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nmz-archiv
nmz 2008/04 | Seite 40
57. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Musikalische Bildung im Museum
Zwei Ausstellungen im Vergleich: „Von Krach zu Bach“ in
München und die Wanderausstellung „Klangräume“
Wir sind die ersten Besucher an diesem Morgen im Kinder- und
Jugendmuseum in München am Hauptbahnhof. Eine freundliche Dame schließt
die Türe auf und begrüßt zuerst die Kinder. Nachdem
alle ihre Jacken und Mäntel untergebracht haben, müssen
wir uns entscheiden, an welchem Workshop wir später teilnehmen
wollen: Saiteninstrumente, Holzbläser, Perkussion oder Blechbläser.
Dann gehen wir durch einen schwarzen Vorhang und stoßen auf
ein riesiges, rundes Zelt. Darin und um dieses und in zwei weiteren
Zelten sind jede Menge Experimentierstationen zur Klangerzeugung
aufgebaut.
Zum Beispiel die Orgelpfeifen. Die eine ist so groß, dass
sie bis zur Decke reicht. Daneben ist eine zu finden, die nur wenige
Zentimeter misst. Eine Schnur hängt herausfordernd im Weg – bitte
zieh an mir! Sie bewegt ein Brett, das sich als Blasebalg entpuppt,
nach oben und während es sich wieder langsam senkt, ist ein
Ton zu hören. Noch besser: er ist zu spüren, wenn man
seine Hand auf eine markierte Stelle legt.
Eine andere Orgelpfeife, zur Hälfte im Wasser, kann mit einem
Hebel tiefer eintauchen oder wieder auftauchen. Der Ton fährt
wie ein Fahrstuhl nach oben oder unten, während Blasebalg
und Hebel betätigt werden. Auf einem Bildschirm ist eine Schwingungskurve
zu sehen. Ein Ton klingt. Er kann verändert werden in Lautstärke
und Tonhöhe. Die Schwingung auf dem Bildschirm verändert
sich entsprechend. Aufsehen erregt ein gelbes Schlauchgewirr in
einem Kubikmeter Gestell. Die beiden Enden ragen nach vorne heraus
und laden ein, hinein zu singen oder sprechen. Das Ohr hört
aus dem anderen Ende einige Zehntelsekunden später die eigenen
Töne oder Worte. Streicht man mit einem Bogen über ein
waagrechtes Blech, auf das der Besucher Sand streuen kann, entstehen
aufregende Sandmuster. Es verändert sich, je nachdem, wo und
wie fest der Bogen streicht. Ein Lineal wird zum Klingen gebracht,
in dem es auf die Tischkante gelegt wird und das darüber hinausragende
Ende hinuntergedrückt und losgelassen wird. Löffel hängen
an Schnüren und ihr Klang wird nach dem Anstoßen an
einer Tischkante über die Finger in die Ohren geleitet. Wussten
Sie schon, dass es Löffel in Es, C oder B gibt? Ein Bildschirm
bildet Instrumente des Symphonieorchesters ab. Per Kopfhörer
können die Kinder deren Klänge hören und haben die
Chance, mit der Maus auf das richtige Instrument zu klicken. 30
Stationen laden ein, zu probieren, zu bauen, zu hören oder
zu tönen. Von der Entstehung des Tones bis hin zur musikalischen
Verarbeitung bauen sich die Experimente auf. Klänge werden
hörbar, spürbar, sichtbar und vielleicht auch deren Entstehung
verständlich.
Nun aber ist es Zeit für den Workshop. Hände waschen
nicht vergessen, ja sogar den Mund sollen wir ausspülen, falls
wir zu den Blasinstrumenten gehen. Und schon werden wir erwartet,
dieses Mal von Musiklehrern oder Musikern. Mit viel Geduld zeigen,
erklären sie alle Instrumente, die hier liegen: Gitarre, Harfe,
Geigen, Bratschen, Celli, Kontrabass, Posaune, Alphorn, Trompete,
verschiedene Hörner, Schlagwerkinstrumente – für
jedes Workshopthema steht hier eine große Auswahl an Instrumenten
zur Verfügung. Jedes Kind darf jedes Instrument ausprobieren
und zum Schluss der halben Stunde wird gemeinsam musiziert. Ein
großes Gewitter dirigiert die Expertin der Holzbläser,
mit Wind, Donner der Hörner, Trompetenblitz und Alphornhagel.
