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nmz-archiv
nmz 2008/03 | Seite 12
57. Jahrgang | März
Magazin
Kreativer Klanggeist
Der Komponist Tom Sora – Ein Porträt
Tom Sora ist 1956 in Bukarest geboren, wo er sein Studium der Musiktheorie
und Orgel beginnt, das er später in München und Stuttgart fortsetzt.
Seine Ausbildung folgt unkonventionellen Bahnen, er ist auch an keinerlei Institutionen
gebunden. Zwischen 1990 und 2001 war er intensiv als Bildender Künstler
tätig, präsentierte seine Werke in Einzel- und Gruppenausstellungen.
Zusätzlich arbeitete er als musikalischer Berater und Pianist für
verschiedene Theaterproduktionen.
Sein
Ziel ist es, eine kommunikative soziale Situation zu erstellen: Komponist
Tom Sora. Foto: privat/Manfred Goelz
Sora komponiert seit 1993. Parallel dazu beginnt er seine wissenschaftliche
Tätigkeit in den Bereichen Musiktheorie, Ästhetik und Politikwissenschaft.
2004 promoviert er in Ästhetik und Kunstwissenschaften an der Universität
Paris I. In seiner Dissertation („Der Modulare Konstruktivismus.
Homogene Räume in der Utopie und der repetitiven Kunst“) thematisiert
er unter anderem den Zusammenhang zwischen politischer Philosophie,
Kunsttheorie und Kunstproduktion.
Diese Thematik verfolgt er seitdem auch in anderen wissenschaftlichen Texten.
Das Ineinandergreifen von wissenschaftlichem Denken und Kunstproduktion
ist für ihn charakteristisch.
2007 hat Sora den Förderpreis Musik der Stadt München erhalten. 2008
wird er Stipendiat des Freiburger Experimentalstudios sein.
Wer Musik von Tom Sora begegnet, wird schnell mit einer nicht fassbaren,
aber die eigene Wahrnehmung schärfenden Sogwirkung konfrontiert. Berührt
werden vielerlei Befindlichkeiten durch Klangsituationen, die sich beim ersten
Hören in ihrer komplexen Mehrdimensionalität und Intensität
kaum erschließen.
Tradierte Wahrnehmungsprozesse werden durch klangliche Vernetzungen, die
im weitesten Sinne Unerhörtes bieten, zwischen Experiment, Verfremdung, intellektuellen
Implikationen und sinnlichem Rausch aufgebrochen. Musik, die sich Hörgewohnheiten
entzieht und in keinem Moment zu gedankenlosem Konsum einlädt. Soras Kompositionen
fordern höchste Aufmerksamkeit, Offenheit und Neugier. „Das Kondensieren
von Gedanken bestimmt unter anderem meine Kompositionsarbeit. Ich komponiere
meine Musik wie eine stringent geführte Argumentation, an der man lange
jeden Gedanken abwägt, bevor man sie vorträgt.“ Das kann dazu
führen, dass sich beim Hörer Gefühle von Irritation, aber
auch von Vertrautheit einstellen.
Jeglicher Vergleich Tom Soras mit anderen Komponisten oder eine stilistische
Zuordnung scheitern, auch wenn zu seiner Kompositionstechnik avancierte
Mittel wie Elektronik und Computer dazugehören. Zyklische Werke wie „Destillation“ für
MIDI-Klavier belegen beispielsweise einen Aspekt seiner konstruktiven Vorgehensweise.
Als Basis dieses work in progress diente Sora die digitale Aufnahme eigener
sehr kurzer Improvisationsfragmente, die er mehrfach neu zusammengesetzt und
collagiert hat. Durch Schnitte und Überblendungen der ursprünglichen
Fragmente ließ er eine zunehmende Dichte und einen höheren Abstraktionsgrad
der Musik entstehen.
Die spezifische, sehr facettenreich
ausgeprägte musikalische Sprache So-ras wurzelt vor allem in klaren
künstlerischen Konzepten. Seine künstlerischen Ideen gehorchen dabei
kompromisslos und radikal selbst aufgestellten Gesetzmäßigkeiten.
Auf phantasievolle Art versucht Sora Inhalte seines inneren Lebens und eigene
Reflexionen über die ihn umgebende Realität künstlerisch zu
objektivieren. So lässt sich unter anderem der persönliche Charakter
seiner Kunst erklären. Im Vordergrund steht oft die Übersetzung philosophischer
oder ästhetischer Inhalte in ein musikalisches Medium. „Wenn sich
für mich Ideen zu einem gedanklichen Thema verdichten, dann beginne ich
manchmal damit, entsprechende klangliche Chiffren zu suchen.“ Sein Ziel
ist aber die Erstellung einer „kommunikativen sozialen Situation im weitesten
Sinne, durch die Übermittlung dieser in die Kompositionen eingeflossenen
außermusikalischen Inhalte an das Publikum.“ Unter einer „kommunikativen
Situation“ versteht er auch die nachträgliche Auseinandersetzung
der Rezipienten mit den gedanklichen Hintergründen seiner Musik, also
eine Art Dialog der Hörer mit seinen Stücken.
Soras Werke entfalten verschiedentlich bestimmte gesellschaftliche und existentielle
Grundfragen. In Kompositionen wie „Gesetz und Freiheit“ oder „Staub
und Schlamm“ werden Spannungsverhältnisse oder Polaritäten
musikalisch in dichte und fein ausgeklügelte Abläufe gefasst. Die
Konfliktbildung und -lösung beschreibt er als wesentlichen Motor seiner
Musik. „Polaritäten, die in einen Konflikt treten, generieren eine
Bewegung. Aus dieser Bewegung kann dann Musik entstehen.“
Die kompositorisch komplexen Strukturen muten zunächst spröde und
widerständig an, doch eine intensivere Beschäftigung oder ein mehrmaliges
Hören legt feinste Zusammenhänge frei. Wenn man „… die
Wiederholung als einen lebendigen Rückgriff versteht, erlaubt sie Variation
und somit echte Veränderung. Sie kann, so paradox das auf den ersten Blick
erscheinen mag, zu einem Mittel der Kontrastbildung werden.“
Klang bleibt für Tom Sora zunächst eine abstrakte Materie, die erst
in einem bestimmten musikalischen Zusammenhang an Aussagekraft gewinnt. „Für
mich entsteht Bedeutung immer nur in einem relationalen Kontext, im Feld des
Dialogs und der Vielschichtigkeit. Ein einzelner Akkord oder Klang interessiert
mich an sich nicht.“ Instrumente und Klangfarben wählt Sora nach
konstruktiven Kriterien aus, nie aus rein akustischen Überlegungen. In
jedem Fall berühren die Arbeiten von Tom Sora Ausdrucksebenen, die sich
jeglichem Mainstream verweigern. Seine Werke bergen einen hohen Grad an Aktualität,
und darin mag man den besonderen Reiz der äußerst komplexen Musik
orten.
Yvonne Petitpierre
CD-Tipp
Tom Sora: Music for mechanical and electronic instruments. 20 Töne/Destillation/Drei
Angriffe. Col legno/Neos WWE1 CD 40001