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2008/03 | Seite 13
57. Jahrgang | März
Praxis: Konzertvermittlung
Bilder machen Musik, Kinder singen Bilder
Frühe Publikumsbindung: Das „Zwergen-Abo“ der
NDR Radiophilharmonie Hannover
Familienkonzerte, Kinderkonzerte, Schulkonzerte, diese Konzerttypen
haben sich in allen erdenklichen Veranstaltungsformen mittlerweile über
die gesamte Republik etabliert. Was sich auf dem „Markt“ neu
zu formieren beginnt, sind Konzertreihen für Familien mit
kleinen Kindern bis hin zu Babykonzerten. Der Prototyp war zu Beginn
des neuen Jahrtausends die Konzertreihe „Triolino“,
die die Jeunesses Österreich in Wien seinerzeit für Familien
mit Kindern zwischen drei und fünf Jahren als sechsteilige
Abonnementreihe ins Leben gerufen hat. Hierzulande setzte die Musikhochschule
Detmold mit einem ähnlichen Format namens „Concertino
Piccolino“ erstmalig 2003/2004 Akzente. Die Detmolder Absolventen
des Studiengangs Musikvermittlung/Konzertpädagogik wurden
ihrerseits wiederum aktiv, und so existieren mittlerweile an verschiedenen
Orten intensive Angebote in einem ähnlichen Format, die sich
mit individuellen Schwerpunktsetzungen großer Beliebtheit
bei ihrem jungen Publikum erfreuen. Das folgende Beispiel der NDR
Radiophilharmonie Hannover setzt in der laufenden Saison besondere
Akzente auf die Verknüpfung von Musik und bildender Kunst
durch eine enge institutionelle Kooperation mit dem Sprengel-Museum
Hannover.
Auch
die Instrumente sind zur Besichtigung freigegeben. Foto:
Grünig
Wenn sich schon das renommierte Sprengel-Museum am Maschsee
direkt neben dem Landesfunkhaus Niedersachsen befindet, sollte
diese Nachbarschaft auch einmal für Konzerte mit einem interdisziplinären
Anspruch genutzt werden. Schnell waren mit Hilfe der Museumspädagogin
vier Bilder gefunden, die in den Konzerten zum Einsatz kommen sollten.
Den Anfang machte „Das Dorf“ von Fernand Léger,
gefolgt von „Straße im Dämmern“ (Lyonel
Feininger), „Die Eltern des Künstlers II“ (Otto
Dix) und Paul Klees „Zerbrochener Schlüssel“.
Bei der Auswahl von Musik und Gemälden galt es zu beachten,
dass die jüngsten Zuhörer erst drei Jahre alt sind. Die
Musiker der NDR Radiophilharmonie ließen sich engagiert auf
das Abenteuer ein. Das „Zwergen-Abo“ umfasst vier Konzerte
pro Saison und geht mittlerweile erfolgreich ins dritte Jahr. Jedes
Konzert der Reihe wird mit einer anderen Instrumental-Besetzung
bestritten, so dass die Zuhörer im Laufe der Spielzeit viele
Instrumente kennen und schätzen lernen.
Wie in allen Konzerten für Kinder im Vorschulalter sind auch
hier einige altersspezifische Punkte zu berücksichtigen: Die
ausgewählten Musikstücke sollten nicht zu lang dauern,
circa zwei bis höchstens vier Minuten, dann aber darf es jede
Musik sein. Von Bach über Bartók bis zu Liebermann
und noch neuer wird alles geboten. Bewährt haben sich reichhaltige
Kontraste in den aufeinander folgenden Musikstücken bezüglich
Stimmungen, Tempi und Rhythmen. Der Bewegungsdrang der Vorschulkinder
ist deutlich höher als der von Grundschulkindern. Also sollten
aktives Mitmusizieren und Zuhören in einem ausgewogenen Wechselverhältnis
stattfinden. Nur so haben die Kinder die Chance, die Musik auch
wirklich ganzheitlich mit all ihren Sinnen wahrzunehmen. Nicht
zuletzt braucht das noch junge Publikum einen roten Faden und Rituale,
die Vertrautheit schaffen. Dass die Erwachsenen sich auch angesprochen
fühlen sollen und direkt einbezogen werden, ist nicht nur
in deren Interesse, sondern ebenso sehr im Interesse der Kinder.
