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nmz 2008/03 | Seite 9-10
57. Jahrgang | März
Magazin

Musikunterricht ist mehr als Unterrichtserteilung

Ein einheitliches Berufsbild des Musik(schul)lehrers ist nach wie vor nicht in Sicht · Von Christian de Witt

Musikalische Bildung ist „in“. Überall wird Wert darauf gelegt, dass unsere Kinder ein Instrument lernen können und entsprechend musikalisch gebildet sind. Daran wird auch wohl die neueste Studie des Bundesforschungsministeriums mit ihrem Ergebnis, dass Musik nicht zwingend intelligent macht, nichts ändern. Unsere Gesellschaft scheint auf dem Weg zu sein, Musik und damit auch musikalische Ausbildung als Teil unseres Lebens zu begreifen.
Solche Entwicklungen stimmen für die Zukunft des Berufsstandes der Musiklehrer hoffnungsfroh. Umso erstaunlicher ist, dass die Berufsperspektiven der Musik(schul)lehrerin, des Musik(schul)lehrers sich gleichzeitig weiter verschlechtern. Kommunale Musikschulen beispielsweise beschäftigen zunehmend freie Mitarbeiter als Lehrkräfte, die erheblich „kostengünstiger“ sind als fest angestellte Lehrerinnen und Lehrer. Für diese Entwicklung ausschließlich finanzielle Gründe zu nennen, ist zu kurz gegriffen, denn in anderen Bereichen des öffentlichen Musiklebens, beispielsweise in den Berufsorchestern, weiß jedermann, dass die künstlerische Qualität entscheidend von der angemessenen Bezahlung der Orchestermitglieder abhängt. Die Denkweise, dass man die Honorare für Musikunterricht ohne wesentliche Qualitätsverluste beliebig nach unten senken kann, hat Gründe, für die ganz unterschiedliche Faktoren verantwortlich sind, denen sich nachzugehen lohnt.

Historisches

Die reformpädagogischen Ansätze der 20er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts orientierten sich an einem humanistischen Bildungsideal. Das gleichberechtigte Zusammenwirken von geistigen, körperlichen und musischen Fertigkeiten sollte zu einer ganzheitlichen Erziehung führen. Im Zentrum der Pädagogik stand der „ganze Mensch“. Erstmalig in der Geschichte bekam der Musikunterricht eine umfassende eigenständige Bedeutung, ohne dass kirchliche oder wie im 19. Jahrhundert „staatsbürgerliche“ Zwecke im Hintergrund standen.

Viele Errungenschaften gehen auf die­se Zeit zurück. Es entstanden Musikhochschulen, um die Musiklehrer für die weiterführenden Schulen gleichberechtigt ausbilden zu können. An den zahlreich gegründeten pädagogischen Akademien, die für die Volksschullehrerausbildung zuständig waren, spielte musikalische Unterweisung eine sehr große Rolle.
Auch im Instrumentalunterricht wurden Veränderungen in Angriff genommen. Zum einen entstanden erstmalig­ in der Geschichte öffentliche Musikschulen, die für alle zugänglich sein sollten. Den eher leistungsorientierten Konservatorien wurden damit Institutionen gegenübergestellt, die mit einem neuen pädagogischen Ansatz andere Formen von Musikunterricht erprobten.

Zum anderen entstand ein Berufsbild für den (privaten) Instrumentallehrer, es wurde eine Ausbildung konzipiert, die mit einer privaten Musiklehrerprüfung endete (PMP), und der Berufsstand des Musiklehrers wurde gesetzlich geschützt. Diese Maßnahmen schienen notwendig zu sein, weil man in der privaten Instrumentalausbildung große Defizite sah. Unqualifizierte und unmotivierte Personen gaben schlechten Privatunterricht.

Der Berufsstand des Musiklehrers erfuhr in dieser Zeit einen gewaltigen Aufschwung und nie gekannte gesellschaftliche Akzeptanz. Erstmalig konnte man an einem Gymnasium mit dem Fach Musik Studienrat werden oder mit der Bezeichnung „staatlich anerkannter Musiklehrer“ Instrumentalschüler unterrichten.

Leider wurden diese Entwicklungen zu Beginn der 30er-Jahre durch die aufgrund der schlechten Wirtschaftslage erforderlichen Sparmaßnahmen abgebrochen.

