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nmz-archiv
nmz 2008/03 | Seite 55
57. Jahrgang | März
Rezensionen - DVD
Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?
Pop & Kino: Mick Jagger, Madonna und der multiple Dylan
Sie waren die Stars der diesjährigen Berlinale: die Rolling
Stones und Madonna. Bis zuletzt bewegte die hysterischen Klatschtanten,
die über die-ses immer wichtiger zu werdende Medien-„Event“ berichteten,
nur eine Frage: Kommen sie oder kommen sie nicht? Und sie kamen.
Die Stones brachten sogar ihren Hausregisseur mit, einen Mann,
der vor einigen Jahren nach der Premiere seines neuesten Films
in einem Münchner Lokal noch an das Katzentischchen – nahe
dem „stillen Örtchen“ – gesetzt wurde: Martin
Scorsese. Marty & München, das scheint im Übrigen
ein Kapitel für sich zu sein. Während damals scheinbar
kaum einer während der Premierenfeier den „Taxi Driver“-Regisseur
erkannte, prügelte dieses Mal ein Münchner Popkritiker
schon im Vorfeld auf ihn ein, weil er die Stones in „Shine
A Light“ ins rechte Licht setzen durfte. Ohne den Film gesehen
zu haben, nennt er ihn einen „Ego-Trip für zwei Medienmonstren“.
Wie eine riesige Freakshow wirkte diese Berlinale aus der Ferne
tatsächlich. Zu bestaunen gab es leibhaftig die neben den – inzwischen
halbierten „Fab Four“ – berühmteste Rockkapelle
aller Zeiten: The Rolling Stones. Und irgendwie war in diesem Moment
das Produkt, das sie vorstellen sollten (der Konzertfilm „Shine
A Light“), und der kleine Mann in ihrer Mitte, Scorsese,
nur noch eine Nebensache. Mick Jagger auf dem roten Teppich – da
wurden die Berichterstatterinnen, die so gerne die „Promidichte“ messen,
wieder zu kleinen Mädchen. Mit Kino, wie gesagt, hatte dieses „Event“ nur
am Rande zu tun – und mit Musik auch nicht. Es war schrecklich.
Und noch ein zweites „heiliges Monster“ hatte Festivalleiter
Dieter Kosslick nach Berlin gelockt: Madonna, die heuer auch schon
ihren 50. Geburtstag feiert. Außerhalb des Wettbewerbs durfte
sie ihr Regiedebüt vorstellen: „Filth and Wisdom“.
Wilkommen hieß sie die Presse dann auch gleich mit hämischen
Texten über ihre bisherige Filmkarriere. Zugegeben, nach ihrem
Debüt in Susan Seidelmans „Desperately Seeking Susan“ gab
es wenige Höhepunkte in Madonnas Filmkarriere. Aber es gab
durchaus großartige Momente in ihren Kinofilmen, in der Pseudodokumentation „In
Bed With Madonna“ genauso wie in Abel Ferraras Psychodrama „Snake
Eyes“ oder in Alan Parkers „Evita“. Witzig war
auch ihr Auftritt als zickiger Star in einem Film der BMW-Kurzfilmreihe „The
Hire“, inszeniert von ihrem Ehemann Guy Ritchie. Auffällig
oft bewegt sie sich in diesen „nackten“ Momenten zwischen
Pathos und Selbstironie, „like a virgin“ und als „bad
girl“. Und so ergibt der Titel ihres ersten eigenen Films „Filth
and Wisdom“, Schmutz und Weisheit, durchaus seinen Sinn.
Unschuldig hat sie sich im „schmutzigen“ New York der
Seventies zum „Material Girl“ der Eighties hochgearbeitet – und
ist schließlich in den Neunzigern zur „Weisheit“ gelangt:
Ihre „Streetwise“-heit können sie ihr nicht nehmen.
Nachdem Madonna seit einigen Jahren in London lebt, hat sie ihre
autobiografisch angehauchte Musikergeschichte in ihre neue Heimat
verlegt. Und dort hat sie auch ihr filmisches Alter ego gefunden:
einen Macho-Man, den schräg-charmanten Rocker Eugene Hütz.
Einen androgynen Mann dagegen verkörpert Cate Blanchett in „I’m
Not There“. Und das macht sie so cool, dass sie dafür
sogar für einen „Oscar“ nominiert wurde. Aber
die Blanchett ist nur eines von sechs Gesichtern des Bob Dylan
in Todd Haynes eigenwilligem „Biopic“ über His
Bobness, der jetzt in die Kinos kommt. Eine multiple Persönlichkeit
wie die ewig bellende Stimme Amerikas muss auch von einem Dutzend
filmischer „Seelen“ verkörpert werden, dachte
sich Todd Haynes („Far From Heaven“). Und so durften
nun gleich sechs Schauspieler Dylan ihr Gesicht leihen. Neben der
Blanchett sind das: Marcus Carl Franklin in der Woody-Guthrie-Maske,
Ben Whishaw als Rimbaud-Double, Christian Bale als Folkie, Richard
Gere in der Billy-the-Kid-Kluft und der kürzlich verstorbene
Heath Ledger als liebeskranker Kater. Zusammen ergeben sie für
Haynes das „komplette Bild“ eines Troubadours des 20.
Jahrhunderts. Wobei Haynes nicht chronologisch erzählt, sondern
assoziativ. So dass man Dylans sechs Leben eher als Trip erlebt,
als Reise in die durchaus auch seltzerstörerischen Welten
eines enigmatischen Künstlers, der sich immer noch auf seiner „never
ending tour“ befindet.