie Hodges sind mittlerweile das
große Plus von Ultraschall. Sie sind in der Lage, dem immer
zahlreicher erscheinenden Publikum die unvertrauten Klänge
lebendig und schlüssig aufzubereiten, die Qualitäten
der Werke buchstäblich aufzuschließen und neue, eigene
Aspekte zu entdecken. Ein Werk wie „Mantra“ gewinnt
in der Wiedergabe durch das Klavierduo Grau/Schumacher ganz andere
Dimensionen als zu spröden, eher das Strukturelle als das
Klangliche betonenden Uraufführungszeiten. Durch ein Festival
wie Ultraschall entsteht etwas, was die Neue Musik bisher nie hatte:
Aufführungstradition. Ein Konzert wie das des Arditti-Quartetts
mit den Neuen Vokalsolisten ist ein prallsinnliches Erlebnis von
Virtuosität, in dem etwa Lucia Ronchettis „Hombre des
mucha gravedad“ zur komplexen dramatischen Szene wird, voll
Witz und Vitalität. Sicher, der Abstand zur traditionellen
Szene wird dadurch kleiner, ein gewisser Unterhaltungscharaker
verstärkt oder auch erst generiert. Aber ging nicht auch große
Musik vergangener Zeiten diesen Weg? Der jungen Sopranistin Caroline
Melzer etwa gelang es, Aribert Reimanns Vertonung von Goethes „Die
Liebende abermals“ gegen Mendelssohns „Die Liebende
schreibt“ als nuanciert-spannungsreiche Textauslotung zu
behaupten, die Eigensprachlichkeit von Isabel Mundry, Claude Vivier
und Elliott Carter klar abzugrenzen. Carolin Widman glänzte
als Solistin von Iannis Xenakis‘ Violinkonzert „Dox-Orkh“,
ein Kampf des Glissandos gegen strenge rhythmische Einteilungen,
während im gleichen Konzert des von Brad Lubman geleiteten
Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin die Uraufführung „Schattengitter“ von
André Werner bei aller Akribie gitterförmig versetzter
Klangraster – schattenhaft, nicht recht fassbar blieb.
Furore machte auch Matthias Pintscher am Pult desselben Klangkörpers,
weniger als Dirigent des eigenen etwas blassen Flötenkonzertes „Trans
Ir“ denn als feinsinniger, zarte, sich schnell zurückziehende
Andeutungen zum großen Bogen zusammenfügender Nachdichter
von Marc Andrés „…auf…“. Während
Xenakis schon als Ultraschall-Stammgast bezeichnet werden kann,
widmete sich das Festival diesmal auch seinem unbekannteren, 1970
verstorbenen Landsmann Jani Christou. Während „Phoenix
Music“ (1949) durch Klangschönheit besticht, aber seine
zukunftsträchtigsten Momente vielleicht in gewissen Archaismen
aufweist, ist „Anparastasis III“ für Schauspieler,
Ensemble und Tonband eine leicht pubertäre 68er-Provokation:
Zum antiquiert röchelnden Tonband darf der Dirigent Roland
Kluttig schon mal die große Trommel umarmen, während
sich das Kammerensemble Neue Musik Berlin sich in Schrei- und Schlagorgien
entlädt. Ungleich nachdrücklicher gestalteten diese Musiker
mit dem Sänger Frank Wörner „ME.A.AN“ von
Pierluigi Billone, eine hochsensible Angleichung – und wiederum
Abgrenzung – klagender Stimm- und Instrumentallaute, vom
Klang ins Geräusch hinein.
Die „Neuentdeckungen“ fügten sich dieser die Moderne
mit der Tradition zusammenfügenden Sichtweise ein: Weit weniger
spektakulär als etwa seine „Vorgänger“ Jennifer
Walshe oder Clemens Gadenstätter präsentierte sich der
DAAD-Stipendiat Chenbi An. Der 40-jährige Chinese zeigt in
seinem Orchesterwerk „Ressac“, dass er dem großen
Klangapparat effektvolle Farben abzugewinnen vermag – doch
von dieser Art auftrumpfender Opulenz haben wir vielleicht doch
schon zuviel. Weit eigenständiger die Trägerinnen des
von Aribert Reimann und der Akademie der Künste vergebenen
Busoni-Preises: „Über die Verfertigung der Gedanken
beim Reden“ sinniert die Koreanerin Eun-Hwa Cho für
Violine solo mit untrüglichem Proportionsgefühl innerhalb
frei schwingender, filigraner Abläufe; ihren „Lauf“ für
neun Musiker „ vollzieht die Kanadierin Annesley Black als
eigentümliche Synthese von Kontrolle und untergründiger
Phantasie. Ihre Aussage: „Ich weiß, wo ich herkomme
und deshalb weiß ich, wo ich hingehe,“ könnte
durchaus zum Motto des an einer Tradition der Moderne bauenden
Festivals „Ultraschall“ werden.