In den 60er-Jahren änderte sich die Musikpädagogik radikal. Man verabschiedete sich von dem „musischen Bildungsideal“ der 20er-Jahre zugunsten einer „Orientierung am musikalischen Kunstwerk“. Neben einer politischen, ideologischen Diskussion (die im musischen Bildungsideal irrationale Elemente sah, die für politische Indoktrination während des Dritten Reiches mitverantwortlich gemacht wurden) gab es eine kritische Bewertung der musikalischen Ziele und Inhalte innerhalb der musischen Bewegung. Man wollte die Musik nicht mehr als Vehikel, um andere Unterrichtsziele zu realisieren, also das Musizieren um der bloßen Tätigkeit willen, sondern man wollte die Musik mit ihren gesamten Qualitäten in den Mittelpunkt stellen.­ So lautet auch der Untertitel des von Heinz Antholz vorgelegten didaktischen Fachbuches folgerichtig „Von Musik im Unterricht zu Unterricht in Musik“.

Für die Musikschulen, die gerade in den 60er-Jahren in großer Zahl gegründet wurden, ergaben sich zwei unterschiedliche Denkrichtungen. Zum einen ging es weiter um eine „musische“ Förderung der Schülerinnen und Schüler, um das gemeinsame Musizieren und um das Musikerleben, zum anderen wurde zunehmend das musikalische Kunstwerk Gegenstand des Unterrichtes. Auf diese Weise entstand an den Musikschulen ein vermeintliches Spannungsfeld zwischen „pädagogischen“ und „künstlerischen“ Ansätzen. Damit wurde hier eine Diskussion aufgegriffen, die in den 20er-Jahren in der Schulmusik für die allgemeinbildenden Schulen geführt wurde. Man wollte „den Lehrer, der im pädagogischen künstlerisch und im künstlerischen pädagogisch wirkt“. Hatte sich diese Diskussion im Alltag der allgemeinbildenden Schule längst erledigt, so wurden in den Musikschulen zahlreiche Konflikte zwischen den „Pädagogen“, die „eigentlich von ihrem künstlerischen Hauptfach keine Ahnung hatten“ und den „Künstlern“, die „keine Ahnung vom richtigen Umgang mit ihren Schülerinnen und Schülern hatten“, ausgetragen. Man redete über das Gleiche, meinte aber etwas Verschiedenes.

1. These: Bis heute hat sich kein einheitliches Berufsbild der Instrumentallehrerschaft entwickelt. Ansätze aus den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts wurden nicht weiterverfolgt, so dass eine Schärfung des Profils nicht stattfinden konnte.

Didaktik

Erst in den letzten Jahren beginnen wir zu lernen, dass es nichts Verwerfliches ist, auch in der Pädagogik des instrumentalen Musizierens in unterschiedlichen Qualitäten zu denken und zu arbeiten. Wir beginnen zu begreifen, dass unterschiedliche Interessenlagen auch unterschiedliche Musizierformen erfordern und dass daher die Ergebnisse auch unterschiedlich sein müssen. Mit dieser Erkenntnis beginnt­ aber unser Dilemma. Wenn wir neben den handwerklichen und künstlerischen Fertigkeiten andere Qualitätskriterien für einen Unterrichtserfolg zulassen, dann brauchen wir auch definierte Unterrichtsziele, die abhängig von der jeweiligen Unterrichtssituation sind. Dies würde aber eine Didaktik erfordern, deren Inhalte weit über die Erfordernisse des jeweiligen Instrumentes hinausgehen. Im Sinne des Begriffes Didaktik als einer wissenschaftlichen Disziplin wird eine Theoriebildung erforderlich, welche die gesellschaftlichen Gegebenheiten und Erfordernisse einbezieht und auf diese Weise unterschiedliche Aufgabenstellungen mit entsprechenden konkreten Zielsetzungen definieren kann.

Erst wenn solche Zielsetzungen auch für den Instrumentalunterricht existieren, können in diesem Bereich differenzierte Unterrichtssituationen entstehen, die selbstverständlich weiterhin auf das erprobte „Lehrling-Meister-Verhältnis“, in dem der Lehrer seinen Schülern so viel wie möglich von seinen persönlichen handwerklichen und künstlerischen Fertigkeiten weitergibt, zurückgreifen, denen aber auch sehr konkrete Lernziele zugrunde liegen können, die wiederum nur (kleine) Teile des gesamten Spektrums der instrumentalen Fertigkeiten berücksichtigen müssen.

