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nmz-archiv
nmz 2008/03 | Seite 49
57. Jahrgang | März
Rezensionen-CD
Chagalls Monde
Elegy for the Jewish villages. Lieder von Simon Laks/Antoni
Slonimski, Maurice Ravel, Viktor Ullmann und Hugo Weisgall. Valérie
Suty, Sopran; Vladimir Stoupel, Klavier
Edition Abseits EDA30
In jedem Ton sind der Ernst und die Zärtlichkeit zu spüren,
mit denen Valéry Suty und Vladimir Stoupel dem Vergessenen
eine Stimme geben. Am ehesten kennt man vielleicht noch das „Kaddisch“,
das Maurice Ravel 1914 in aramäischer Sprache komponiert hat,
in Kombination mit einer träumenden, artifiziellen Version
des Gedichts „Frägt die Welt die alte Frage“.
Dessen historische Melodie, von Ravel nur angedeutet, greift Simon
Laks ein Menschenalter später wieder auf, oder: Er hält
ihre Bruchstücke aneinander. Nach dem Vernichtungskrieg sind
Imagination und Mahnung nicht mehr voneinander zu trennen. Laks
hat Auschwitz überlebt, sein Augenzeugenbericht liegt auch
auf deutsch vor, und einige seiner Klavierlieder wurden jetzt zum
ersten Mal aufgenommen. Der Reichtum an Gedanken und Empfindungen,
der aus ihnen spricht, macht bewusst, wie sehr es diese Miniatur-Szenen – vom
Wiegenlied bis zum Verzweiflungsausbruch eines einberufenen Soldaten – wert
sind, aus dem Abseits herauszutreten. Gleiches gilt für die
Lieder des aus Mähren stammenden Hugo Weisgall. Seine Klangsprache
ist schneller, energischer im Duktus; folkloristische Elemente
im Klaviersatz werden gehärtet oder mit lakonischer Schärfe
abgeschnitten.
Die Textdichter sind fast alle unbekannt. Eine Ausnahme bilden
David Einhorn und Salman Schneur, von denen sich Viktor Ullmann
1944, wenige Monate vor seiner Ermordung, zu dem Triptychon „Kleine
Birke“ inspirieren ließ – und schließlich
Antoni Slonimski, der 1947 im Londoner Exil für einen polnisch-jüdischen
Dialog plädierte. So, wie seine „Elegie“ hier
gesungen wird – in der Vertonung von Simon Laks, mit leuchtenden
Vokalfarben und verschwebenden Konsonanten – erinnert sie
an das bildnerische Denken von Marc Chagall, dessen „zwei
Monde aus Gold“ von Slonimski auch zitiert werden, als Chiffren
für das Zerstörte, für das „Nicht mehr“.