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nmz-archiv
nmz 2008/03 | Seite 17
57. Jahrgang | März
Kulturpolitik
Direkt vor Ort die Begeisterung entfachen
Interview mit dem Münchner Kulturreferenten Hans-Georg Küppers
Seit letztem Sommer ist Hans-Georg Küppers Kulturreferent
der Landeshauptstadt München. Er hatte damals die unglücklich
agierende Kulturreferentin Lydia Hartl abgelöst. Inzwischen
hat er sich ein Bild vor Ort machen können. Reinhard Schulz
befragte ihn zu Einsichten und Aussichten.
Hans-Georg
Küppers. Foto: Kulturreferat München
neue musikzeitung: Die Großstadt hat in den letzten Jahren
ihren Charakter weg vom bürgerlichen Repräsentationsort
gewandelt. Muss darauf auch die Kulturpolitik reagieren? Und wie
soll sie das tun? Hans-Georg Küppers: Wenn Städte und die Gesellschaft
sich wandeln, was ja permanent geschieht, wandelt sich sicherlich
auch die Aufgabe der Kultur. Ich glaube: Wir haben zwei Grundaufgaben
in der Kultur. Wenn man das schlagwortartig benennen möchte,
ist das einerseits die Profilierung nach innen und andererseits
eine Profilierung nach außen. Das bedeutet für mich
ganz konkret, dass wir in den Städten für eine ausreichende,
in die Stadtteile hineingehende Grundversorgung sorgen müssen.
Als Beispiele nenne ich Büchereien, Volkshochschulen, Musikschulen
oder Stadtteilkulturarbeit, weil ich der Meinung bin, dass in Zeiten
der Globalisierung gerade die Kultur vor Ort für die Menschen
außerordentlich wichtig ist. Auf der anderen Seite brauchen
wir die Spitzenkultur ebenso, sowohl um nach außen zu wirken,
aber auch um mit ihr neue Entwicklungen, neue Formen zu realisieren,
an denen sich dann wiederum zum Beispiel die freie Kulturszene
reiben kann. In vielen Städten habe ich beobachtet, dass man
Kultur eher unter dem Aspekt der Medienrelevanz und Imagebildung
betrachtet. Diese Einseitigkeit halte ich für falsch, das
Wichtigste ist, dass wir Kultur für die Bürgerinnen und
Bürger vor Ort machen.
nmz: Oft wird Kultur als Attraktionssteigerung
betrachtet: um Entscheidungsprozesse bei der Ansiedlung industrieller Unternehmen zu beeinflussen
oder um sie touristisch interessanter zu machen. Das also würden
sie erst an die zweite Stelle setzen? Küppers: Vielleicht auch gleichgewichtig,
mit einer kleinen Priorität gegenüber der Arbeit vor Ort. Industrielle
Ansiedlung ist eine segensreiche Nebenwirkung, aber es ist eben
nur eine Nebenwirkung. Die eigentliche Frage ist: Warum machen
wir Kultur? Was ist ihre ästhetische, was ihre geschichtliche
Bedeutung für uns? Wie kann sie uns in unserem Leben weiterhelfen?
Kann sie uns neue Sichtweisen ermöglichen? Das ist die Hauptaufgabe
von Kultur: Das Widerständige zu ermöglichen, quer zu
denken, noch nicht Gedachtes auf den Punkt zu bringen.
nmz: München bezeichnet sich als Musikstadt. Betrachtet man
die Musikgeschichte, dann ist diese Behauptung nur für einige
Phasen – Lasso im 16. Jahrhundert, Wagner, Bruckner, Mahler
von 1860 bis ins beginnende 20. Jahrhundert und wenig anderes – berechtigt.
Wie sehen Sie diesen Begriff? Küppers: München beansprucht meiner Meinung nach zu Recht
diesen Titel, ohne dabei andere Städte auszugrenzen. Mit den
hochqualitativen Orchestern, die wir haben, ich nenne nur die Münchner
Philharmoniker, das Symphonieorchester des BR, das Staatsorchester
oder das Münchener Kammerorchester, sind wir im qualitativen
Bereich weltweit auf einem Spitzenniveau. Durch Aktivitäten
wie das soeben stattfindende musica viva Festival oder durch
die Musikbiennale hat sich München darüber hinaus für
die Neue und experimentelle Musik einen Namen gemacht, den es in
dieser Art und Weise nicht noch einmal gibt.
nmz: Was man feststellen kann oder
muss, ist, dass sich die kulturellen Angebote in den Großstädten mehr und mehr angleichen – ähnlich
wie ihr Aussehen in den Fußgängerzonen. Auf der anderen
Seite hat München ein ganz eigenes Flair, eine eigene Witterung,
die von der kulturellen Entwicklung herrührt. Karl Valentin
bis Achternbusch, die Liberalitas in ästhetischen Fragen eines
Karl Amadeus Hartmann und so weiter. Welche Rolle spielen für
Sie diese lokalen Prägungen? Küppers: Also wenn man nur noch am Ortseingangsschild
spürt,
dass man in einer anderen Stadt ist, und dort nicht ein eigenes
Leben, ein eigenes Flair, ein eigenes Gefühl entwickelt wird,
dann wären wir auf einem sehr schlechten Weg. Wenn Internationalisierung
bedeutet, dass Städte sich kulturell wie architektonisch immer
mehr angleichen, dann wäre das sicherlich eine Fehlentwicklung.
Deshalb halte ich es für sehr wichtig, dass man in den Städten
das, was aus der Vergangenheit kommt, pflegt und weiterentwickelt.
