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Ausgabe 2008/03
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nmz 2008/03 | Seite 54
57. Jahrgang | März
Noten

Klänge grenzgängig ausreizen

Vier neue Editionen für Akkordeon solo und im Duett

Myriam Mees: Tango Time! De Haske Publ. 1043558, ISBN 90-431-1950-4 NUR 472

Ab Kriegsende suchten Komponisten wie Ernst-Lothar von Knorr, Hugo Herrmann und Wolfgang Jacobi, in der ehemaligen DDR zum Beispiel der kürzlich verstorbene Kurt Schwaen, die klanglichen Möglichkeiten des Akkordeons grenzgängig auszureizen. Sie widmeten ihre Kompositionen dem damals festgefügten Akkordeon mit seinen statischen quint-quart-angeordneten Bässen und Akkorden auf der linken Seite (Standardbass-Akkordeon). Die logische instrumentale Weiterentwicklung wurde das sogenannte Einzeltonakkordeon, das rechts wie links (Manual 3) über drei bis vier Oktaven chromatisch angeordneten Tonvorrat zuzüglich obertonverstärkender Register verfügbar macht und damit Klangmedium der Musik des 20./21. Jahrhunderts werden konnte. Wenn Musik für das Standardbass-Akkordeon jedoch heute geschrieben wird, so kann man davon ausgehen, dass nicht klangliche Ausschöpfung das musikdienende Ziel ist, sondern Tonika, Subdominante und Dominante samt ihrer unmittelbaren Umgebung herrschen. (Ausschließlich das Einzeltonakkordeon ist gegenwärtig das Instrument für die künstlerisch orientierte originale Musik für Akkordeon.) Tango Time von Myriam Mees für Standardbass-Akkordeon riecht deshalb nicht nach Piazzolla.

Es ist ein Heft mit zwölf neu komponierten Akkordeon-Tangos, die sich um den Schwierigkeigtsgrad 2 herum in erster Linie für den Unterrichtsgebrauch eignen. Keines der Stücke weicht – manche Eingangs- oder Schlusstakte ausgenommen – vom achttaktigen Schema ab. Fingersatzangaben unterblieben. Die Artikulation ist rechts wie links gut ausgearbeitet vorgegeben, ebenso Balgzeichen. Die melodischen Einfälle liegen durchaus über jenem, was man beim Durcharbeiten klischeegesteuert voraushören könnte. Im rechten Manual überwiegend einstimmig, auch manches in Moll, mehrstimmig fast nur durch parallele Terzen oder Sexten, kann sich das Heft als Grundstufe zu späteren in dieser Weise konventionellen Konzert-Tangos anbieten. Die beigelegte CD mit jeweils zwei Angeboten pro Stück – davon je eine Play-Along-Fassung – stellt sich außerhalb des Melodiebereichs durch viel instrumentalen Schnick-Schnack sehr aufgeplustert dar. Die Schülermotivation, mit der CD nur auf dem rechten Akkordeonmanual dazuzuspielen, ist durch diese Aufbereitung virulent. Dem auch im Keyboardbereich hochgehaltenen Grundsatz des „Mehr Schein als Sein“ wird damit fern jedes pädagogischen Anreizes entsprochen. Falsche CD-Melodietöne gegenüber dem Notenbild unterstreichen diese Einschätzung.

Harri Vuori: „Suden Hetki“ – „The Hour of the Wolf“ für Akkordeon. Edition Love KLA 96, Helsinki, ISMN M-7063-3424-0

Der Finne Harri Vuori zählt zu den Zeitgenossen, deren kompositorische Arbeit gerne Transzendenz abbilden: „Lieder von Traum und Tod“, „Die fünf Phasen des Schlafes“ mögen dafür stehen. „Suden Hetki“ – ein weiteres Werk dieses Genres – zählt zu den sehr schweren Kompositionen für Akkordeon. Das etwa zehnminütige Solostück ist dem finnischen Akkordeonisten Matti Rantanen gewidmet, der es auch uraufgeführt hat. „The Hour of the Wolf“ als englischer Zweittitel steht für die akustische Illustration der Tiefschlafphase, in der das Unterbewusstsein die Regie führt. Freitonal, jedoch mit dem Ton a als erkennbaren Bezugspunkt, spiegelt das einsätzige Werk die Aktivitäten zwischen Ich und Es höchster menschlicher Nach-Innen-Wesenheit. Es handelt sich nicht bloß um ein sehr virtuoses Stück; es ist besonders gekennzeichnet von hohen Anforderungen an die Koordination zwischen linkem und rechtem Manual, und zwar in Bezug auf die rhythmischen Abläufe (so z.B. 12 gegen 10 Einheiten), auf spezielle Hintereinanderabfolgen einschl. Repetitionen wie auch komplizierte akkordische Griffkontraste und -wechsel. Die filigranen Ton- beziehungsweise Zusammenklangsfolgen bevorzugen auf weite Strecken die hellen Klänge des Akkordeons auf den Manualen 1 und 3.

