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nmz-archiv
nmz 2008/04 | Seite 42
57. Jahrgang | April
Oper & Konzert
So poetisch können Orakel sein
Experimentelles Musiktheater bei bonn chance!
Stimmt der Fingerzeig von NRW Kultursekretariat und Kunststiftung
NRW, so liegt in der Neubestimmung des Verhältnisses
von Text, Musik, Szene ein Zukunftsmoment des Musiktheaters. Dessen
künstlerischer Mehrwert steht und fällt, so die Annahme,
mit dem Bündnis, das Autor, Komponist, Regisseur schließen
können und wollen. In Kooperation mit dem Theater Bonn erlebte
das jüngste Förderungsprojekt des „Fonds Experimentelles
Musiktheater“ jetzt seine Uraufführung – zum letzten
Mal, so Generalintendant Weise, im Forum der Bundeskunsthalle.
Auch bonn chance! ein Opfer von Mittelkürzungen?
„
Von Mücken, Elefanten und der Macht in den Händen“ – es
orakelt sehr im Forum der Bundeskunsthalle. Bereits der Titel seltsam
sperrig, entwurfhaft-konzeptuell. So unvermittelt, so schroff das
Ende kommt in dieser durchgespielten Achtzig-Minuten-Produktion,
so tänzelnd, beinahe skrupulös ihr Anfang. Und so geht’s
los: Eine Schauspielerin tritt auf, stellt sich vor, unterweist
das Publikum dahingehend, dass dieses sich im Zuschauerraum befinde,
sie selbst auf der Spielfläche und dass „es“ nun „gleich“ losgeht.
Der Anfang als Hinauszögern, Verweigern des Anfangs. Loop,
Endlosschleife als Stilmittel.
Regisseur/Autoren-Duo Melanie Mohren/Bernhardt Herbordt und Komponist
Hannes Galette Seidl präsentieren ein offenes Formkonzept.
Trichtergleich macht es mit jeder Spielminute weiter auf, wehrt
sich unmissverständlich gegen so ziemlich alles, was auch
nur entfernt nach Theaterkonvention riecht oder riechen könnte.
Handlung? Personalprofil? Dramatischer Konflikt? Musikthematische
Zuordnung und Charaktere? Alles steht zur Disposition, ist verquirlt
zu einer Art Mahlstrom aus Zeichen, Verweisen, Andeutungen, Geräuschklängen.
Viel muss geschehen, bis in dieser Produktion auch gesungen wird.
Einstweilen agieren zwei Schauspieler, die auch auf der Bühne
so heißen wie sie wirklich heißen: Katharina Zoffmann,
Andreas Hilscher. Diese halten den Whirlpool in Gang. Hilscher
baut einen Kartonturm und sagt: Ich bin Prospero! Gemeinsan
imaginiert man den amerikanischen Senator d’Amato, der mit
einer fünfzehnstündigen Dauerrede „den Lauf
der Dinge aufhalten wollte“. Was ist Wirklichkeit, was nur
Theater und was die Wirklichkeit des Theaters? Und – wenn
aus Mücken Elefanten werden können – was ist Macht
anderes als Vorstellungsvermögen? Ersichtlich sind die Dinge
im Fluss. Die Vorstellung festen Bodens jedenfalls gilt nicht in
der Mohren/Herbordt/Seidl-Vorstellungswelt.
Elektronik, Posaune, Bassklarinette, Perkussion, das verkleinerte
Bonner Beethoven Orchester respektieren diesen Ansatz. Welches
Wort verträgt sich wie mit welcher Musik?, lautet die Frage
des Komponisten. So kommt es zu diesen eigentümlich in sich
gekehrten Soli, zu einem Abschiedstrio à la Haydn, zu Melodien
allerdings nur aus einem herumgetragenen Kofferradio – Musik,
die Reflexionsinseln schafft und überbrückt. Dass allerdings,
so kritische Stimmen, die kompositorischen Anteile dadurch „an
den Rand gedrängt“ seien, ist mitnichten die Wahrnehmung
der Produzenten. So stark das Gefälle zwischen großen
Wort- und kleinen Musikanteilen auch ist – es ist gewollt.
Auch, dass am Ende die Spiel- zur Wasserfläche wird. Was Land
war, ist nun Insel, auf die sich die Protagonisten, die keine sein
wollen oder können, retten. Da sitzen sie nun und wehren sich
gegen das Drehmoment ihres eigenen Spiels. Hilfreich springt ihnen
jetzt die Regie bei mit unverblümten Traditions-Anleihen.
Aus dem Nichts des Bühnenhintergrunds erscheint eine Sängerin,
ein hochdramatischer Sopran, deren Tonfall das vorausgegangene
antidramatische Geschehen konterkariert und die Bruchkante dieses
experimentellen Musiktheaters markiert. Eine Grenze ist berührt – die
zur Oper.
Das Team spürt es und führt das Ende herbei. Es sei,
so der Komponist, der „ewige Loop“, der an dieser Stelle
drohe. Gelöst wird das subjektiv verspürte Dilemma nach
barockem Vorbild: ex machina. Aus dem Theaterhimmel fällt
ein Schlauchboot auf den Bühnenboden. Licht aus. – Was
das alles bedeutet? Eine gute Frage. Sie bleibt offen. Offenkundig
ist nur die Poesie, die von diesem dahingehauchten, zeichenhaften
Musiktheater ausgeht. Noch im Nachklang wird sie gespürt.