Wenn man das auf den Begriff der Volkskultur bringt, bedeutet das:
Volkskultur ist keine rückwärtsgewandte Kultur, die sich
nur mit dem Brauchtum befasst, sie muss vielmehr nach vorne gewandt
und zur eigenen Qualität gemacht werden – ich denke
an Polt, an die Biermösl Blosn und so weiter –, aber
auch die Volkskultur von Migrantinnen und Migranten mit einschließen.
nmz: Zu den Münchner Philharmonikern, eine der kostenintensivsten
kulturellen Einrichtungen Münchens: Sie stehen ja neben anderen,
qualitativ gleichwertigen Orchesterapparaten, wobei sich die Programmatik überschneidet,
da das Repertoire sich überall immer mehr auf Klassik bis
Romantik einschränkt. Sollte das städtische Orchester
stattdessen eine eigene Kontur entwickeln, vielleicht hin auf andere
Orchesterformen (etwa mit Unterformationen speziell für alte
oder zeitgenössische Musik) oder andere Präsentationsweisen?
Wie sollte es sich in dieser Umgebung platzieren? Küppers: Das ist eine schwierige Frage. Ich
denke, dass durch die Wahl eines Chefdirigenten oder Generalmusikdirektors
auch die
Richtung, die ein Orchester nehmen will, bestimmt wird. Diese Richtung
würde ich als Kulturreferent auch genau diesem Chefdirigenten
beziehungsweise dem Generalmusikdirektor überlassen. Das ist
seine künstlerische Verantwortung, in die ich mich niemals
einmischen würde. Die Gefahr der programmatischen Doppelung
würde ich dabei in Kauf nehmen. Drei Mal Beethoven spielen
ist nicht drei Mal den gleichen Beethoven hören.
nmz: Der Aspekt der zeitgenössischen Musik spielt hier freilich
meist keine Rolle. Küppers: Auch das gehört zur Eigenverantwortung des jeweiligen
Chefdirigenten oder Generalmusikdirektors, aber wir haben in München
immerhin gute Ausweichmöglichkeiten, wenn ich auf musica viva,
Biennale oder auch auf die Programmgestaltung des Münchener
Kammerorchesters blicke. Bei diesem Orchester ist die Konfrontation
von zeitgenössischen Werken mit der Tradition ein Schwerpunkt.
nmz: Und das mit großem Publikumszuspruch! Welchen Stellenwert
hat für Sie dieser programmatische Ansatz? Küppers: Das Kammerorchester bedient ein
Publikum und eine Musikrichtung, die sonst so in München nicht bedient werden
würden. Auch Komponistinnen oder Komponisten werden in ihrem
Schaffen gefördert. Ich finde das mehr als verdienstvoll:
das Publikum mitnehmen; von Gewohnten zum Ungewohnten. Diese Arbeit
wird die Neue Musik in München auch weiterhin stabilisieren.
nmz: Die Musikstadt München hat kein fest installiertes Ensemble
für Neue Musik und auch kein repräsentatives mit historischen
Aufführungsformen. Wäre da nicht an eine größere
Aktivität in diese Richtung zu denken? Küppers: Nun, das gibt es in anderen Städten, etwa in
Frankfurt oder Wien, auch als Landesorchester die Musikfabrik NRW.
Im Augenblick ist das Münchener Kammerorchester hier das fest
installierte Ensemble für Neue Musik. Ich bin mir auch nicht
sicher, ob es unbedingt notwendig sein muss, ein weiteres eigenständiges
Ensemble zu gründen. Nach meinen Erfahrungen haben diese Ensembles
leider auch Abnutzungserscheinungen. Ich finde es interessanter,
die Spitzenensembles der Welt hier in München immer wieder
zu Gast zu haben. Sie können dem Musikinteressierten einen
unmittelbareren und umfassenderen Eindruck in das gegenwärtige
musikalische Geschehen vermitteln.
nmz: Ein eigenes Ensemble sehen
Sie zurzeit nicht? Es gab ja durchaus Ansätze, freie Ensembles existieren. Küppers: Ich sehe es jetzt nicht. Aber mit
den freien, sich immer wieder formierenden Ensembles über Projekte zusammenzuarbeiten,
erachte ich letztlich als erfrischenderen Weg, da sich auch stets
neue Konstellationen ergeben. Das wollen wir auch erheblich fördern,
dafür wollen wir auch Räume (auch im Sinne des Wortes
als Proben-/Aufführungsräume) öffnen: auch für
das Experiment, das gewiss kein Massenpublikum anzieht und das
auch immer wieder scheitern dürfen muss. Das ist der kulturelle
Nährboden einer Stadt.
nmz: Musikvermittlung und Musikerziehung.
Ist das auch städtische
Aufgabe? Küppers: Ich sage vorweg: Schulen können nicht alles
leisten. Wir versuchen in vielen Fällen alles auf die Schulen
abzuwälzen. Das können sie, vor allem in Zeiten von G8,
gar nicht leisten. Deshalb haben wir in diesem Bereich als Stadt
auch eine wichtige Aufgabe. Ich möchte, dass unsere Orchester und
von uns unterstützte Einrichtungen eine Gehstruktur entwickeln.
Das heißt: in die Stadtteile hineingehen, um das zu erklären
und vorzuführen, was man künstlerisch vollzieht. Nachhaltigkeit
entsteht aus Hingehen, Erklären, Erläutern. Nicht belehrend,
sondern durch das Aufzeigen von Sinn, von der Form des eigenen
Arbeitens. Als städtische Einrichtung haben wir die Pflicht,
die Menschen dort aufzusuchen, wo sie sind und nicht zu warten
und zu fragen: Warum kommt ihr denn nicht? Wir müssen vor
Ort gehen und dort die Jungen wie die Alten ganz direkt begeistern.