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nmz-archiv
nmz 2008/04 | Seite 41
57. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Magere Ausbeute in diversen Sammlungsbereichen
Zum sechsten Mal huldigte das Festival MaerzMusik in Berlin dem
Prinzip planvoller Konzeptlosigkeit
Alle unbeantworteten Fragen sind gestellt, alle Diskurs-Schlachten
sind geschlagen worden um das Festival
MaerzMusik der Berliner Festspiele, das sich selbst Festival für
aktuelle Musik nennt. Was soll aktuelle Musik sein? Kann die hier
aufgebotene Mischung aus Konzerten, Performances, Installationen
und anderen mit mehr oder weniger musikalischem Anspruch auftretenden
Veranstaltungen irgendwelche erhellende Querverbindungen oder Einsichten
erschließen? Oder eröffnet sie nur einen Raum der Narrenfreiheit,
in dem sich das Peinliche und Platte neben dem ästhetisch
Zurechnungsfähigen, die Selbstverwirklicher neben den Künstlern
in holder Toleranz tummeln – wie sie es ja auch draußen
auf den Straßen von Berlin tun?
Unbeirrbar von solchen Fragen verfolgt der Festivalleiter Matthias
Osterwold sein Konzept planvoller Konzeptlosigkeit weiter; vom
7. bis zum 16. März dieses Jahres fand die MaerzMusik zum
nunmehr sechsten Mal statt. „Orte, Plätze, Wüsten,
Wanderungen“ lautete das General-Thema, mit regionalen Schwerpunkten
auf Spanien, Portugal, Mexiko, Paris, New York und Australien – und
wem das allzu mäandernd erscheint, der hat das grundsätzlich
nomadische Prinzip der MaerzMusik noch nicht begriffen. Immerhin
520.000 Euro stellen ihm die Festspiele zur Verfügung, die
dank Sponsorengeldern auf etwa 600.000 Euro erhöht werden – eine
Summe, die in der Verteilung auf 25 verschiedene Produktionen in
35 Veranstaltungen freilich gleich weniger beeindruckend wirkt. Über
10.000 Besucher sollen es diesmal wieder gewesen sein, trotz eines
Streiks der Berliner Verkehrsbetriebe während der gesamten
Festivalzeit; hinter diesen Auslastungszahlen dürften sich
freilich eine weit geringere Anzahl von Personen verbergen.
Als Vorspiel stand eine Produktion im Museum für Naturkunde
der Humboldt-Universität: „HUM – die Kunst des
Sammelns“ benannte sich ein von dem Komponisten Julian Klein
und der Gruppe „a rose is“ konzipierter „taxomanischer
Parcours“ durch die Fauna-Sammlungen. Das Publikum erhielt
in kleinen Grüppchen Zutritt zu den sonst nicht zugänglichen
Sammlungsbereichen zwischen Bandwürmern und Schlangen, Hunden,
Krokodilen und Vögeln; nicht weniger als 30 Millionen Objekte
hat das Museum archiviert. Dabei mischten sich echte Kustoden mit
Schauspielern, Dichtung mit Wahrheit, und dann und wann gab es
sogar ein bisschen Cellomusik oder eine Klanginstallation zu hören.
So amüsant und lehrreich diese Veranstaltung war, blieb ihr
musikalischer Ertrag doch gering. Das galt auch für die zur
Eröffnung gezeigte Video/Liveperformance mit Jon Rose, der
gemeinsam mit Hollis Taylor das Projekt „Great Fences of
Australia“ durchgeführt hat, die musikalische Bespielung
der großen Dingo- und Kaninchenzäune Australiens mit
Streicherbögen. Jon Rose (von dem auch ein wenig ergiebiges
Violinkonzert, „Internal Combustion“, zur Uraufführung
kam) zu seinem Zaun-Projekt: „Viele Leute betrachten einen
Zaun und sehen nicht viel darin. Wir betrachten Zäune und
sehen riesige Saiteninstrumente, die einen ganzen Kontinent überziehen.“ Und
mehr lässt sich dazu wohl auch nicht sagen.
Auf dem Gebiet des Musiktheaters hatte MaerzMusik zwei Uraufführungen
anzubieten: „Hommage à Klaus Nomi – a songplay
in nine fits“ von Olga Neuwirth und Lucia Ronchettis Proust-Vertonung „Albertine“.