Eine Theoriebildung, die einem Unterricht eine entsprechende Didaktik voranstellt, hat es in der eben genannten Form bisher nicht gegeben. Es hat sie auch niemand vermisst. Im Gegenteil: Die Tatsache, „bei einem Konzertpianisten Unterricht zu haben,“ verspricht häufig mehr Qualität als die Unterweisung bei einem Musiklehrer. Neue Anforderungen, die in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen Arbeit mit auch größeren Gruppen erfordern, machen aber eine gesicherte Unterrichtstheorie unverzichtbar. Wenn wir infolgedessen im Instrumentalunterricht über einen entsprechenden theoretischen Hintergrund verfügen, dessen Ziele so genau definiert sind, dass sie nur mit entsprechend ausgebildeten Lehrkräften realisiert werden können, wird auch der Umkehrschluss gelten, dass nämlich der Konzertpianist genauso „nur“ ein Klavierlehrer zweiter Klasse ist, wie der Klavierlehrer „nur“ ein Konzertpianist zweiter Klasse ist.

Es soll an dieser Stelle keinesfalls den Künstlern die Fähigkeit abgesprochen werden, gute Lehrer zu sein oder umkehrt die künstlerischen Fähigkeiten eines guten Lehrers geleugnet werden. Es geht vielmehr darum, dass die Außensicht auf einen Instrumentallehrer sehr genau in der eben geschilderten Dualität erfolgt.

Im Einzelunterricht werden die eigenen Fertigkeiten weitergegeben, je nach Bedürfnis der Schülerschaft kann der Nachbarssohn, der schon vier Jahre Unterricht gehabt hat, als Lehrer fungieren oder im anderen Extrem die Konzertpianistin, die man bei irgendeiner Gelegenheit kennengelernt hat. In Gruppen- oder Klassenunterrichten dagegen werden die pädagogischen Fertigkeiten erwartet, die gestatten, konkrete Lernziele umzusetzen.

2. These: Wir brauchen die Entwicklung einer Unterrichtstheorie, die gesellschaftliche Erfordernisse mit den Möglichkeiten instrumentaler Unterweisung vereint und entsprechende Ziele formuliert.

Aufgabenfelder

Viele Initiativen bemühen sich neben den Musikschulen und Musikvereinen zurzeit darum, Kinder, Jugendliche­ und auch Erwachsene zum Musizieren zu bringen. Es gibt einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dass das gemeinsame aktive Musizieren für die Entwicklung von Kindern wichtige Impulse geben kann. Dies schafft zunächst für alle, die Instrumentalunterricht erteilen, erfreuliche Perspektiven. Aber leider hat auch diese Entwicklung eine Kehrseite. Es besteht die Gefahr, dass private Initiativen zwar dafür sorgen (können), Kinder mit den entsprechenden Instrumenten auszurüsten, die weitergehenden Schritte, die zu einer qualifizierten Unterweisung auf dem jeweiligen Instrument führen, jedoch nicht sicherstellen. Wenn man sich damit begnügt, für die Unterrichtstätigkeit Menschen zu finden, die ein Instrument spielen können und die bereit sind, ihre Fertigkeiten weiterzugeben, sorgt man für eine Entprofessionalisierung des Instrumentalunterrichtes. Dies würde dauerhafte Qualitätsverluste bedeuten, denen nur mit einem Ausbau der Musiklehrerausbildung zu begegnen wäre. Leider liegt das Problem viel tiefer. Wenn nämlich die genannte „Entprofessionalisierung“ innerhalb unserer Gesellschaft überhaupt nicht wahrgenommen wird und das System einer instrumentalen Unterweisung durch „Laien“ als angemessen und vor allen Dingen als zielführend anerkannt wird, wird das existierende Berufsbild eines Instrumentallehrers beziehungsweise einer Instrumentallehrerin stark beschädigt.
Natürlich ist eine Unterweisung durch „Laien“ kein neues Problem. In zahlreichen Musikvereinen beziehungsweise Posaunenchören werden die instrumentalen Fertigkeiten von einer Generation an die nächste weitergegeben. Hier hat sich allerdings im Laufe der Jahre aus dem Nebeneinander zwischen ausgebildeten Musiklehrern und „Amateurlehrern“ ein Miteinander entwickelt. Häufig übernehmen Musikschulen Unterrichtsaufgaben in den Musikvereinen, und professionelle Musiklehrer helfen in Fortbildungsveranstaltungen bei der Ausbildung. Damit wird deutlich, dass eine instrumentale Unterweisung durch „Laien“ auch dazu führen kann, das Berufsbild eines professionellen Musiklehrers zu schärfen. Genau dieser Prozess wird vor dem Hintergrund der genannten Entwicklungen einzuleiten sein. Es muss innerhalb der Gesellschaft deutlich werden, für welche Aufgaben man professionelle Musiklehrer braucht.

