[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2008/03 | Seite 50
57. Jahrgang | März
Rezensionen-CD
Neusachlich expressiv
Ernst Toch: Tanz-Suite op. 30; Konzert für Cello und Kammerorchester
op. 35. Spectrum Concerts Berlin; Christian Poltéra, Cello.
American Classics, Naxos 8.557199
Er hielt sich für den „meist vergessenen Komponisten
des 20. Jahrhunderts“ – ein Schicksal, das er mit vielen
anderen teilte. Wie Korngold oder Krenek, Karol Rathaus oder Ignace
Strasfogel, um nur einige fast Vergessene oder erst kürzlich
Wiederentdeckte zu nennen, wurde auch Ernst Toch von den Nazis
ins US-Exil gezwungen, konnte auch er an seinen hoffnungsvollen
Karrierestart nie mehr anknüpfen. Dabei hatte ausgerechnet
er zu den meistaufgeführten Komponisten während der Zwanzigerjahre
in Deutschland gehört. Grund genug für „Spectrum
Concerts Berlin“, sich seiner besonders anzunehmen, denn
diese außergewöhnliche Kammermusiktruppe hat sich ganz
dem „transatlantischen Brückenschlag“ zwischen
alteuropäischem Kernrepertoire und amerikanischer Moderne
verschrieben – die es wiederum ohne die hochqualifizierten
Einwanderer aus Europa in dieser Form nicht gegeben hätte.
So wurden bisher einige bedeutende Kammermusikwerke in Portraitkonzerten
vorgestellt, in denen auch der Toch-Enkel Lawrence Weschler die
Persönlichkeit des Komponisten nahebrachte. Die vorliegende
Aufnahme macht geradezu bestürzend deutlich, mit welch genialem
Einfallsreichtum und satztechnischer Geschicklichkeit sich der
junge Tonkünstler neben der Konkurrenz eines Hindemith oder
Schönberg zu behaupten wusste.
Denn im Spannungsfeld der Gegensätze von Neusachlichkeit und
expressiver Dodekaphonie ist seine ganz persönliche Musiksprache
anzusiedeln. Die „Tanzsuite“ op. 30 (1923–24)
für Kammerensemble (mit exponiertem Schlagzeug) entfaltet
die unterschiedlichsten szenischen Charaktere in sechs Sätzen,
versetzt ihre anstürmende Beweglichkeit („Roter Wirbeltanz“)
im Aufbruchstempo der „Roaring Twenties“ immer wieder
mit lyrischen Abschnitten tiefster Nachdenklichkeit – fast
einer Vorahnung gleich. Filigraner Satz und reiche Klangpalette
stellt sie weit über die Behäbigkeit von „Spiel“-
oder „Gebrauchs“-Musiken. Bemerkenswert vor allem der
6. Satz, in dem sich aus geisterhafter, geräuschhaft gefärbter
Nachtmusik Brettl-Walzerseligkeit herausschält und rauschhaft
steigert.
Der freche, bissige Witz, von den „Spectrum“-Musikern
mit überwältigender Leichtigkeit und Präzision dargeboten,
ist im Konzert für Cello und Kammerorchester op. 35 (1924–25)
verschwunden. Obwohl auch hier hinreißend musikantische Virtuosität
in feinster Polyphonie stattfindet, dominiert ein Ton des Schmerzes,
des immer wieder aufschäumenden Pathos. Freitonal gespannte
Melodik à la Berg (Klaviersonate op.1!) durchdringt die
Bewegungslust. Christian Poltéra ist der ideale Solist mit
farbenreicher Tonschönheit, Klarheit und Emphase. Ein „Must
have“ für die immer noch zu zaghafte Toch-Renaissance!