Beglückt verlassen die Kinder den Raum. Ob schon ein Instrument
kaputt gegangen ist? Erst eine Trompete musste repariert werden.
Kein Wunder, nach der sorgfältigen Anleitung! 40.000 Kinder
verschiedenen Alters haben die Ausstellung bereits besucht, die
von den Pädagogen des Kinder- und Jugendmuseums konzipiert
wurde. Die Idee hatte Prof. Gerd Albrecht und die Umsetzung wurde
finanziell unterstützt von der Ernst-von-Siemens Musikstiftung,
Stadtsparkasse München und dem Bayerischen Staatsministerium
für Unterricht und Kultus. Seit 14. Mai 2007 haben zahlreiche
Kindergarten-, Hort- und Heilpädagogische Gruppen, Schulklassen,
Kindergeburtstagsgruppen und Familien die Ausstellung besucht.
Sie möchte neugierig auf Musik machen, Lust wecken, sich mit
Klängen zu beschäftigen, anregen, aktiv zu forschen,
zu lauschen, zu hinterfragen.
Wirklich hinterfragt haben die Kinder erst, als sie sich den Forscherbogen
geholt haben. Die Fragen zu beantworten fordert genaueres Hinschauen
und Verstehen. Dafür müssen sich die Kinder sogar Hilfe
erbeten. Die gibt es auf jeden Fall, denn es sind genügend
Mitarbeiter da, die freundlich erklären und helfen.
„Wir möchten nicht belehren wie in der Schule“, erklärt
Frau Blumenstein, Mitarbeiterin im pädagogischen Team des
Museums. Die Kinder sollen ihre Fragen selber formulieren, oder
eben nur unterbewusst Erfahrungen machen. Trotzdem gibt es am Vormittag
für die Schulklassen richtige Führungen, in denen die
Stationen erläutert werden. Aus diesem Aspekt heraus wäre
es begrüßenswert, wenn es mehr Experimente gäbe,
die die Kinder selber zusammen stellen müssen, so wie das
kleine Xylophon, bei dem kleine Holzstäbe auf Seile gelegt
werden. Hier ist die Funktionsweise leichter erkennbar, als bei
der Orgelpfeife, die im Wasser verschwindet.
Die Ausstellung ist zwar bald zu Ende und wird durch eine neue
zu einem anderen Thema ersetzt. Aber zum Glück: Gerade werden
Räume gesucht, um die Ausstellung zu einer Dauereinrichtung
in München werden zu lassen. Münchens Kinder können
dann weiter forschen: Wie entsteht Klang? Welche unterschiedlichen
Klänge gibt es? Was bedeutet es, zu hören? Was ist eigentlich
Musik? Und so manches Kind wird vielleicht einen Weg zur Musik
finden und selber musizieren wollen.
Mit dem Forscherausweis in der Hand verlassen wir fröhlich
das Museum. Zu Hause werden Löffel gebogen, Gläser, Flaschen
und Hölzer auf ihre Klänge hin untersucht, in Gießkannen
und Schläuche geblasen und andächtig den erzeugten Tönen
gelauscht.
„Klangräume“ mit
therapeutischer Absicht
Die Mitmach-Ausstellung „Klangräume“, konzipiert
vom Sozialpädagogen und Rhythmiker André Eigenbrod
aus Bergisch Gladbach mit seinem Team, existiert seit zehn Jahren
und wandert seitdem durch Deutschland. Sie wird von Jugendämtern,
Kindermuseen, Kultur-, Freizeit und Bildungseinrichtungen gemietet
und von Schulklassen, Kindergarten- und Hortgruppen sowie Gruppen
therapeutischer Einrichtungen besucht. Mehrere Klangobjekte stehen
in einem Raum: Eine Wippe zum Daraufsteigen, die als Regenmacher
klingt, sobald sie kippt; ein großer Gong, ein großer
Bogen mit Chimes unterschiedlicher Materialien, eine Percussionwand,
in der es Holz- und Metallklänge zu entdecken gibt, das „Stepquadrat“,
dessen Glockentöne klingen, wenn man darauf steigt, eine Holzschlitztrommel
und anderes. Von einer durch einen Workshop eingearbeiteten pädagogischen
Fachkraft werden die Gruppen durch die Ausstellung geführt.
