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nmz-archiv
nmz 2008/03 | Seite 49
57. Jahrgang | März
Rezensionen-CD
Große Bandbreite: Von Latin bis Rüpelrock
Neuveröffentlichungen der Popbranche im märzlichen
Fokus
Die Bandbreite ist eklatant. Die Neuerscheinungen erstrecken
sich
von Südamerika bis Nordamerika, machen Halt auf den britischen
Inseln, streifen Frankreich und lassen die Heimat im Herzen Europas
mittig liegen. Zu Ostern also folgende globalisierte Tipps:
Johnny Hallydays Bilanz liest sich furchterregend: Über 100
Millionen verkaufte Alben, 18 Platin- und 39 Goldauszeichnungen,
100 Tourneen und ein Repertoire von annähernd 1.000 Songs.
Und während seiner 50 Jahre Musikbusiness wurde er nie oberflächlich
oder gab sich allzu langen Atempausen hin. Freilich ist das beim
neuen, 80. Album (!) „Le Cœur d’un Homme“ nicht
unwesentlich anders. Johnny Hallyday springt flockig und distinguiert
zwischen Blues, Americana und einer eigenwilligen, unabhängigen
Countryinterpretation hin und her. Kehrt stetig das „Herz
eines Mannes“ heraus, der Lebenserfahrung auf dem Buckel
hat und fabriziert so französisch vertonte Rockmusik, die
Eingang in jedes Herz finden wird. Schlicht schön (www.hallyday.com.fr).
Eine interessante Art von Popmusik bietet The Reason aus Kanada.
Interessant, weil nichts eigen klingt, dennoch aber im Gesamteindruck
mehr als positive Rockfurchen hinterlässt. „Things couldn’t
be better“ besticht zunächst durch schwülstigen
aber drückenden Rocksound. Die Gitarren schrill und indiskret,
der Gesang auf die „12“, der Bass breitet sich erhaben
aus. Dazu gibt es Melodien zwischen Nickelback, The Cure und den
hier zu Lande völlig untergegangenen Three Days Grace. Wie
sie es schaffen, trotz der zusammen getragenen Versatzstücke
einen eigenen Stil zu kreieren, bleibt ihr Geheimnis. Anzuraten
ist The Reason jenen, die Billy Talent als zu einfallslos betrachten
(www.thereason.ca).
Ein legendärer Ruf eilt der kubanischen Band Anacaona voraus.
Die 1932 in Kuba gegründete „Mädchen“ Band
wurde zunächst als skandalös betrachtet. Man erweiterte
die 7er-Truppe zum 11er-Jazzorchester und kam sogar bis an den
Broadway. Als Geschichtslektüre ist das Album „The Buena
Vista Sister’s Club“ zu verstehen. Die CD präsentiert
Aufnahmen der Band aus den Jahren 1937 bis 1958. Die Titel zeichnen
das Schaffen der Gruppe eindrucksvoll nach und begeistern mit Interpretationen
zwischen Son, Guaracha, Foxtrott, Jazz, Mambo und Boleros. Zur
CD ist eine DVD erschienen, die sich ebenso mit der Geschichte
von Anacaona beschäftigt (www.buenavistasistersclub.de).
Es gibt Neues von Stephen Jones alias Babybird und seit seinem
Durchbruch 1996 mit der Single Hit „You’re Gorgeous“ als
talentierter Songwriter gehandelt. „Between My Ears There’s
Nothing But Music“ ist wieder ein Musikalbum, nachdem er
die letzten Jahre im Musikbegleitfilmsegment zu schaffen hatte.
Das aktuelle Album ist sicher kein Pop mehr, wie das „Gorgeous“ einst
war. Babybird sucht die sperrige Strophe, den kantigen Refrain
und findet allerlei unhandliche Instrumentalbegleitungen, die zwar
bisweilen eine Akustikgitarre sein können, oft aber undurchschaubare
Elektronik-Utensilien bleiben. Es dauert lange, bis man ihn und
seine Songs versteht. Dem einen oder anderen könnte es zu
lange dauern. Aber dass er kauzig ist und ein Händchen für
zuckersüße Melodien hat, beweist Babybird blendend.
Für anspruchsvolle Poplyriker (www.babybird.co.uk).
Chris Walla ist Gründungsmitglied der mythischen „Death
Cab for Cutie“, eine dieser typischen Songwriterbands der
frühen 2000er-Jahre: Empathisch, geheimnisvoll und unendlich
tragisch. So ähnlich läuft es mit Wallas erstem Soloalbum „Field
Manual“. Wenngleich er vergleichsweise oft eine ordentliche
Rockgitarre schwingt, eine Popakustikklampfe zelebriert und hauptsächlich
der Melodien verschrieben scheint. Ein komplett gut gelungenes,
melancholisches, aber auch zünftiges Album im Bereich „Indierock,
Alternative Pop und Songwriterstatus“. Im Auto klingt „Field
Manual“ übrigens geradezu unglaublich (www.myspace.com/chriswalla).
Sven Ferchow
Diskographie:
Johnny Hallyday – Le Cœur d’un Homme (28.3.2008,
Warner)
The Reason – Things couldn’t be better (28.3.2008,
Smallman Records)
Anacaona – The Buena Vista Sister’s Club (22.2.2008,
pa’ti pa’mi)
Babybird – Between My Ears There’s Nothing But Music
(Februar 2008, popup-records)
Chris Walla – Field Manual (22.2.2008, Barsuk Records)