Die oft weiten Sprünge in schnellen Tempi, extrem große Tonabstände und oft sehr hohe Lagen dürften für „Die Stunde des Wolfs“ zuvörderst das Knopfgriff-Akkordeon auf eine klangfarbeneinheitliche und virtuose Wiedergabe hin erforderlich machen. Kurze Phasen mit dem Manual 2 (Standardbässe) bemühen die links-bassseitige Historie des diesbezüglich weit entflogenen modernen Einzeltonakkordeons. – Das Studium dieses Werkes stellt auch für solistisch hochschulgebildete Akkordeonisten eine Herausforderung dar.

Lothar Arnold: Duo für Querflöte (Blockflöte) und Akkordeon; Drei Miniaturen für Klarinette in B und Akkordeon. Verlag Jörg-Mark Kasassoglou, Marxzell, ISMN M-5011-5032-8/ M-5011-5009-0

Die beiden Werke für Akkordeon und Querflöte (Blockflöte) beziehungsweise Akkordeon und Klarinette entstanden in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Akkordeonlehrer-Verband (DALV). Sie tragen zur Füllung einer Lücke der Kammermusik mit Einzel­tonakkordeon in den mittleren Schwierigkeitsgraden bei. Die Akkordeonparts liegen im Bereich des Grades 3, die bläserischen Anforderungen sind etwas darunter anzusiedeln. Höhere Ansprüche erwachsen aus dem Zusammenspiel, insbesondere beim Duo mit Klarinette. Die Stücke enteilen trotz kurzer Dreiklangstupfer dem tonalen Rückhalt und haben im positivsten Sinn „Spielmusik“-Charakter. Die Unterteilung des Schlages mittels Triole bis Quintole gehört im Duo mit Querflöte zu den Eigenheiten. Ganztonreihen, durchsetzt mit Großterz-Übersprüngen, sind dabei weiteres Wesensmerkmal; dagegen kennzeichnen chromatische Floskeln vor oder nach größeren Intervallen die Motivik des Stückes mit Klarinette. Das Duo mit Flöte besteht aus zwei Miniaturen, davon ist die eine im Andantino in verschiedenen Vierteltaktarten, die andere als Vivace im 9/8- und 12/8-Takt auszuführen.

Die drei Miniaturen mit Klarinette sind überschrieben mit „Melancholie“ in Achtel-Legato-Linien, „Nächtliche Schattenbilder“ in tippelnd-huschender Sechzehntel-Achtel Melodik, schließlich „Elegie“, die sich im Akkordeonpart – sicher körperlich anstrengend – langwertigem Balgvibrato hingibt. Alle fünf Miniaturen eignen sich bestens zur Kammermusikarbeit an Musikschulen und sind für die Verwendung als Wettbewerbsliteratur prädestiniert. Lothar Arnold, in Ettlingen geboren, absolvierte die Karlsruher Musikhochschule in den Fächern Klavier, Musiktheorie und Komposition.

Jirí Laburda: Sonatine G-Dur für Violine und Akkordeon; Vinalia rustica für Viola und Akkordeon. Ed. Dohr, Köln 22929. ISMN M-2020-0929-1

Der tschechische Komponist Jirí Laburda, bekannt auch durch kirchenmusikalische Werke (z.B. Messen), die vielleicht als liturgische Gebrauchsmusik eingestuft werden können, stützt sich auf traditionelle Mittel in tonalem Duktus, durchaus mit großen Sept- und Non-Akkorden und solchen mit hinzugefügter Sext eingefärbt. Seine Sonatine G-Dur für Violine und Akkordeon ist so gut wie identisch mit dem Duo „Vinalia rustica“ für Viola und Akkordeon. Der Unterschied liegt lediglich in der Transposition des dreisätzigen Stückes nach C-Dur, wobei durch die Versetzung des Akkordeonparts um eine Quarte nach oben (z.B. erster Satz) die regulär nach unten transponierte Violastimme vom Akkordeon permanent überragt wird. Diese Rationalisierung mit Augenzwinkern enthüllt nur, dass der bei 2 bis 3 liegende Schwierigkeitsgrad und die Griffabfolge des Streichinstrumentenparts für Violine wie Viola gleich ist und die Violaausgabe als „Ländliches Weinfest“ etwa „bratschige Fetzigkeit“ assoziieren sollte. Der/Die Bratschist/-in bekommt lediglich auch einige G-Schlüssel-Stellen vorgesetzt. Für das Akkordeon ist der Schwierigkeitsgrad für beide Fassungen höher anzusetzen, da die linke Hand im Manual 3 (Einzeltonmanual) mehrstimmig kurven muss. Insbesondere im mit „Allegro marziale“ überschriebenen letzten Satz würden an das Manual 3 hohe spieltechnische Anforderungen gestellt, wenn typische Dur-Moll-Akkordfolgen (vierstimmig) nicht auf dem Manual 2 (Standardbassmanual) gespielt werden können (vom Akkordeontyp abhängig).