3. These: Das Aufgabenfeld von In-s­trumentallehrerinnen und Instrumentallehrern muss im Vergleich zu „Amateurlehrern“ auf der einen Seite und „Künstlern“ auf der anderen Seite genau definiert und abgestimmt werden. Auf diese Weise muss in der Gesellschaft ein klares Profil des Berufes verankert werden.

Marktorientierung

In den 90er-Jahren kamen im Zuge zahlreicher Verwaltungsreformen Verfahrens- und Sichtweisen aus der Wirtschaft ins Blickfeld öffentlicher Institutionen. Auch in den Musikschulen setzte eine intensive Diskussion ein, in deren Mittelpunkt die Begriffe Dienstleistung und Kundenorientierung standen. Sehr schnell zeigte sich, dass sich neue Verhaltens- und Verfahrensmuster in die tägliche Arbeit einführen ließen, ohne das Selbstverständnis der Lehrkräfte zu verändern. Dies war möglich, weil die aus der Wirtschaft übernommenen Begriffe großenteils sehr eng mit den pädagogischen Sachverhalten korrespondierten. So entspricht beispielsweise ein kundenorientierter Ansatz sehr genau dem Modell einer handlungsorientierten Didaktik.

Widerstände und Probleme ergaben sich allerdings bei der Diskussion einer marktorientierten Musikschularbeit. Auch wenn diese Begrifflichkeit Analogien zu entsprechenden pädagogischen Ebenen hat, gibt es in allen Bereichen, die finanzielle Aspekte haben, Probleme.

Jede öffentlich geförderte Musikschule hat finanzielle Rahmenbedingungen, die im günstigsten Fall ausschließlich aufgrund der pädagogischen Notwendigkeiten gesetzt sind und das Musikschulpersonal in die Lage versetzen, im Rahmen dieser Bedingungen ihrer pädagogischen Verantwortung gerecht zu werden. Der angebotene Unterricht dient ausschließlich der Vermittlung kultureller Werte oder Fertigkeiten und hat mit dem Status einer „Ware“ nichts gemein. In letzter Zeit tritt dieser „günstigste“ Fall immer mehr in den Hintergrund. Die pädagogische und künstlerische Arbeit einer Musikschule wird zunehmend in der Unterrichtserteilung (=Ware) gesehen, das heißt das Zusammenwirken aller Beteiligten im Sinne einer gesellschaftlich sichtbaren Kulturarbeit wird ständig zurückgedrängt.
4. These: Es muss für alle deutlich gemacht werden, dass der Beruf des Musikschullehrers sehr wesentlich durch die Tätigkeiten gekennzeichnet ist, die über die reine Unterrichtserteilung hinausgehen und die dafür verantwortlich sind, dass Musikunterricht nicht bloß eine angebotene „Ware“ ist, sondern einen in unserer Gesellschaft als wichtig angesehenen Bildungsprozess ermöglicht.

Fazit

Die pädagogische Komponente des Instrumentallehrerberufes ist offensichtlich in der Vergangenheit nicht genügend beachtet worden. Weder innerhalb der Berufsausbildung noch im Rahmen von Aufgabenbeschreibungen und öffentlichen Diskussionen wird dieser Bereich genügend beachtet. Wir müssen dafür sorgen, dass der Berufsstand der Instrumentallehrerinnen und -lehrer ein kompetenter und unverzichtbarer Partner für alle Bildungsfragen wird, die mit dem Wunsch nach „Musikalisierung“ unserer Gesellschaft zu tun haben. Um dieses Ziel zu erreichen, sind viele Schritte notwendig. Etliche davon müssen wir, die als Instrumentallehrerinnen und -lehrer arbeiten, selber tun.

Christian de Witt

 

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