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nmz-archiv
nmz 2008/03 | Seite 32
57. Jahrgang | März
Jeunesses Musicales Deutschland
Die Trefferquote bei Neuer Musik erhöhen
Ein neues Projekt der JMD gibt Jugendorchestern eine Orientierung
Die Zeitgenössische Musik hat’s schwer! Das ist allemal
daran abzulesen, dass sie ihre Gattungsbezeichnung wie ein Stigma
vor sich her trägt, dass sie offenbar besonderer Schutzräume,
spezialisierter Ensembles und eines speziellen Publikums bedarf
und dass sie eine besondere Förderung erfährt. Und wenn
neben den etablierten Foren von Donaueschingen oder Darmstadt neue
Neue-Musik-Festivals wie Eclat oder Chiffren auf den Plan treten,
wenn die Bundeskulturstiftung ein millionenschweres „netzwerk
neue musik“ auf den Weg bringt, da scheint es dieser ja endlich
besser zu gehen. Soviel Neue Musik war nie!?
Bei der Frage nach Ursachen unserer schwierigen Beziehung zu
modernen Klängen geraten oft die Werke selbst in Verdacht: zu kompliziert,
zu komplex, schwer zu lesen, aufwendig zu spielen, unbeliebt beim
Publikum. Erst langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass sich
die Schwierigkeit nicht lösen wird, wenn nicht unser Mut wächst,
junge Musiker schon früh mit anderen als tonalen Klangwelten
zu konfrontieren. Immer noch scheint unser Ausbildungswesen die
Sonder- und Nebenrolle zeitgenössischer Musik fortzuschreiben,
auch wenn uns der mit dem Füllhorn gehypte Festival- und Eventbetrieb
ein anderes vorgaukeln könnte.
Die Jeunesses Musicales Deutschland hat sich seit ihrer Gründung
1951 für die Förderung junger Komponisten und ihrer Werke
stark gemacht. Für junge Tonschöpfer, die „Musik
im Kopf“ haben, ist der Bundeswettbewerb Komposition/Schülerinnen
und Schüler komponieren mit seinen Weikersheimer Kompositionswerkstätten
seit über 20 Jahren eine wegweisende Motivation für keimende
Talente, aus denen immer wieder bekannte Namen hervorgegangen sind.
Auf der Interpretenseite gibt es aktuell eine neue Facette des
Engagements der Jeunesses für die Neue Musik, und zwar in
Richtung der jungen Orchester, deren Fachverband die JMD ist und
sich dabei als Impulsgeber, Berater, Forum und Dienstleister versteht.
Auf die Frage, warum sich Jugendorchester kaum aus dem Gehege der
Klassik in die Unwegsamkeiten neuerer Musik hinaustrauen, lauteten
die Antworten recht übereinstimmend: zu schwierig, zuviel
Aufwand, bis es klappt oder gar klingt, mangelnde Repertoirekenntnisse
sowie zu hohe Aufführungskosten. Selbst aufgeschlossene und
experimentierfreudige Jugendorchesterleiter scheuen oft das Risiko,
die jungen Musiker einen Kurs mit Hindernissen fahren zu lassen.
Wenn man nur vorher wüsste, worauf man sich einlässt.
An Literatur herrscht eigentlich kein Mangel, doch welches Stück
soll man sich kommen lassen? Namen von Komponisten oder Titel von
Werken sind oftmals nicht wie im Klassik-Bereich ein Garant für
den Erfolg.
Sönke Lentz, Vizepräsident der JMD und Projektleiter
des Bundesjugendorchesters – in dessen Programmen man immer
häufiger „un–erhört“ Neues bis hin
zu Auftragskompositionen findet –,
hatte beschlossen, die Trefferquote bei zeitgenössischer Orchestermusik
signifikant zu erhöhen. Er konzipierte ein Auswahlverfahren,
das die JMD gemeinsam mit dem Deutschen Musikverlegerverband im
vergangenen Jahr angeschoben hat. Im Herbst hatten fürs erste
15 deutsche Musikverlage Pakete und Päckchen mit fast 200
Partituren geschickt – eine fürstliche Zahl, wenn man
bedenkt, dass diese bereits eine in den Verlagsabteilungen vorgenommene
Vorauswahl nach dem Kriterium des ungefähren Schwierigkeitsgrades
darstellte. Doch dürfte die Zahl der künftig noch hebenden
Schätze erheblich sein.
Das Projekt will einige Jahre lang Empfehlungslisten von jeweils
rund 30 Werken zusammenzustellen, die das Repertoire deutscher
Jugendorchester in Musikschulen, Schulen, Universitäten und
in freier Trägerschaft künftig um gut 60 Jahre Musikgeschichte
erweitern sollen. Die Juroren, die sich im November in Weikersheim
trafen – neben dem Initiator waren dies Andreas Schultze-Florey
(Staatsorchester Hannover), Prof. Joachim Harder (Studentenorchester
Münster) und Martin Lentz (Jugendsinfonieorchester der Musikschule
Jena) – und bei ihrer Sichtung selbst begeisternde „Funde“ machten,
kommentierten jedes der ausgewählten Stücke, um Anhaltspunkte
für Stilistik und Charakter, Schwierigkeitsgrad und Ausführbarkeit
zu geben.
Den Mitgliedsorchestern der JMD wird diese Auswahl im internen
Bereich der Website www.jeunessesmusicales.de zur Verfügung
gestellt. Eine Datenbank, die alle wichtigen Angaben zu den Werken
enthält und auch Einblicke in Partiturseiten und kurze Klangbeispiele
bieten soll, ist im Aufbau. Jugendorchesterleiter sind eingeladen,
künftig auch ihre eigenen Erfahrungen mit den Stücken
hinzufügen. Besondere Konditionen für die Aufführungsmateriale
haben Mitgliedsorchester der JMD ohnehin.
Es ist zu hoffen, dass sich in einem dafür verfügbaren
Forum bald ein lebhafter Austausch entwickelt, der die Repertoirediskussion
unter den Jugendorchestern immer qualifizierter in Richtung auf
zeitgenössische Musik erweitert. Die JMD wird ihren Mitgliedsorchestern
die Werkkommentare auch aktiv in ihrem e-Mail-newsletter vorstellen.
Den Jugendorchesterleitern, die ihre Probenphasen in der Musik-akademie
Schloss Weikersheim machen, stehen die „Werke des Jahres“ zum
eingehenden Partiturstudium – zumeist auch einschließlich
eines Tonträgers – das ganze Jahr über in einem
Präsenzbestand zur Verfügung.
Die Initiative der JMD mag aus Sicht der Verleger ein Marketinginstrument
sein – der Verleger ist aber auch ein Förderer und Verbreiter
neu entstehender Musik, und das oftmals ohne Gewinnaussichten.
Am Ende geht es beiden Partnern um das eine Ziel: Das Musikleben
von heute mit Musik von heute zu bereichern und die Erlebnis- und
Ausdruckswelt der jungen Musiker zu erweitern.