Hier zeigt sich auch eine Nachlässigkeit von Verlagsseite, die klanglichen Erwartungen des Komponisten durch Angabe des zu spielenden Manuals und des erforderlichen Akkordeontyps nicht verdeutlicht zu haben. Gerade bei einem Werk, das in der Mittelstufe für Akkordeon angesiedelt ist, sollten mehr und genauere Angaben für die Unterrichtsarbeit erwartet werden (z.B. auch Fingersatzhinweise, Erläuterungen zum Werk wie Aufführungsdauer etc.). Der erste (Allegro vivace) und der zweite Satz (Andantino tranquillo und Larghetto semplice) stehen im 3/4-Takt, der mit einer Stretta endende dritte Satz verläuft geradtaktig. Die Aufführungsdauer beträgt circa elf Minuten. Das Stück eignet sich insbesondere für Schüler/-innen, die Kammermusik mit Akkordeon im 21. Jahrhundert eher in stilistischer Retroversion mögen.
Maximilian Schnurrer

Gerhard Braun: Acor dyon (2004) für Akkordeon solo, edition gravis EG 948; Katarakt 2003) für Akkordeon solo, edition gravis EG 882

Gerhard Braun steht für den künstlerischen Aufwind der Flöteninstrumente, insbesondere der Blockflöte, entfacht in den Sechziger- und Siebziger-Jahren des vorigen Jahrhunderts - und dies in der Multifunktion als Interpret, Komponist und als Animateur zu schöpferischer Arbeit auf diesem Feld. Dem schiefen Block-Blick zum alten Flöteninstrument entsprach zu jener Zeit auch der schiefe Balg-Blick auf das gern Ziehorgel bis Quetschkommode ge- und verrufene Akkordeon, das sich anschicken bis erdreisten wollte, sich neu in die Musikgeschichte einzuschmuggeln. Das gemeinsame instrumentale Schicksal mag Gerhard Braun zu diesen Kompositionen mitbewegt haben. Dabei sieht der Komponist mit dem wortspielerisch betitelten Stück „Acor dyon“ den Zeitpunkt gereift, das Akkordeon über sich selbst lächeln lassen zu können, und zwar mittels des verzwiefacht eingearbeiteten und auch als Schlusspointe verwendeten Volksliedes „O du lieber Augustin“. Ob des weiterhin etwa im Fasching aus tremolierenden durchschlagenden Harmonikazungen im fröhlichen Urstand erklingenden Liedes mag dies als gewagt bis frech erscheinen, fördert jedoch ungemein das Ansehen bzw. Selbstwertgefühl von Instrument und der mit ihm Tätigen. „Wir gehn nun, wo der Tudelsack...“ aus der „Bauernkantate“ („Mir hahn en neue Oberkeet“) von J. S. Bach bildet das zweite Zitat in diesem heiteren Opus. So wechseln sich tonale und atonale Abschnitte in Überraschung bietenden Proportionen einschließlich einer Kadenz ab. Durch die wesentliche Potenz des Rhythmus‘ im Zusammenwirken der Manuale 1 und 3 und in ihrer Einzeldarstellung ist diesem dem Schwierigkeitsgrad 4 zuzuordnenden Werk auch eine unmittelbare körperorientierte Anmache eigen. Witz und Humor prägen „Acor dyon“; ein/-e entsprechend aufgelegte/-r Interpret/-in könnte den Schmunzeleffekt hörbar vollenden, im Live-Konzert auch noch den augenfälligen Genuss draufsetzen.

Gerhard Braun bevorzuge - von Ausnahmen abgesehen - knappe, aphoristische Formen, die an die Bildwelt von Paul Klee erinnerten, seine Kompositionen wären keiner enggefassten Kompositions-Technik zuzuordnen. Sie würden neue Spiel- und Verfremdungstechniken einbeziehen, die bis in die Grenzbereiche des Geräuschhaften reichen würden, wobei häufig auch sprachliche Elemente (in semantischer und phonetischer Form) einbezogen seien. - so der Verleger Rudolf Lück. Und damit trifft er „Katarakt“ für Soloakkordeon, ein etwa 6-minütiges ebenfalls einsätziges Werk, das eher dem Schwierigkeitsgrad 5 zuzuordnen ist. Handschläge auf den Korpus, Guiro-Spiel mit einem Holzstab auf den Balgfalten, verschiedene Strömungsgeräusche mittels Luftknopf, Balgschütteln, Fußstampfen, stimmliche Zischlaute und Silbenakzente aus dem Titelwort sind Bestandteile innerhalb sprungbetonter oder sehr enger Klang- und Tonfolgen dieser Wasserfall-Musik. Mensurierter Rhythmus in komplizierteren Abläufen - selbstredend mit vielen Taktwechseln - kennzeichnen „Katarakt“. Die effektvolle Ausnützung des dynamischen Feldes des Akkordeons bis an die Grenzen, insbesondere im Leisen, verleihen der Komposition zusätzlich instrumentale Originalität. Schon die ausgezirkelte akustische Vielseitigkeit lässt Langeweile nie aufkommen.

Maximilian Schnurrer

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