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nmz-archiv
nmz 2008/03 | Seite 36
57. Jahrgang | März
DTKV Bayern
Der Nestor der deutschen Komponisten
Zum Tode von Harald Genzmer
Professor Dr. Alexander Suder, Ehrenvorsitzender des Landesverbandes
Bayerischer Tonkünstler, hat den 1. Band der von ihm herausgegebenen
Monographienreihe „Komponisten in Bayern“ Harald Genzmer
gewidmet. Er schrieb zu dessen Tod noch folgende Würdigung.
Der Nestor der deutschen Komponisten schloss am 16. Dezember 2007
für immer seine Augen. Seinen 98. Geburtstag am 9. Februar
2007 hatte er noch lebendig und vergnügt gefeiert, als die
Hochschule für Musik in München ein Konzert zu seinen
Ehren veranstaltet hatte. Bis zuletzt war Genzmer schöpferisch
tätig, bis zuletzt war er interessiert an der musikalischen
Gegenwart. Er hat uns gezeigt, wie man auch als alter Mann jung
bleibt – geistig wie musikalisch. Seine Lebenskraft bewahrte
ihn vor einem Absturz, als vor fünf Jahren seine geliebte
Lebensgefährtin Gisela ihren letzten Weg ging. Es war tief
beeindruckend, wie diese beiden älteren Menschen den Alltag
gemeistert hatten und gleichzeitig aufgeschlossen waren sowohl
für das musikalische wie für das reale Leben und seine
Probleme.
Harald Genzmer galt seit Jahrzehnten als einer der am meisten
aufgeführten
Komponisten der Gegenwart. Dies kam nicht von ungefähr: einerseits
ermöglichte die gewaltige Zahl seiner Werke für alle
nur denkbaren Instrumentalkombinationen den Interpreten eine große
Auswahl, andererseits waren die meisten seiner Kompositionen in
enger Zusammenarbeit mit den ausübenden Künstlern entstanden,
den Instrumenten sozusagen auf den Leib geschrieben.
Diese fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Komponist und Interpret
war wohl e i n Teil seines Jahrzehnte überdauernden Erfolgs,
der andere lag in Genzmers Fähigkeit, zeitgenössische
Musik so zu schreiben, dass auch unvorbereitete Hörer mühelos
Zugang zu seiner Musik fanden. Sein Personalstil, früh erreicht
und bruchlos weiterentwickelt, beruhte auf dem Einfall und einer
stupenden Meisterschaft der kompositorischen Entfaltung. Gelernt
hatte er sein Handwerk in der strengen Schule von Paul Hindemith
im Berlin der Jahre 1929 bis 1934.
Der erste Anfang von Genzmers Laufbahn deutete auf das Theater:
er war Korrepetitor und Studienleiter am Breslauer Theater, musste
aber wohl bald erkennen, dass dies nicht seine eigentliche Welt
war (bezeichnender Weise fehlt die Gattung Oper in seinem umfänglichen
Werkverzeichnis). Schon 1937 ging er wieder nach Berlin und arbeitete
pädagogisch an der Volksmusikschule Neukölln. In diese
Zeit fiel die Begegnung mit Oskar Sala, dem Erfinder des Trautoniums,
für das Genzmer unter anderem 1939 ein Konzert für Trautonium
und Orchester schrieb. Ab 1940 musste er zum Militär, wurde
aber überwiegend zur Truppenbetreuung eingesetzt und überstand
das Grauen einigermaßen glimpflich.
Schon bald nach dem Kriege berief ihn Gustav Scheck an die Freiburger
Musikhochschule als Kompositionslehrer und stellvertretenden Direktor – seine
pädagogische Laufbahn hatte sich entschieden.
War es dort eine vielfältige und schwierige Aufgabe, die Hochschule
unmittelbar nach der Katastrophe aufzubauen, so gewährte ihm
die Position aber auch die Möglichkeit, die „Tübinger
Musiktage“ zu gestalten und erste Erfolge als Komponist zu
erringen. So erfuhr zum Beispiel die überaus erfolgreiche
Sinfonietta für Streicher damals ihre Uraufführung.
Nach elf Jahren Freiburg erreichte Genzmer Karl Höllers Ruf
an die Musikhochschule München. Von 1957 bis 1974 amtierte
er in München als Professor für Komposition. Zahlreiche
Studenten erlebten einen lebendigen, undogmatischen Lehrer, der
keineswegs das eigene Werk in den Mittelpunkt des Unterrichts stellte.
Den Schüler zu sich selbst zu führen, erschien ihm als
das wichtigste pädagogische Ziel. Darüber hinaus betätigte
er sich ehrenamtlich, besonders in der Bayerischen Akademie der
Schönen Künste als Leiter der Sektion Musik. Auch in
der GEMA wirkte er für Komponistenkollegen, getreu seiner
Ansicht „Ich finde es selbstverständlich, dass man sich
auch organisatorischen Aufgaben widmet“.
Harald Genzmer entstammt einer Gelehrtenfamilie und so war es
für
ihn selbstverständlich, sich auch gründlich in anderen
Disziplinen umzusehen: Die bildende Kunst fesselte ihn ein Leben
lang (so war er auch viele Jahre Mitglied in der Ankaufkommission
der Münchner Pinakothek) und Mathematik und Astronomie waren
ihm vertraute Gebiete. Es ist bewundernswert, wie er schöpferische
Tätigkeit mit wissenschaftlicher Materie zu verbinden wusste – und
wie er sich gleichzeitig sozial für Kollegen engagierte.
Auch nach seiner Emeritierung 1974 blieb Genzmer aktiv. Er konnte
sich nunmehr nicht nur mit größerer Muße dem Komponieren
widmen, er gab auch pädagogische Werke zusammen mit anderen
Autoren heraus, so z.B. fünf Bände „Studieren und
musizieren“ für zwei Violinen.
Bis in die letzte Zeit interessierte sich Genzmer vielfältig
und quasi jugendfrisch in kritischer Aufgeschlossenheit. Sein Komponieren
bis in den letzten Lebensabschnitt hinein zeigt die schöpferische
Kraft, die ihn auszeichnete, aber auch die künstlerische Energie,
die er mit dem Handwerk zu verbinden wusste. Harald Genzmer war
eine kraftvolle Natur, mit seinem markanten Kopf eine signifikante
Erscheinung – und gleichzeitig ein liebevoller Mensch, ein reizender
Gastgeber und einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts.
Wir trauern um ihn.