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nmz-archiv
nmz 2008/03 | Seite 15-16
57. Jahrgang | März
Musikwirtschaft
China im Fokus: Seid umschlungen, 260 Millionen
Gespräch mit Peter Hanser-Strecker, Schott Music, über
das Interesse der Chinesen an europäischer Musik und vice
versa
Bei der Internationalen Musik- und Medienmesse MIDEM, die Ende
Januar in Cannes stattfand, war das Gastland diesmal China. Der
gigantische chinesische Markt wird vom internationalen Musikbusiness
gerade erschlossen, wobei sich das aktuelle Interesse auf die bevorstehende
Olympiade, das mobile Musikhören und das sich abzeichnende
Internetgeschäft konzentriert. Doch neben diesen rein profitorientierten
Aktivitäten gibt es auch langfristig angelegte, in einen kulturpolitischen
Kontext eingebettete Arten der Kooperation. Darüber unterhielt
sich Max Nyffeler mit Peter Hanser-Strecker, geschäftsführende
Gesellschafter des Mainzer Verlags Schott, am Rande des MIDEM-Symposiums „Doing
Classical Music Business in and with China“.
Vertragsabschluss
mit People’s Music Publishing House auf der Buchmesse
Beijing im August 2007. Foto: Schott Music
neue musikzeitung: Wie lange sind Sie schon im
China-Geschäft
tätig? Peter Hanser-Strecker: Die ersten Kontakte nach
China entstanden vor zwanzig Jahren. Das war damals sehr mühsam. Kontakte konnte
man nur per Brief pflegen, und ein Chinese machte sich automatisch
verdächtig, wenn er ausländische Post bekam. Erst vor
zwölf Jahren konnten wir beginnen, uns aktiv im Markt zu bewegen,
und seither geht es mit steigender Geschwindigkeit voran.
nmz: Welches sind Ihre Geschäftsfelder? Hanser-Strecker: Es gibt drei Bereiche. Zunächst geht es darum,
unsere vorhandenen Werke in China auf den Markt zu bringen. Dazu
muss man wissen: Ein Export der Noten kommt aus Kostengründen
nicht in Betracht. In Deutschland sind die Druckkosten rund zehnmal
höher als in China, und das ergäbe einen illusorischen
Verkaufspreis – eine Partitur, die bei uns im Laden zehn
Euro kostet, dürfte in China für höchstens einen
Euro verkauft werden. Geschäfte kann man nur über Lizenzen
machen.
nmz: Wie sieht das konkret aus? Hanser-Strecker: Wir arbeiten gegenwärtig mit acht Verlagen
zusammen. Diese Partner stellen unsere Noten in einer Auflage von
3.000 bis 10.000 Stück her und verkaufen sie. Das ist ein
Teil unserer Aktivitäten. Der zweite Bereich sind Bücher:
Es gibt ein großes Interesse an Biografien, aber auch an
pädagogischen Werken und Nachschlagewerken. Das ist ein sehr
wichtiger Teil. Und schließlich gibt es drittens noch den
Vertrieb von Aufführungsmaterialien unserer Werke im chinesischen
Raum.
nmz: Ein gutes Exportprodukt ist
sicher die Musik von Carl Orff. Hanser-Strecker: Orffs Werke stoßen in der Tat auf großes
Interesse. Die Anfänge liegen hier auch lange zurück.
Anfang der 1980er-Jahre kam der Musikwissenschaftler Naixiong Liao
nach Deutschland, um über Orff zu arbeiten. Er hat dann das
Orff-Schulwerk und eine Reihe von Sammlungen auf Chinesisch herausgebracht.
nmz: Auf welche Schwierigkeiten
stößt man im China-Geschäft? Hanser-Strecker: Das Hauptproblem ist die Verständigung. Das
chinesische Denken ist so völlig verschieden von unserem,
dass eine Kommunikation nur mit wirklich guten Übersetzern
funktionieren kann. Das haben wir bei Schott gelöst, indem
wir chinesische Mitarbeiter auch in Mainz engagiert haben, die
eine dauerhafte enge Beziehung mit unseren Partnern etablieren.
Mit vorübergehend beschäftigten Dolmetschern kommt man
nicht weiter. Die zweite Schwierigkeit besteht darin, dass der
chinesische Markt noch sehr jung ist. Notenausgaben in größerem
Stil und angemessener Qualität gibt es erst seit fünfzehn
Jahren. Doch seither ging es enorm schnell. Die Geschwindigkeit,
mit der sich alles zum Positiven entwickelt, macht uns immer wieder
sprachlos. Chinesen lernen
enorm fix. Die ersten Ausgaben sahen noch aus wie die Mao-Bibel,
doch das ist längst vorbei. Hohe Qualität in jeder Beziehung
ist heute in China absolut machbar. Es gibt daneben natürlich
auch einfachere Ausgaben, die nicht unserem Standard entsprechen,
aber in China gut verkauft werden.
nmz: Wie groß ist eigentlich der chinesische Markt? Können
Sie eine signifikante Zahl nennen? Hanser-Strecker: Von den 1,3 Milliarden Menschen
sind rund 80 Prozent Bauern und Arbeiter, die keinen Zugang zu
unserer westlichen Musik
haben. Aber die restlichen 260 Millionen Chinesen sind ausgesprochen
aufgeschlossen und wirklich interessiert, vor allem an klassisch-romantischer
Musik. Ich glaube, Beethoven dürfte bei ihnen mit weitem Abstand
an erster Stelle stehen.
nmz: Haben Sie als Verlag mit Copyright-Problemen
zu kämpfen? Hanser-Strecker: Die gibt es natürlich. China ist erst vor
acht Jahren dem Welturheberrechts-Abkommen beigetreten, vorher
war alles vogelfrei. Jetzt gibt es den Schutz der Urheber – theoretisch.