Diese registrieren sehr genau, ob ihre erwachsenen Familienmitglieder
nur Begleiter sind oder selbst als innerlich beteiligte Konzertbesucher
mitagieren.
Um dem Anspruch an intensive Konzertsituationen gerecht zu werden,
kommt die Reihe „Zwergen-Abo“ ohne Bühnenbild
und mit sparsamer Dekoration aus. Die Kinder sitzen mit ihren Kissen
auf der Bühne, Erwachsene dürfen in den Stühlen
Platz nehmen. Das jeweilige Gemälde wird per Beamer auf eine
Leinwand projiziert. Als verbindendes Element gibt es jedes Mal
ein immer gleiches Zwergen-Abo-Lied, welches von allen gemeinsam
gesungen wird und in vier unterschiedlichen Begleit-Arrangements
von der jeweiligen instrumentalen Besetzung dargeboten wird. Alle
jungen Abonnenten erhalten einige Tage vor dem Konzert mit der
Post einen Brief zum Thema des folgenden Konzertes mit Bildern,
Spielen und Informationen zu den Instrumenten.
Fernand Léger (1881–1955): „
Das Dorf“
(Besetzung: Blechbläser-Quintett)
Einmal wurden die jungen Konzertbesucher in ihrem Brief aufgefordert,
ein Dorf zu malen und an das Funkhaus zu senden. Alle Bilder wurden
im Foyer ausgestellt und besonders von den kleinen Konzertbesuchern
ausgiebig betrachtet. So war unmittelbar eine thematische Einstimmung
hergestellt. Im Saal befand sich dann das Gemälde auf dem
Kopf. Ein Blechbläserquintett marschiert nach der Begrüßung – einen „Mürztalermarsch“ spielend – von
hinten herein und bricht die Musik verwundert vor dem Bild ab.
Was soll das denn sein, Stifte, ein Müllhaufen oder gar Bratpfannen?
Das Bild wird so lange unter wildesten Deutungen gedreht, bis das
Dorf erkennbar wird.
So beginnt dann ein musikalischer Rundgang: Die Kirche, wo bei
Festen der Posaunist vom Turm spielt. (Vorstellung der Posaune),
der Zirkus, der einmal im Jahr kommt (Koetsier: „Kinder-Zirkus“),
die Klatsch- und Tratschgeschichten, die im Dorf manchmal verbreitet
werden (Lutoslawski: „Mini Ouverture“), und auch der
Chor des Dorfes, der im Gemeindehaus probt, darf nicht fehlen (Zwergen-Abo-Lied).
Lyonel Feininger (1871–1956): „
Straße im Dämmern“
(Besetzung: Harfe und Cello)
Dieses Konzert fand im November 2007 statt, so dass es sich anbot, über
die frühe Dämmerung in dieser Jahreszeit und die vielen
schönen Beschäftigungen zu Hause zu sprechen. Das Bild
zeigt zwei hell erleuchtete Fenster. Was passiert dahinter? Es
wird musiziert, da übt jemand auf seinem Instrument (Bach:
Cello-Suite). Aber der Cellist mag nicht immer alleine spielen.
So bekommt jedes Kind einen Eierschneider und begleitet darauf
den „Marsch für Kinder“ von Prokofieff. Anschließend
kommt die Harfenistin dazu. Auch sie zupft so, wie die Kinder es
gerade auf den Eierschneidern versucht haben. Es folgt eine Vorstellung
der Harfe, dann geht es weiter mit Hausmusik (Fauré „Sicilienne“),
einer Musik, die genau zum Bild passt (Strawinsky „Chanson
russe“). Anschließend werden vom Wind weggefegte Blätter
klanglich dargestellt (Klangimprovisation), dann folgen Herbstmusik
(Isang Yun), eine Gambensonate von Bach zum Mitsprechen und das
Zwergen-Abo-Lied. Die Stimmung des Bildes entsprach weitestgehend
der Konzert-Atmosphäre.
