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nmz-archiv
nmz 2008/03 | Seite 1
57. Jahrgang | März
Leitartikel
Safety first
Tatort Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel: Gefahr im Verzug. Der
dirigierende Komponist Peter Ruzicka befindet sich konzerteshalber
auf dem Weg nach München. In seinem Handgepäck ein mörderisches
Instrument. Fast vierzig Zentimeter lang, spitz und hölzern.
Doch die Security ist auf der Hut. Sie findet spürsicher den
brutalen Taktstock und sorgt für eine sachgerechte Entschärfung
zu Sägemehl. Sicher ist sicher – denn stets bedrohlich
wirkt das Fremde, das Unbekannte.
Uns ernsthafte Musikmenschen freilich sollte dieser Schutz-Akt
aufrütteln. Ruft er doch schmerzlich ins Bewusstsein, dass
einer überwältigenden Mehrheit von fast hundert Prozent
der Bevölkerung nicht einmal mehr das Handwerkszeug des klassischen
Musikbetriebes bekannt ist. Was lief schief? Haben die Lobby-Verbände
versagt? Ist der verbliebene Musikunterricht zu poporientiert?
Sind all die strengen Bemühungen um qualitätvolle Musikvermittlung
wirkungsloser Tand?
Vielleicht müssen wir uns nur von ein paar liebgewonnenen,
aber überkommenen Ritualen trennen. Mal ehrlich: Wozu braucht
man im Zeitalter von Laserpointer und TFT-Partitur noch einen Taktstock?
Viel wichtiger ist doch eine marketingaffine Aufbereitung der
zu transportierenden Substanz für die Konditionierungsinstrumente
der öffentlichen Meinung, des gesamtgesellschaftlichen Grundwissens:
die populären Medien eben. Da kann man Frack und Fiedel vergessen.
Da zählen zuvörderst Connections. Die schafft man sich
bekanntlich durch hochbotmäßige „Freundlichkeit“,
branchenintern mittlerweile „Krügeriana“ genannt.
Gutes Beispiel deshalb: der Deutsche Musikrat. Auf seinem zukunftsträchtigen
Weg in die Arme der Kreativ-Industrie hat man es sicherheitshalber
geschickt vermieden, in den Kritiker-Chor am Brutalo-Casting von „Deutschland
sucht den Superstar“ einzustimmen. Das überließ man
geschmeidig dem gewohnt knorzig polternden Lautsprecher Kulturrat.
So hielt man sich alle potenziellen Kooperationstüren zum
Populär-Transrapid RTL offen. Und vielleicht gibt’s
im Big-Brother-Haus bald schon SchoolJam – und Dieter Bohlen übernimmt
den Streichquartett-Juryvorsitz bei „Jugend musiziert“.
Welch ein Image-Push!
Ebensolchen versprach sich die attraktive Dauerbaustelle GEMA
vom Plattmachen altertümlicher Kultur-Bezüge und der Einführung
einer innovativen Verwaltungs-Software namens AIDA. Ersteres hat
ja prima geklappt. Aber ausgerechnet das im Prinzip todsichere
High-Tech-Programm holpert und beschmutzt die von Marketing-Hochton-Trompeten
geschmetterte Erfolgs-Bilanz: ein paar Millionen Euro weniger allein
im Außendienst-
Neukundengeschäft für den Monat Januar dank Computer-Insuffizienz.
Empörte, verzweifelte Mitarbeiter: Was soll’s. Vorstand
und Aufsichtsrat werden die Software-Titanic schon noch auf Traumschiff-Design
trimmen. Irgendwann, todsicher.
Wir aber, in unserer Redaktions-Lästerstube, folgen weiter
dem alten nmz-Leitsatz: Das Unsicherere ist das Sicherere.