Der schwarze Markt ist gigantisch. Gerade erst wieder haben wir
Informationen erhalten, wie und wo unsere Ausgaben einfach schwarz
nachgedruckt werden. Die chinesische Version, wohlverstanden, und
ohne dass der chinesische Verlag etwas dagegen machen kann. Das
ist ein echtes Problem. Im Tonträgerbereich ist es noch schlimmer,
CDs aller namhaften Labels, Deutsche Grammophon, Philips und all
die anderen bekommt der Kunde dort für 50 Cent, im Original-Layout.
Das Kopieren in China hat einen hohen Standard … Auf der
anderen Seite entsteht auf Dauer ein großer Markt, und ich
bin sicher, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis das Problem
unter Kontrolle gebracht ist.
nmz: Was könnte dagegen getan werden? Hanser-Strecker: Das Wichtigste ist, ein Bewusstsein
dafür
zu entwickeln, dass das Urheberrecht ein schutzwürdiges Gut
ist. Und dann sollte die Effizienz der Verwertungsgesellschaft
verbessert werden. Das Inkasso zum Beispiel bei Radiosendungen
ist noch ungenügend. Dasselbe gilt für den Rechtsvollzug – wer
als Pirat erwischt wird, sollte auch schneller und empfindlicher
zur Rechenschaft gezogen werden. Das ist noch ein langwieriger
und teurer Prozess.
nmz: In Cannes war von den chinesischen
Gästen zu hören,
der musikalische Handel mit dem Westen solle nicht nur als Einbahnstraße
verlaufen. Wie sieht das bei Ihrem Verlag aus? Hanser-Strecker: Wir lassen in China Noten für
den Export nach Europa herstellen, außerdem machen wir Joint
Publishing. Das heißt, wir stellen gleiche Ausgaben für
China und für Europa her, und wir importieren oder lizenzieren
chinesische Kompositionen, Sammelbände und Bücher. Wir
haben bei Wergo auch bereits einige CDs mit neuer chinesischer
Musik veröffentlicht.
Diese Reihe wollen wir fortsetzen.
nmz: Werden Sie chinesische
Komponisten vermehrt verlegen? Hanser-Strecker: Ganz sicher, aber in Kooperation mit einem chinesischen
Verlag, damit die Herstellung vor Ort zu Preisen erfolgen kann,
die auch für den chinesischen Markt realistisch sind. Wir
suchen hier wie auch in anderen Ländern der Welt nach den
besten Komponisten; entscheidend sind auch hier die Qualität
und das künstlerische Potential. Stellen Sie sich vor: Zurzeit
gibt es an den chinesischen Hochschulen schätzungsweise zweitausend
Kompositionsstudenten, und jedes Jahr werden vermutlich weitere
Hunderte dazukommen. Die drängen alle in irgendeiner Weise
in die Öffentlichkeit.
nmz: Wie schätzen Sie die Akzeptanz der neuen chinesischen
Musik im Westen ein? Hanser-Strecker: Anders als in der modernen chinesischen
Malerei, die weltweit bereits eine beachtliche Rolle spielt, ist
man in
der Musik noch nicht so weit. Ich bin aber sicher, dass sie in
etwa zehn Jahren weithin akzeptiert sein wird. Das Publikum wird
sich an die chinesischen Namen und vor allem auch an die anders
geartete Musiksprache gewöhnen.
nmz: Und wie kann sich die westliche
Musik in China weiter verbreiten? Welche Rolle spielt dabei die
Musikerziehung? Hanser-Strecker: Eine sehr wichtige, denn damit
erreichen wir den Nachwuchs. Die Musikerziehung befindet sich in
China im Ausbau,
was auch mit der Ein-Kind-Politik zusammenhängt. Auf das eine
Kind konzentriert sich die Aufmerksamkeit von sechs Erwachsenen – die
Großeltern und ein Elternpaar –, und alle wollen diesem
Kind eine gute Erziehung zukommen lassen. China und der Westen
werden sich damit musikalisch näher kommen. Das zeichnet sich
schon heute ab.
nmz: Inwiefern? Hanser-Strecker: Es werden immer mehr chinesische
Musikstudenten die deutschen Hochschulen bevölkern. Aufgrund ihrer sehr frühen
intensiven Ausbildung sind sie schon jetzt deutschen Studenten
nicht selten überlegen. In diesem Zusammenhang muss man auch
die Initiative der deutschen Musikhochschulen und des Deutschen
Musikrats erwähnen, die den Aufbau einer deutschen Privathochschule
in China zum Ziel hat. Das wird den Austausch zwischen China und
Deutschland weiter verstärken.