Die Kinder werden angeregt, experimentell die Instrumente zu erforschen,
dabei motorisch und sinnlich aktiv zu werden. Auch die Gruppeninteraktion
ist von großer Bedeutung. Durch angeleitete Spiele hören
sich die Kinder gegenseitig beim Musizieren zu, erraten Instrumente
oder kommunizieren miteinander mit Klängen. Die Instrumente
haben durch ihr Erscheinungsbild großen Aufforderungscharakter
und ohne viel Erklärungen wissen die Kinder, was zu tun ist.
Die Kinder dürfen auch frei spielen, wobei es dann natürlich
sehr laut wird. Hier braucht es gute Führung, nicht nur seitens
der Ausstellung. sondern auch die begleitenden Pädagogen sind
gefragt, die Gruppe anzuleiten, über das „Krach machen“ hinaus
musikalisch und sinnlich vertieft zu agieren. Gelingt dies, so
können die Kinder tatsächlich multisensorische Erfahrungen
machen und werden beeindruckt die Ausstellung verlassen.
Auch für die Wanderausstellung gibt es Initiativen, sie als
eine dauerhafte Einrichtung zu installieren. So werden in Bochum
das Deutsche Rote Kreuz, die evangelische Fachhochschule Rheinland
Westfalen Lippe, die medizinische Fakultät der Ruhruniversität
Bochum, die Diakonie und die Cruismann Förderschule zusammen
im Mai dieses Jahres ein Generationen übergreifendes Projekt
in den Räumen des DRK-Altenheims eröffnen. Der „Klangraum“ soll
auch von Senioren und für die Ausbildung von Erzieher/-innen
und Studenten genutzt werden. Eine wissenschaftliche Begleitung
für die Arbeit mit Senioren mit Demenzerkrankungen ist geplant.
Eine weitere Initiative für einen dauerhaften „Klangraum“ gibt
es vom Kulturamt Hannover zusammen mit der Städtischen Musikschule
und dem Kulturbüro Südstadt besonders für Kinder
aus schwierigem sozialen Milieu.
Die Ausstellungen „Von Krach zu Bach“ wie auch die „Klangräume“ geben
der Musik nicht nur gegenständlich Räume, auch im übertragenen
Sinn entsteht neuer Raum, neue Berührungsfelder mit Musik
für die Öffentlichkeit. Beide Ausstellungen möchten
ihre Besucher mit Musik und Klang konfrontieren und sie zur Musik
führen. Das Münchner Konzept beleuchtet dabei mehr die
wissenschaftliche Frage „Wie entsteht Klang?“ oder „Was
ist Klang?“, während die Ausstellung „Klangräume“ durch
sinnliches Erleben und kreative Aktion die Kinder persönlich
fördern, ja sogar Einsatz im therapeutischem Bereich finden
möchte. Beide Ausstellungen können bleibende Eindrücke
bei ihren Besuchern hinterlassen und den erwachsenen Begleitpersonen
Anregungen geben, das Thema „Musik“ und „Klang“ auch
in pädagogischen Einrichtungen aufzugreifen, weiter zu führen
und zu vertiefen.
Katrin Rohlfs
„Von Krach zu Bach“ – eine Mitmachausstellung
für Kinder ab vier Jahren im Kinder- und Jugendmuseum München,
Arnulfstraße 3. www.kindermuseum-muenchen.de
„Klangräume“ – eine musikalische
Erlebnisausstellung für Kinder von drei bis zwölf Jahren
(wechselnde Ausstellungsorte) von Eigenbrod,
Lucas und Müller GbR, Bergisch Gladbach. Informationen unter:
www.klang-raeume.de