Otto Dix (1891–1969): „
Die Eltern des Künstlers II“
(Besetzung: Streichquartett)
Für den Maler Otto Dix scheint die Familie sehr wichtig zu
sein. Wer gehört denn alles zur Familie? Auch beim Zwergen-Abo-Konzert
ist diesmal eine Familie zu Gast. Die Streichinstrumente werden
vorgestellt. Sie sitzen um einen Tisch. Der Vater, das Cello, kann
aber nicht spielen. Alle anderen Streicher bekommen leider auch
nur umständliche Kratzgeräusche hin. Was ist passiert?
Alle haben „Vergessen-Kekse“ gegessen, was dazu führte,
dass die Musik verschwand. Was nun?
Hat zufällig jemand sein Instrument mitgebracht? Die kleine
Lea kommt mit ihrer Geige und spielt. Sie schlägt vor, es
mit einem Geigenzauber zu versuchen, damit die Musiker wieder spielen
können. Alle werden mit einem gemeinsamen Zauberspruch entzaubert
und spielen eine Polka von Dvorák. Jetzt muss Lea auch nicht
mehr alleine spielen. Zusammen musizieren sie einen Kanon. Es folgt
noch ein Scherzo in Form einer Fuge von Schostakowitsch, zu dem
alle rhythmisch, wie in der Form eines Kanons, mitsprechen. Das
Stück wird noch einmal gespielt. Ein Kind darf mit einem großen
Pfeil auf den Musiker zeigen, der das Thema spielt. Jetzt kennen
es ja alle durch den rhythmischen Spruch. Erneut wird das Bild
betrachtet. Wie ist das so, wenn die Familie zu Oma und Opa zu
Besuch kommt? Zum Intermezzo aus dem Mendelssohn-Streichquartett
Nr. 2 in a-Moll wird die Szene nachempfunden und das Bild nachgestellt.
Wie halten sich denn die Großeltern für solche Besuche
fit? Mit Mozartgymnastik zum Mitmachen für alle im Saal.
Paul Klee (1879–1940):„
Zerbrochener Schlüssel“
(Besetzung: Oboe, Klarinette, Schlagzeug, Bass)
Schade, dass die Musiker noch nicht da sind. Da kommen schon
zwei. Die beiden Musiker mit Oboe und Klarinette kommen von hinten – das
Zwergen-Abo-Lied spielend – herein und laufen dabei durch
das Kinderpublikum. Die beiden anderen kommen leider zu spät,
weil ihnen der Schlüssel zerbrochen war. Wie auf dem Bild!
Ob das eine neue Musik sei, fragt der Oboist und zeigt auf das
Bild. „Nein, aber das Bild lässt sich sicher ganz neu
musizieren!“ Alle setzen verschiedene Elemente des Bildes
mit der Singstimme um. Erst zusammen, dann in Gruppen, dann auch
zusammen mit den einzelnen Instrumenten. Lässt sich diese
Art zu musizieren auch aufschreiben? Der Komponist Helmut W. Erdmann
ist dabei und zeigt seine grafische Notation. Die Musiker spielen „Mobile
III“. Das wiederum können auch alle zusammen. Die Geräusche
werden festgelegt (auch Schlüsselbunde müssen klappern)
und der gesamte Saal musiziert nach einer an die Wand projizierten
grafischen Notation. Es folgt noch eine Musik, die den Leuten gewidmet
ist, die sich einfach ohne Schlüssel irgendwo Zugang verschaffen.
Diebe („Pink Panther“)! Schlussendlich erklingt Musik,
bei der besondere Schlüssel eine Rolle spielen: Bass- und
Violinschlüssel (Paolo La Cara: „Three Movements“ für
Bass und Xylophon).
Direkt im Anschluss an das letzte der vier Konzerte waren alle
Kinder in das benachbarte Sprengel-Museum eingeladen, um sich
von Museumspädagogen die vier Bilder im Original zeigen zu lassen.
Bei Paul Klee angekommen, fragte der Museumspädagoge: „Na,
was seht ihr auf diesem Bild?“ „Wir können das
Bild singen“, war die Antwort der Kinder. Und das taten sie
dann auch.