Neuwirths „Songplay“ ist eine Wiederaufbereitung ihrer
schon vor zehn Jahren uraufgeführten „Nomi Songs“,
ergänzt um weitere Arrangements von Barock-Stücken (die
teilweise, wie Dido’s Lament von Purcell, zu dem Repertoire
Nomis gehörten), kluge Texte von Thomas Jonigk und eine etwas
unbedarft mit den Möglichkeiten der Bühne umgehende szenische
Gestaltung von Ulrike Ottinger. Im Ganzen ist der Abend bei allen
atmosphärischen Qualitäten primär ein Dokument der
persönlichen Faszination Neuwirths durch Nomi, diesem androgynen
Pop-Countertenor der
80er-Jahre; die Produktion war auch eine Notlösung: Ursprünglich
war eine Neuvertonung von Wedekinds „Lulu“-Stücken
geplant, die sich dann an künstlerischen Differenzen zerschlug.
Anna
Prohaska als „Albertine“ in Lucia Ronchettis
Proust-Vertonung
Ronchettis „Albertine“ ist ein Kammerstück für
Stimme solo und flüsterndes Publikum, das die Möglichkeiten
der menschlichen Stimme ganz im Stil der Sprachkompositionen der
60er-Jahre erprobt. Singen, hecheln, lachen, wispern musste da
die junge Sopranistin Anna Prohaska in einer opheliahaft grün
schillernden Abendrobe – und bewältigte alles souverän.
Sieht man von halbszenischen Peinlichkeiten ab wie der Performance
des Madrider Ästhetikprofessors Llorenç Barber, die
damit begann, dass Barber obertonsingend mit einem Becken auf dem
Kopf auftrat, auf das er mit einem Schlegel einschlug, oder dem
Schlussstück „Der Eifer der Beharrlichkeit“ von
Carles Santos, in dem Santos einen Zeichentrickfilm voller sexueller
Handlungen (ein Pianist befingert das Geschlechtsteil einer Frau
und spielt mit seinem erigierten Penis dabei weiter Klavier) mit
Chopins c-moll-Nocturne begleitete, waren es wie üblich die
traditionellen Konzerte, die am meisten Stoff zum Nachdenken boten.
Ein durchgehendes Thema war, und dieses allein hätte durchaus
schon Stoff für ein ganzes Festival ergeben, das Verhältnis
der zeitgenössischen Musik zu anderen urbanen oder folkloristischen
Musikformen: In einem Konzert des Ensemble modern beispielsweise
konfrontierte Stefano Gervasonis abendfüllendes Stück „Com
que voz“ die bekannte Fado-Sängerin Cristina Branco
mit dem Bariton Frank Wörner. Wurden bei Gervasoni die musikalischen
Welten leider nur schematisch nebeneinander gestellt wurden, so
sind sie in der Uraufführung von Alvaro Carlevaros „levante.repique“ für
Orchester mit zwei Schlagzeugsolisten um den Preis der künstlerischen
Selbstaufgabe miteinander verbunden: Über 25 Minuten breitete
das Konzerthausorchester unter der Leitung von Lothar Zagrosek
erschütternd simple musikalische Ereignisse aus. Wenn über
weite Strecken nur ein minimaler Puls in einem Ratschgeräusch
irgendwo im Orchester hörbar war, konnte man sich zwar an
die kunstvollen Irritationsgefüge in den Kompositionen von
Carlevaros Lehrer Helmut Lachenmann erinnert, durfte sich aber
trotzdem musikalisch unterfordert fühlen.
Auf große Anerkennung stieß hingegen die Aneignung
des „cante jondo“ in Mauricio Sotelos „Audéeis“,
aufgeführt durch den Flamenco-Sänger Arcángel
und das Smith Quartet. „Farbige Mikrotonalität, kunstvolle
rhythmische Schichtungen und ein sich aus einer Keimzelle entwickelnder
Kompositionsablauf“, schrieb Ulrich Pollmann im „Tagesspiegel“,
seien hier „kein Selbstzweck: Maßstab bleibt stets
Sotelos Ausdruckswille“. Der Berichterstatter selbst hat – ver.dis
starkem Arm ist es zu danken – Sotelos Stück leider
ebenso wenig hören können wie Elena Mendoza-Lopez’ „Dort,
doch, auch, nicht, vielleicht“, über dessen „meist
zart dissonantes Gewebe, dem das Ohr mit Freuden folgt“,
Peter Uehling in der „Berliner Zeitung“ befand, dass
man es „am liebsten noch einmal hören möchte“.
Zwei oder drei solche Stücke, die man am liebsten noch einmal
hören möchte, als Ausbeute von eineinhalb Wochen – das
schaffen andere Festivals in drei Tagen.