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nmz-archiv
nmz 2008/03 | Seite 17
57. Jahrgang | März
Kulturpolitik
Fragen von globaler Brisanz
„humanity & composition“: Das FORUM NEUER MUSIK im Deutschlandfunk
im April 2008
Das Werkstatt-Festival FORUM NEUER MUSIK des Deutschlandfunk wählt
gezielt Themen, die in der Szene wenig erschlossen sind. Der nunmehr
neunte Jahrgang initiiert Zusammenhänge zwischen gegenwärtigem
Komponieren und dem Verständnis von Humanität. „Kunst
als elementar menschliches Tun“ – so der Leiter des
FORUMS Frank Kämpfer – „hat einen entscheidenden
Anteil daran, den Begriff immer neu zu befragen“. Im Vorfeld
der Konzerte sprach Yvonne Petitpierre mit dem DLF-Redakteur.
neue musikzeitung: Vor welchem Hintergrund bringen Sie „humanity“ und „composition“ inhaltlich
zusammen? Frank Kämpfer: „Menschheit“ und „Menschlichkeit“ – im
Englischen eine Vokabel – bedeuten nicht ein und dassselbe.
Theoretisch fordert unsere christlich-aufklärerische Tradition,
Elend umgehend zu mildern, Gewalt zu entschärfen. In Palästina
zum Beispiel, in Bosnien, in Ostafrika – überall, wo
Krieg und Frieden sich kaum unterscheiden. Hoch komplexe Interessengefüge,
in die auch die westlichen Staaten sehr tief verstrickt sind, verhindern
hingegen real, dass es schnelle und einfache Lösungen gibt.
Da steht die Frage, was praktizieren wir heute für einen Begriff
von „Humanität“, und was kann helfen, ihn als
Leitbegriff zu bewahren oder gar zu korrigieren. Im Sinne von „composition“ ist
hier also der vielseitig schöpferische Mensch gefragt.
nmz: Was kann Neue Musik in diesem
Zusammenhang leisten? Kämpfer: Die Avantgarde des Komponierens
hat lange Zeit im Elfenbeinturm rein materialästhetischen und klangtechnischen
Denkens agiert. Nur Einzelne haben immer auch soziale Realität
reflektiert. Das bricht jetzt auf, wo sich das ganze Gefüge
des Musikproduzierens verändert. Immer mehr Komponisten reiben
sich an den gesellschaftlich-kulturellen Entwicklungen. Ohnehin
steht Neue Musik Vereinfachungen im Wahrnehmen entgegen. Das ist
vielleicht das Entscheidende: Wer differenzierter wahrnimmt, ist
politisch schwerer zu manipulieren.
nmz: Was konkret wird musikalisch
Anfang April im Kammermusiksaal im Deutschlandfunk zu erleben sein? Kämpfer: Sechs Kompositionsaufträge des DLF, die wir
mit Partnern aus Kanada, Österreich und der Schweiz realisieren,
entwerfen verschiedene Visionen. Jakob Ullmanns neues großes
Ensemblestück „PRAHA: celetná – karlova – maiselova“ thematisiert
die Verfolgung und Vernichtung jüdischer Künstler und
Kunst als Grunderfahrung europäischer Moderne. Samir Odeh-Tamimi
komponiert ein Gegenstück: „Challumót“ gründet
auf Versen von Selma Meerbaum-Eisinger und spricht von der Sehnsucht
nach Leben. Margit Kerns neues Akkordeon-Recital, eine Installation
von Christoph Korn, ein Roundtable, elektroakustische Arbeiten
von Jin-Ah Ahn und Georg Katzer sowie ein Projekt mit dem Bozzini-Quartett
aus Montreal docken in diesem Spannungsfeld inhaltlich an.